An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!
Diesmal ist unser Objekt des Monats ein Dokument. Ein Nachfahre der Besitzer der "Apotheke zum Blauen Hirsch" in Halle fand im Nachlass seiner Tante einige historisch wertvolle Dokumente und bat uns, die Abteilung für Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte, um Einschätzung und Zuordnung. Die Dokumente konnten inzwischen an das zuständige Landesarchiv in Sachsen-Anhalt übergeben werden, aber wir hatten die Chance, diese zuvor im Rahmen der Arbeit an der Arzneimittelhistorischen Sammlung Braunschweig mit unseren Studierenden zu analysieren.
Das hier abgebildete Dokument gab uns zunächst Rätsel auf: Weshalb sollte Magnesia alba, das noch heute unter dem Namen "leichtes basisches Magnesiumcarbonat" als Mittel gegen Übersäuerung des Magens und leichtes Abführmittel verwendet wird, Ende des 18. Jahrhunderts verboten werden?
Im Jahr 1786 erließ der preußische König eine "Verordnung, betreffend die Abschaffung der bisher in den Apotheken gebräuchlich gewesenen Magesia alba oder Magnesia nitri."
Eine Literaturrecherche ergab, dass die Kontroversen über diese Substanz seit Beginn des 18. Jahrhunderts andauerten. Bereits der Wolfenbütteler Hofarzt Johann Karl Spieß betonte ihre "Vollkommene Unschuld"; Gerüchte, über Zwischenfälle seien bösartig und aus der Luft gegriffen, zumindest, wenn die Regeln für die Herstellung dieser Substanz beachtet werden würden. Hier lag auch der Kern der Kontroverse. Die ursprüngliche Herstellungsweise ging nämlich von der sogenannten Salpetermutterlauge aus, deren wesentlicher Bestandteil Kaliumnitrat war. Wichtig war diese durch chemische Bearbeitung organischer Abfälle entstandene, stinkende Lauge für die Schießpulverherstellung. Bei Einhaltung der Temperaturvorschriften konnte durch Fällung mit Pottasche (Kaliumcarbonat) das gewünschte, sehr leichte und ganz weiße Pulver hergestellt werden. Jedoch war das Produkt häufig verunreinigt.
Offensichtlich hatten sich Berichte über Zwischenfälle gehäuft, worauf das Ober-Collegium Medicum ein Eingreifen der Regierung in Form der erwähnten Verordnung erwirkte. Das Verbot betraf aber nicht nur die bisherige Herstellungsweise, sondern auch den Namen. Der Stoff sollte nur noch aus dem sogenannten Sedlitzer Salz oder Epsom-Salz (Sal amare) - chemisch Magnesiumsulfat - hergestellt werden. Dieses kann mit Natriumcarbonat ebenfalls zum gewünschten Produkt reagieren. Der im Arzneibuch nun neu festgelegte Name hieß "Magnesia salis amari". Wolfgang Schneider konnte in seinem historischen Lexikon für das 17. und 18. Jahrhundert 18 Synonyme für den Ausdruck "Magnesia alba" nachweisen. Höchste Zeit also für eine Namensbereinigung. Das Problem war nur, dass diese beiden Substanzen – Epsom-Salz und die basische Magnesia - äußerlich nicht leicht zu unterscheiden waren. Und einige der Synonyme waren sowohl für die eine als auch für die andere Substanz in Gebrauch.
Abhilfe brachte hier erst die Überarbeitung der Arzneibuchnamen in der Folge der Lavoisierschen Chemie. Nachdem die lateinischen Bezeichnungen für "Magnesiumsulfat" (für Epsom Salz) und "Magnesiumcarbonat" (für Magnesia alba, weiße Magnesia) in die Arzneibücher einzogen, wurden die Unterschiede und Zusammenhänge erkennbar, und Verwechslungen traten seltener auf. Selbstverständlich war auch die nun standardmäßige Herstellung von Magnesiumcarbonat aus Magnesiumsulfat ein wichtiger Faktor.
Die Arzneimittelhistorische Sammlung Braunschweig enthält mehrere Präparate von Magnesiumcarbonat aus dem 19. Jahrhundert. Interessanterweise war eine davon, trotz der erwähnten Namensänderung, immer noch als "Magnesia alba" etikettiert. Es stammt aus der Sammlung Casselmann aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das andere ist auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datiert und ist schon nach der neuen Nomenklatur benannt. Es stammt aus einer Haus-oder Schifferapotheke im Deutschen Apothekenmuseum, Heidelberg (Inventar-Nr. DAM: IV F 22). [Abb 2.] Die Arbeitsgruppe Schneider hat beide Präparate als basisches Magnesiumcarbonat identifiziert. Auch Magnesiumsulfat befindet sich in der Sammlung, heute noch in Gebrauch als salinisches Abführmittel, auch bei Eklampsie (Krampfanfälle im Rahmen der Schwangerschaft), Muskelkrämpfen und als Cholekinetikum zur Entleerung der Gallengänge.
Jenseits der arzneilichen Verwendung findet sich Magnesiumcarbonat auch in Lebensmitteln (als Stabilisator oder Trennmittel) und im Sport (z.B. Sportklettern oder Geräteturnen).
Mariam Kam-Nakich, Anis Naghavi (Wahlpflichtfach Pharmaziegeschichte, Sommersemester 2023) und Bettina Wahrig
Wir danken Dr. Henry Bosse, Lingen für die Überlassung dieser Schrift zur wissenschaftlichen Bearbeitung aus der „Apotheke zum Blauen Hirsch“ in Halle.