Seife (November)

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Seifen im 19. Jahrhundert

[Abb. 1] Die Materialtafel (links) in der Materialkammer der ehemaligen Löwenapotheke

Seife wird schon seit über 5000 Jahren hergestellt, ursprünglich allerdings nicht für den allgemeinen Reinigungsgebrauch, sondern zum Waschen von Wolle und für medizinische Zwecke.  Sie wurde äußerlich zur Behandlung von Wunden, Geschwüren, Entzündungen und zur Herstellung von abführenden Suppositorien eingesetzt. Ab dem 18. Jahrhundert enthalten die Arzneibücher auch Rezepturen für Produkte, die nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich gebraucht wurden.

Seifen, lat. Sapones, die Alkalisalze höherer Fettsäuren, werden durch Kochen von tierischen oder pflanzlichen Fetten mit einer Alkalilauge unter Abspaltung von Glycerin hergestellt. Früher wurde dazu Asche, Pottasche (Kaliumcarbonat), Soda (Natriumcarbonat) oder Natron (Natriumhydrogencarbonat) verwendet. Heute noch bekannte frühe Orte der Seifenherstellung sind Aleppo (wichtige Bestandteile sind Olivenöl und Lorbeeröl) und Marseille (hier enthielt der Fettanteil neben Olivenöl auch Talg).

Um 1850 führten Apotheken mehrere Seifen, wie am Beispiel der historischen Materialtafel der ehemaligen Löwenapotheke im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe (Abb. 1) gezeigt werden kann. Auf der Tafel sind mehr als 1000 Arzneien und Rohstoffe verzeichnet, die in der Apotheke vorrätig waren. Einen Einblick in die 300jährige Geschichte dieser Apotheke und ihrer umfangreich überlieferten Dokumente und Objekte gewährte uns der Apotheker Frank Sonder.

[Abb. 2] Historisches Seifenstück (noch) unbekannter Zusammensetzung

Auch die Seife aus der Arzneimittelhistorischen Sammlung stammt aus der Zeit um 1850 (Abb. 2). Wolfgang Schneider bekam das historische Objekt 1959 für seine Forschungen aus der Sammlung Martius in Erlangen.

Vier der auf der Materialtafel aufgeführten Seifen, die auch in der Pharmacopea Slesvico-Holsatica 1831 aufgenommen waren und innerlich in Form von Pillen verwendet wurden sind in nachstehender Tabelle aufgeführt. Daneben gehörten auch kosmetische Seifen zur Körperpflege zum Verkaufssortiment der Apotheke.

[Tab. 1] Seifen zur innerlichen Verwendung
[Abb.3] Rezept aus Pharmacopoea Slesvico-Holsatica

Mitte des 19. Jahrhunderts war eine der wichtigsten Seifen die Medizinische Seife „Sapo medicatus“. Sie diente als Grundlage für weitere Seifen und war Bestandteil von Pflastern, Zäpfchen und Linimenten, aber auch von Pillenmassen.

Nach Adolf Dulfos (1848) zählte sie zu den Resolventia - den zerteilenden Mitteln: „zur Auflösung harnsaurer Concretionen, […] bei Stockungen und Verhärtungen in den Drüsen und den Eingeweiden des Unterleibes […] am zweckmässigsten in Pillen […] als chemisches Antidot gegen Säure- und Metallvergiftungen, insbesondere gegen Arsenikvergiftungen. Aeusserlich wird die Seife […] als hautreinigendes und die Thätigkeit der Haut anreizendes Mittel zu Bädern und Waschungen [...], ferner gegen Contusionen und Luxationen, und zur Zertheilung torpider Anschwellungen, zu Umschlägen, Linimenten benutzt“. Was hier zerteilt oder aufgelöst werden sollte, waren – noch in der Denktradition der Vier-Säfte-Lehre (Humoralpathologie) – Flüssigkeiten, die vom Körper selbst gebildet wurden, aber sich verdickt oder an eine falsche Stelle des Körpers „verirrt“ hatten, wie es z.B. bei Gallen- oder Nierensteinen oder aber bei Blutergüssen der Fall war.

[Abb. 4] Tubera Jalapae /Arzneimittelhistorische Sammlung

Neben den zerteilenden Mittel und Brechmitteln waren auch Abführmittel Bestandteil humoralpathologisch begründeter Theorien und Therapien. Nach der „Vier-Säfte-Lehre“ sollte die krankmachende Materie durch Ausleiten aus dem Körper entfernt und Körpersäfte dadurch ins Gleichgewicht gebracht werden.
Davon zeugt, dass in der Löwenapotheke auch Jalapenharzseife vorrätig war. Diese bestand aus Medizinischer Seife und Jalapenharz. Zu Pillen verarbeitet wurde sie als Abführ- und Wurmmittel abgegeben (Abb. 3)

Das Jalapenharz (Ipomoea purga) wird aus Radix jalapae (Abb. 4; die Bezeichnung „Tubera“ verweist ebenfalls auf die Wurzel) gewonnen und enthält die Glykoside Convolvulin und Jalapin. Sowohl die gepulverte Droge als auch das Harz wirken als drastisches Purgans (Abführ- und Brechmittel).

Unter der Bezeichnung „Kaiserpillen“ oder „Pilulae Imperiales“ erlangten sie Berühmtheit. Allerdings waren die Rezepturen uneinheitlich und enthielten weitere drastisch wirkende Abführmittel.

[Abb. 5] Seifenlösung (Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch)

Drastische Abführmittel konnten einen Abort herbeiführen. Aber auch die konzentrierte Seifenlösung selbst war eines der am häufigsten verwendeten Mittel zum Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft. Die stark alkalische Lösung wurde in die Gebärmutter gespritzt und konnte wegen ihrer zellschädigenden Wirkung zum Abbruch führen, allerdings verursachte sie auch häufig den Tod der Frau, z.B. durch Infektionen oder Embolie. Im Strafgesetzbuch von 1871 (§§ 218 bis 220), welches das zuvor schon bestehende Abtreibungsverbot neu regelte, wurde Schwangerschaftsabbruch als „Verbrechen wider das Leben“ geführt und war mit Zuchthaus-, bei mildernden Umständen mit Gefängnisstrafe bedroht. Auch in den Jahrhunderten zuvor hatten ungewollt schwangere Frauen oft nur die Wahl, ihr eigenes Leben in Gefahr zu bringen oder zu schwerwiegenden Strafen verurteilt zu werden.

Von Anette Marquardt und Bettina Wahrig