"Determinanten der Entwicklung des Luftfrachtverkehrs und Quantifizierung künftiger Luftfrachtpotentiale - aufgezeigt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland"; Dissertation 05.06.1986
Prognosen sind ein Bestandteil von Planungsprozessen im Verkehrswesen, die in zunehmendem Maße und für die angemessene Planung und Dimensionierung von Infrastruktur-einrichtungen in der Luftfracht an Bedeutung gewinnen. Detaillierte Analysen vorhandener Prognosen und Prognosemethoden führen zu dem Ergebnis, daß sowohl die Methoden mittels makro-ökonomischer Ansätze als auch die Ergebnisse unzureichend sind. Schon innerhalb der relevanten Luftfrachtdaten bestehen derartige Mängel, so daß eine Analyse über Interdependenzen im Luftfrachtverkehr nur sehr ungenau durchführbar ist. D. h. die grundlegende Voraussetzung für eine Luftfrachtprognose, die mehr als nur makro-ökonomische Ansätze berücksichtigt, ist eigentlich nicht vorhanden.
Deshalb wird in dieser Arbeit wird eine Luftfrachtprognose mittels eines mikro-ökonomischen Analyse- und Prognoseansatzes entwickelt, in der folgende Aspekte besondere Berücksichtigung finden:
Eine wesentliche Voraussetzung für die Prognose bilden die intensive Analyse der Rahmenbedingungen des heutigen Luftfrachtverkehrs, seiner Konkurrenzverkehrsträger sowie die differenzierte Güterstrukturanalyse. Die wesentlichsten Aspekte der 0. g. Rahmenbedingungen sind wie folgt zu umreißen.
Kein anderer Bereich der Schiffahrt hat sich in den letzten Jahren so dynamisch entwickelt wie der Container-Seegüterverkehr. Zukünftig wird durch den forcierten Ausbau von Infrastrukturen eine weitere Containerisierung erfolgen. Die Einrichtung von Round-.the-World-Services wird starke Veränderungen in der Struktur des Containerverkehrs hervorrufen.
Im europäischen Güterverkehr hat sich innerhalb der vergangenen Jahre der Lkw zum wichtigsten Verkehrsmittel entwickelt. Sein Verkehrsaufkommen im grenzüberschreitenden Güterverkehr hat sich innerhalb von 20 Jahren mehr als verfünffacht.
Die Luftfracht ist im internationalen Güterverkehr der Bundesrepublik Deutschland mengenmäßig von untergeordneter Bedeutung. Das Luftfracbtaufkommen der Bundesrepublik bewegt sich in einer Größenordnung von ca. 0,1 % des Gesamtaufkommens nach Tonnen - gemessen am Warenwert allerdings bei 10%.
Die Analyse der Güterstruktur der Luftfracht verdeutlicht die klare Dominanz weniger Güterhauptgruppen, Gütergruppen bzw. Warengruppen innerhalb des Gesamtaufkommens. Dabei binden 12 Güterhauptgruppen ca. 96 % des Gesamtaufkommens. Von Bedeutung sind 14 Warengruppen im Versand und 15 Waren-gruppen im Empfang.
Auch innerhalb des Güterverkehrsaufkommens, welches nur durch für die Luftfracht relevante Gütergruppen gebildet wird, ist der Stellenwert des Luftfrachtaufkommens mit einem Anteil von 1 % nur von geringer Bedeutung. Die Luftfracht ist mit dem wachsenden Gesamt-Transportvolumen gleichmäßig
mitgewachsen. Trotz starker Zuwachsraten ist ihr relativer Anteil deshalb auch gütergruppenspezifisch stabil geblieben. Die positive Entwicklung der Luftfracht wird durch den interkontinentalen Verkehr geprägt. Im Gegensatz hierzu ist im europäischen Luftfrachtverkehr seit 1973 ein permanenter Rückgang des Aufkommens zu verzeichnen, so daß dieser heute nur einen Anteil von 10 % am Gesamtaufkommen des internatio-nalen Luftfrachtverkehrs der Bundesrepublik besitzt.
Ein bedeutender Teil (ca. 30 %) des in Deutschland anfallenden Luftfrachtaufkommens floß 1983 durch Trucking zu benachbarten ausländischen Flughäfen ab. Die per Trucking beför-derte Luftfracht wird in der Statistik nicht erfaßt; sie ist nicht gleichzusetzen mit Luftfrachtersatzverkehr auf airway-bill. Um bei Prognosen ein tatsächlich vorhandenes Luftfrachtaufkommen zugrunde legen zu können, werden die gesondert ermittelten Trucking-Werte berücksichtigt. Es wird dabei unterstellt, daß Trucking-Luftfracht in der Struktur der statistisch erfaßten Luftfracht entspricht.
Für eine Luftfrachtprognose ist sowohl die Normalkomponente (Stabua-Aufkommen plus Trucking) als auch die Substitutionskomponente von Bedeutung. In der vorliegenden Arbeit wird eine relations- und güterhauptgruppenspezifische Potentialanalyse durchgeführt, um Größenordnung und Struktur von (potentieller Luftfracht darzustellen, die im Transportaufkommen von Konkurrenzverkehrsmitteln vermutet wird.
