Lithium (September)

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Therapeutikum und kritischer Rohstoff – Lithiumcarbonat

[Abb. 1] Lithium carbonicum nach DAB 1 (1872)

Lithium ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Bei der Aluminiumherstellung, sowie in der Keramik- und Glasindustrie findet Lithium Verwendung. Der größte Teil des weltweit verfügbaren Lithiums wird für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus für Handys, Notebooks, Kameras, Solarbatterien, Elektrofahrzeuge und viele andere Produkte gebraucht. Dadurch ist Lithium zu einem Schlüsselrohstoff geworden und von der Europäischen Union als „kritischer Rohstoff“ eingestuft. Das hier vorgestellte Lithiumcarbonat, das Lithiumsalz der Kohlensäure, ist die wichtigste Lithiumverbindung und dient auch als Ausgangsstoff zur Herstellung weiterer Lithiumverbindungen. Als Arzneimittel zur Behandlung bipolarer Störungen wird Lithiumcarbonat von der WHO in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel geführt.

Heißt es nun LIZIUM oder LITHIUM? Folgt man dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (dwds), so sind beide Varianten richtig.
Im 19. Jahrhundert hieß das Element noch „LITHION, abgeleitet aus dem Griechischen von „lithos“, deutsch Stein. Es wurde 1817 zum ersten Mal als eigenes Element beschrieben und gehört zur Gruppe der Alkalimetalle. Die latinisierte Bezeichnung Lithium setzte sich erst später durch. Fachsprachlich ist also LITHIUM korrekt.

1843 bestätigte der Chirurg Alexander Ure in London die Beobachtungen und Versuche des deutschen Chemikers Alexander Lipowitz, dass Lithium (hier als Oxid) Harnsäure aus Harnsteinen lösen kann. Da die menschlichen Blasensteine Harnsäure enthalten und kein anderes Mittel diese so schnell auflösen könnte, verdiente Lithium seiner Meinung nach eine besondere Beachtung. Dazu sollten Einspritzungen einer Lösung in die Harnblase vorgenommen werden. Dieser Vorschlag fand erst später praktische Anwendung. Mit dem englischen Internisten Sir Alfred Baring Garrod (1819-1907) und seiner Verordnung von innerlichen Lithiumgaben zur Behandlung der Gicht erfuhr das Element ab 1859 einen Aufschwung. Garrod wies nach, dass Patienten mit Gicht und der sog. harnsauren Diathese einen erhöhten Harnsäurespiegel im Blut zeigten. Kohlensaures Lithion in Dosen von 1-4 Gran (entspricht ca. 65 – 260 mg) in Wasser gelöst und 2 bis 3 mal täglich eingenommen verringerten die Gichtanfälle und verbesserten das Befinden seiner Patienten. 1864 wurde Lithiumcarbonat in die Britische Pharmakopöe aufgenommen, 1872 in das erste Deutsche Arzneibuch (DAB 1).

[Abb. 2] Werbeanzeige aus dem Jahr 1899 für lithionreiches Mineralwasser gegen Gicht, harnsaure Diathese und weitere Leiden.

Das Baden in und Trinken aus bestimmten für heilsam erachteten Quellen hat eine sehr lange Tradition. Im 19. Jahrhundert widmeten sich Kurorte in erster Linie der Gesundheitspflege und dem Badewesen, entwickelten sich aber auch zu Zentren des gesellschaftlichen Lebens. In Trinkkuren mit mineralisch angereicherten Heilwässern sollten Stoffwechselvorgänge normalisiert und Beschwerden gelindert werden. Darunter waren lithiumhaltige Mineralwässer, die auch über Apotheken zu beziehen waren. Letztlich konnte sich Lithium als Mittel gegen Gicht und harnsaure Diathese jedoch nicht behaupten. 1922 zweifelte Tappeiner den spezifischen Effekt des Lithiumcarbonats für die Auflösung der Urate bei Gicht und Urin an, Starkenstein bezeichnete 1939 die Anwendung entsprechender Präparate als „unwirksam“. Das Auf und Ab der Popularität lithiumhaltiger Therapeutika ist etwa im Gehe-Codex zu verfolgen, der 1910 noch 13 chemisch verschiedene Präparate auflistet. 1933 sind außer Lithiumcarbonat nur noch vier komplex zusammengesetzte Präparate mit Lithium auszumachen.

 

[Abb. 3] John F. J. Cade 1949 Lithium-Therapie

1896 veröffentlichte der dänische Psychiater Carl Lange (1834-1900) seine Erfahrungen mit der Behandlung von Depressionen mit dem Titel „Periodische Depressionszustände und ihre Pathogenesis auf dem Boden der harnsauren Diathese“. Schon der Titel verdeutlicht, dass Langes Vorgehensweise an Garrods Theorie von der Depression als „Kopfgicht“ ausgerichtet war.  Die Therapieerfolge durch Lithiumgaben schienen seine und Garrods theoretische Annahmen zu bestätigen. In der Annahme, dass psychische Krankheiten auf Stoffwechselstörungen beruhen könnten, traf sich Lange mit dem US-Chirurgen und Neurologen William Hammond (1828-1900), der die Salze 1871 zur Behandlung der akuten Manie empfahl. Lange grenzt das von ihm beschriebene Krankheitsbild der periodischen Depression vom durch Falret erstmals 1851 beschriebenen „zirkulären Irresein“ ab, einem abwechselnden Auftreten von manischen und depressiven Zuständen. Auch Hammond hatte diese Krankheitsform explizit nicht im Auge.

[Abb. 4] Salzgewinnung im Salar de Uyuni

1949 veröffentlichte John Frederic Cade seine klinischen Studien zur Behandlung verschiedener Zustände von Manie (Abb. 3); und hier spielte die damals so genannte „manisch-depressive“ Form eine wichtige Rolle. Damit fand das Lithium seinen Weg zum heutigen Indikationsspektrum, das bestimmte bipolare Störungen, bestimmte Formen von Depressionen, sowie die Prophylaxe des Cluster-Kopfschmerzes umfasst. Cade wies auch auf die nicht unerhebliche Toxizität des Medikaments hin. Er schlug vor, mit der Therapie jeweils so lange auszusetzen, bis die Nebenwirkungen zurückgingen und im Übrigen auf eine möglichst niedrige Erhaltungsdosis hinzusteuern. Mogens Schou (1918-2005) et al, führten die ersten Doppelblindstudien mit dem Medikament durch und empfahlen es 1954 zur Phasenprophylaxe sowohl manischer als auch depressiver Phasen – ein Prinzip, das sich bis heute durchhält. Dass zeitgleich mit der ersten Einführung von synthetischen Neuroleptika Lithium eine Option blieb, ist möglicherweise dieser Studie zu verdanken. In Westdeutschland hat sich die Lithium-Therapie erst in den 1970er Jahren durchgesetzt, in der DDR wird die Indikation bereits 1960 genannt.

Von Anette Marquardt und Bettina Wahrig