"Methodische Ableitung eines preiselastischen Nachfragemodells für den Schienenpersonenfernverkehr"; Dissertation 09.02.1989
Bei der Planung von Infrastruktur- und Angebotsmaßnahmen für den Schienenpersonenfernverkehr ist die richtige Einschätzung und Quantifizierung der zu erwartenden Verkehrsnachfrage von erheblicher Bedeutung. Während im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung das zu erwartende Verkehrsaufkom-men in eine volkswirtschaftliche Nutzen/Kosten-Untersuchung eingeht, wird durch Angebotsmaßnahmen im Schienenpersonenfernverkehr unmittelbar das betriebswirtschaftliche Ergebnis der DB beeinflußt. Dabei geht das Verkehrsangebot nicht nur auf der Aufwandsseite in die Wirtschaftlichkeitsrechnung ein, sondern durch das Angebot werden die Nachfrage und somit die Erlöse beeinflußt.
Zur Quantifizierung der Verkehrsnachfrage im Rahmen der Infrastruktur-und Angebotsplanung für den Schienenpersonenfernverkehr wird in dieser Arbeit ein Verkehrsnachfragemodell entwickelt. Dieses Modell ist als maßnahmenempfindliches Planungs- und Prognosemodell konzipiert und der Gruppe der ökonometrischen Verkehrsnachfragemodelle bzw. den Direct-Demand-Modellen zuzuordnen. Derartige Modelle sind durch auf die Quelle-Ziel-Relation bezogenen Elastizitätsfunktionen gekennzeichnet, die auch auf die Angebotsqualität der Konkurrenzverkehrsmittel elastisch reagieren. Insofern handelt es sich bei diesen Nachfragemodellen um multimodale Modelle, die auch Aussagen zu den Verkehrsmittelverlagerungen (Modal-Split) liefern.
Das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Nachfragemodell für den Schienenpersonenfernverkehr orientiert sich in der Konzeption und Ableitung an das von BIERSCHENK für den Nahverkehr entwickelte räumlich übertragbare Modellsystem. Dabei war allerdings gegenüber dem Nachfragemodel von BIERSCHENK eine durchgängige Differenzierung nach Reisegründen und die Herleitung von Kreuzelastizitäten zwischen den Verkehrsmittel erforderlich.
Durch die Differenzierung der hergeleiteten deterministischen Modellfunktionen nach den Reisegründen
wird in dem Nachfragemodell den spezifischen Verhaltensweisen der einzelnen Marktsegmente im Schienenpersonenfernverkehr Rechnung getragen.
Dabei ermöglicht der unmittelbare Bezug der Modellfunktionen auf die Relation eine realistische Berücksichtigung der Angebotsqualität, die bei einem gemittelten Bezug auf die Verkehrszelle nicht gewährleistet ist.
Voraussetzung für die Ableitung von Verkehrsnachfragemodellen ist eine umfangreiche Bestandsaufnahme von
Während die Daten der Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur weitestgehend aus der amtlichen Statistik entnommen wurden, konnte die Verkehrsnachfrage aus den Erhebungen
ermittelt werden.
Dabei hat sich allerdings im Rahmen der Modellableitung gezeigt, daß der Stichprobenumfang und die Erhebungsmethodik der Reisendenbefragung auf BAB-Raststätten nicht ausreichend war. Deshalb mußte sich die vorgenommene Modellableitung auf die Nachfrage im Schienen- und Luftverkehr beschränken.
Da bei der Modellableitung der Einfluß der Angebotsqualität bezogen auf die Relation berücksichtigt werden sollte, waren die Angebotsmerkmale der Verkehrsmittel jeweils Quelle-Ziel-bezogen zu ermitteln. Hierfür wurde in dieser Studie jeweils für den
ein Berechnungsmodell entwickelt, das aus den Verkehrsnetzen jeweils die Angebotsqualität berechnet. Voraussetzung für den Einsatz dieser Berechnungsverfahren war die vollständige Bewertung und Codierung des fernverkehrsrelevanten Straßen- und Eisenbahnnetzes. Auf der Basis dieser Verkehrsnetze wurden jeweils die Angebotsmerkmale
berechnet. Zusätzlich wurden für den Schienenpersonenfern-verkehr die Angebotsmerkmale
ermittelt.
Im Rahmen der Modellableitung wurde die Wirkung dieser Angebotsmerkmale auf die Verkehrsnachfrage analysiert. Dabei wurden schrittweise nach dem Prinzip der binären Zerlegung die Einflußparameter
einbezogen. Es konnte aufgezeigt werden, welchen Einfluß die 0. g. Einflußparameter auf die Nachfrage im Schienenperso-nenfernverkehr der Bundesrepublik Deutschland haben. Für die berücksichtigten Marktsegmente wurden unterschiedliche Elastizitätsfunktionen (Modellfunktionen) hergeleitet, die den spezifischen Verhaltensweisen der Reisenden Rechnung tragen. Durch die vergleichende Analyse der Nachfrage im Schienenpersonenfern-und Luftverkehr konnte der Einfluß des Beförderungspreises und des Geschwindigkeitsverhältnisses dargestellt und differenziert nach Reisegründen quantifi-ziert werden. Dadurch wird mit dem entwickelten Nachfragemodell die vorhandene Konkurrenzsituation zwischen dem Schienen-und Luftverkehr durch sog. Kreuzelastizitäten realistisch abgebildet.
Die abschließende Beurteilung der Modellqualität zeigt für alle Verkehrsmittel und Reisegründe plausible Ergebnisse, die durch die Berücksichtigung weiterer Einflußparameter noch zu verbessern ist. Trotzdem kann von einer guten Abbildung der realen Verkehrsnachfrage durch das hier entwickelte Modellsystem ausgegangen werden.
Mit der hier durchgeführten Modellentwicklung steht ein einsatzfähiges Instrumentarium für die Infrastruktur- und Angebotsplanung im Bereich des Schienenpersonenfernverkehrs der DB zur Verfügung. Dabei liefert das Nachfragemodell durch die Herleitung sog. Kreuzelastizitäten zwischen dem Schienen- und Luftverkehr nicht nur den induzierten Neuver-kehr, sondern auch die Verlagerung zwischen den beiden 0. g. Verkehrsmitteln. Wegen der nicht ausreichenden Datenbasis im individuellen Straßenpersonenfernverkehr mußte auf die Ableitung der Kreuzelastizitäten zum Pkw verzichtet werden.
Deshalb sollte sich die Weiterentwicklung des vorliegenden Nachfragemodells u. a. auf die Hinzunahme des individuellen Straßenpersonenfernverkehrs konzentrieren. Daneben ist auch der wachsenden Bedeutung von Buslinien-und -gelegenheitsverkehren bei der Entwicklung von Nachfragemodellen für den Personenfernverkehr Rechnung zu tragen. Auf der Seite der Angebotsqualität des Schienenpersonenfernverkehr scheint eine Differenzierung nach IC-bedienten und nicht IC-bedienten Relationen sinnvoll zu sein.
Zusätzliche Verbesserungen der Modellqualität sind durch eine weitere Differenzierung nach Marktsegmenten etwa im Bereich des Privatreise-und Freizeitverkehrs zu erreichen. Hierfür sind - wie auch für die Hinzunahme weiterer Verkehrsmittel - umfangreiche Befragungen zum Verhalten im Fernreiseverkehr erforderlich. Diese sollten sich in der Erhebungstiefe und im Stichprobenumfang an den Anforderungen zur Entwicklung von Nachfragemodellen orientieren.