Auf Basis der vier für die Affinität zur Luftfracht charakteristischen Kriterien (Warenwert, Eilbedürftigkeit, Trans-portempfindlichkeit, -sicherheit, Verderblichkeit) wird eine Substitutionsanalyse vorgenommen. Dabei werden aus dem Verkehrsaufkommen diejenigen Anteile herausgefiltert, die in Bezug auf die vier genannten Kriterien weitgehend identische Charakteristika im Vergleich zu den zur Zeit in der Luftfracht beförderten Gütern aufweisen. Dies erfolgt mit Hilfe
von Potentialfaktoren, die in Abstützung auf die für derartige Probleme geeignete modifizierte Delphi-Methode ermittelt wurden.
Für den europäischen Güterverkehr ergeben sich Potentialfaktoren, die sich deutlich von den Interkont-Potentialfaktoren unterscheiden. Die Anwendung der Potentialfaktoren auf den interkontinentalen Seegüterverkehr am Betspiel Fernost zeigt, daß ein zur Luftfracht hin verlagerungsfähiges Transportaufkommen existiert, welches ungefähr die Größe des heutigen Luftfrachtaufkommens besitzt.
Die eingehende Analyse bisheriger Prognoseansätze im Luftverkehr, vor allem im Luftfrachtverkehr, zeigt, daß für die Prognose von Luftfracht die methodischen Ansätze der Schätzung, der Trendextrapolation und mathematischer Modelle zur Anwendung gelangt sind. Die meisten der bisher erstellten Luftfrachtprognosen basieren auf modifizierten Trendbeobachtungen. Neben Trendprognosen werden häufig auch heuristische Methoden der Langfristprognostik wie z. B. die Delphi-Methode angewandt. Die Entwicklung mathematischer Modellansätze befindet sich erst am Anfang. Eine Ursache dafür ist der große modell-mathematische Aufwand und die fehlende und teilweise mangelhafte Datenbasis.
Am Beispiel einer früheren trendextrapolierten Prognose für die Luftfrachtentwicklung eines Verkehrsflughafens wird aufgezeigt, daß der gewählte Prognoseansatz unzureichende Ergebnisse liefert. Diese Prognose basierte ausschließlich auf den Daten der Luftfrachtumschlagentwicklung einer Dekade. Gesamtwirtschaftliche Leitdaten wurden nicht mit einbezogen.
Mathematische Modellansätze (z. B. von Hoff) - auch unter Einbeziehung von gesamtwirtschaftlichen Leitdaten - führen zu Ergebnissen, die teilweise 30 % bis 40 % von dem später tatsächlich vorhandenen Luftfrachtaufkornmen abweichen. Dies beweist die Problematik, funktionstüchtige mathematische Modelle zur Einschätzung künftiger Luftfrachtentwicklung zu erarbeiten.
Die Delphi-Methode besitzt eine gewisse Form der Universalität in der Zukunftsforschung. Sie kann zur Gewinnung von zukunftsorientierten Informationen über die Kategorien Zeit, Quantität und Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden. Deshalb ist diese Methode zur Ermittlung von Potentialfaktoren angewandt worden.
Nach eingehender Diskussion von Prognoseansätzen und deren Ergebnissen wird aufbauend auf umfangreichen eigenen Analyseergebnissen ein Prognoseszenario der Luftfrachtentwicklung vorgenommen. Die Prognose erfolgt relationsspezifisch unter Berücksichtigung der warengruppenspezifischen Außenhandelsentwicklung, der bilateralen Handels- und Wirtschaftsentwicklung und des Luftfrachttrucking. Die Aggregation entsprechender Einzelprognosen führt zu Prognosen für einzelne Länder und gütergruppenspezifische Marktbereiche.
Die Prognoseergebnisse gelten unter der Prämisse stabiler wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse in den einzelnen Marktregionen und der Bundesrepublik Deutschland.
Am Beispiel des Luftfrachtmarktes Fernost wird eine Prognose der Luftfrachtentwicklung bis 1995 auf Basis eines mikro-ökonomischen Szenario-Ansatzes vorgenommen. Die Prognose Fernost führt zu Wachstumsraten von 4,5 % p. a. im Versand und im Empfang. Das Seeschiff-Substitutionspotential besitzt einen Umfang von 188.000 t (70.000 t Versand, 118.000 t Empfang) . Im Falle des völligen Ausschöpfens der Seeschiff-Verlagerungspotentiale würden daraus jährliche Wachstums-raten der Fernost-Luftfracht von 10 % p. a. resultieren.
Das Prognoseergebnis soll - vor dem Hintergrund vorhandener baulicher Luftfrachtinfrastruktur, jetziger betrieblicher Parameter und künftiger Luftfracht-Logistik - der Planung und dem Bau künftig notwendiger Luftfrachtinfrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland dienlich sein.
Die Ergebnisse verdeutlichen einerseits die unterschiedlichen Randbedingungen der bisherigen Entwicklung sowie die Determinanten der künftigen Luftfrachtentwicklung. Die Verwendung eines mikro-ökonomischen Analyse- und Prognoseansatzes dokumentiert die Probleme von Datenbasis und -beschaffung und zeigt die Möglichkeiten einer differenzierten Prognostik im Vergleich zu Globalprognosen auf.