Entwicklungsfolgen der Jugendstrafe

Entwicklungsfolgen der Jugendstrafe

Eine längsschnittliche Untersuchung von erstmals inhaftierten Jugendlichen und Heranwachsenden. DFG: 2007-2012

Ziel der Längsschnittstudie (2004-2012) war es, die individuellen und sozialen Folgen einer Jugendstrafe für die weitere Entwicklung junger Männer zu untersuchen und förderliche wie hinderliche Entwicklungsbedingungen zu identifizieren. Im Fokus der zweiten Förderphase (2007-2012) standen die Entwicklung nach der Haftentlassung, die Rückfallvorhersage und die Analyse langfristiger Delinquenzverläufe. Datenbasis waren Selbstangaben, Akteninformationen und Bundeszentralregistereinträge von 2405 männlichen deutschen Inhaftierten aus dem Jugendstrafvollzug, die im Zeitraum von 1998 bis 2008 während der Haft und nach der Entlassung wiederholt befragt worden waren. Der Beobachtungszeitraum nach der Ersthaft betrug für das Gros der Stichprobe mindestens vier Jahre.

Insgesamt 83 % der Befragten wurden nach der Entlassung erneut verurteilt, mehr als die Hälfte (52 %) erneut inhaftiert. Etwa ein Viertel der Rückfalltaten waren schwere Gewaltdelikte. Die Lebensbedingungen nach der Haftentlassung gestalteten sich mehrheitlich schwierig. Zwar verbesserte sich der zu Haftbeginn sehr niedrige Bildungsstand durch die Teilnahme an schulischen und beruflichen Maßnahmen in Haft, dennoch stand bei 60 % zum Entlassungszeitpunkt weder ein Ausbildungs- noch Arbeitsplatz oder regelmäßige Beschäftigung in Aussicht. Gelang der Einstieg in ein Ausbildungs- oder Arbeitverhältnis ging dies, sofern die Entlassenen mit ihrer Tätigkeit zufrieden waren, mit geringeren Rückfallraten im Hellfeld und vor allem im Dunkelfeld einher. Es konnten keine Effekte in Haft erfolgter psychosozialer Behandlungsmaßnahmen auf die Legalbewährung nachgewiesen werden.

Vier Gruppen von Straftätern mit unterschiedlichen Delinquenzverläufen (Beginn, Frequenz, Dauer) lassen sich unterscheiden. Früh beginnende Aussteiger weisen den Höhepunkt ihrer Delinquenz im 15. Lebensjahr auf und sind früh durch Probleme im familiären und vor allem schulischen Bereich auffällig. Im Entwicklungsverlauf nehmen Selbstwert und Normorientierung zu, nach Haftentlassung leben viele in befriedigenden Partnerschaften. Bei spät startenden Aussteigern sind Familie und schulische Entwicklung eher unauffällig, sie werden relativ spät inhaftiert, häufig aufgrund eines schweren Gewaltdeliktes. Nach längeren Haftstrafen gelingt ihnen dennoch die soziale Integration. Bei früh beginnenden hoch-aktiven Straftätern finden sich gehäuft extreme familiäre Probleme, kindliche Gewalterfahrungen, (mehrfache) Heimerfahrungen und Suchtprobleme. Behandlungsbedürftige psychische Störungen in Verbindung mit hohem Drogenkonsum und starker Einbindung ins kriminelle Milieu sind kennzeichnend für diese Gruppe. Bei spät startenden hoch-aktiven Straftätern ist das hervorstechende Merkmal der über den Entwicklungsverlauf hoch bleibende Anteil an Heroin- und Drogenkonsumenten. Nach der Entlassung erweisen sich Partnerschaften und eigene Kinder nicht als Schutz- sondern eher Belastungsfaktor. Die Haft bedingt höchstens eine Unterbrechung der Suchtkarriere, fördert aber meist nicht den Ausstieg.

Als Rückfallprädiktoren wurden Selbstkontrolle, Selbstwert, Empathie und Emotionsregulation untersucht. Die Relevanz der Selbstkontrolle für die Vorhersage kriminellen Verhaltens variiert in Abhängigkeit von den betrachteten Deliktbereichen deutlich. Dem Konstrukt scheinen drei Faktoren (Kontrollbemühung, Selbstbehauptung und Emotionsregulation) zugrunde zu liegen, die bei Gewalt- Sexual- und Aneignungstätern unterschiedliche Profile erkennen lassen. Ein hoher Selbstwert erweist sich als Schutzfaktor, ebenso stellen Empathie (Perspektivübernahme und empathische Fantasie) sowie Emotionsregulation, jeweils unabhängige Faktoren dar, die einem Rückfall protektiv entgegenwirken. In Nachfolgeprojekten wird die Beeinflussung dieser Faktoren durch Behandlungsmaßnahmen in Haft weiter überprüft.

Laufzeit: 2004 bis 2012

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Publikationen

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