An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!
Die Verwendung von ganzen Tieren oder Tierprodukten - wie Eier, Honig oder Wachs - sowie von tierischen und menschlichen Geweben und Ausscheidungen ist in der Medizin und Pharmazie über Jahrtausende belegt.
Von Zähnen, lat. „Dentes“, wurden nur relativ wenige Sorten medizinisch verwendet. Elfenbein, lat. „Ebur“, gehörte aber zu den arzneilich und kulturhistorisch bedeutenden Rohstoffen. Das Stoßzahnmaterial des Elefanten war noch bis Ende des 18. Jahrhunderts in Arzneibüchern aufgenommen. Zu dem wichtigsten, medizinisch genutzten Horn, lat. „Cornu“, den Auswüchsen am Kopf verschiedener Tiere, zählte Hirschhorn, Elchhorn (Horn vom Elentier, auch als Elendthier oder Elend bezeichnet) und Nashorn.
Insbesondere im Mittelalter war das Horn des sagenumwobenen „Einhorns“ als Allheilmittel begehrt. Zum Aussehen des Tieres gab es auch in Arznei- und Kräuterbüchern bildliche Darstellungen. 1694 ergänzte ein unbekannter Besitzer in Braunschweig das "Artzneybuch, fast wunder köstlich..." aus dem Jahr 1555 mit der eigenhändigen Zeichnung eines Einhorns. Es erscheint auf der letzten Seite der Schrift als ein ziegenartiges Geschöpf mit einem gedrehten Horn auf der Stirn [Abb. 1]. 1704 präsentiert Valentini (1657–1729) in seinem „Museum Museorum“ neben weiteren gehörnten Tieren das Einhorn „Unicornu fictitium“ als Pferd mit gedrehtem Horn [Abb. 2]. Das Fabeltier ist heute noch Namensgeber und Wappentier vieler Apotheken.
Noch im 18. Jahrhundert galt es als Universal-Heilmittel und war nach Johann Schröder (1600–1664) Bestandteil von Mitteln gegen Fieber, Pest, Syphilis sowie von giftwidrigen, herzstärkenden und antiepileptischen Pulvern, und dies, obwohl schon im 17. Jahrhundert die Existenz dieses Tieres als zweifelhaft galt.
Bei den verwendeten Materialien, die ja dennoch in Apotheken und Naturaliensammlungen vorhanden waren, dürfte es sich entweder um versteinertes Mammut-Elfenbein oder um den Stoßzahn des Narwals gehandelt haben. Andere Bezeichnungen für das Mammut-Elfenbein waren Mammut-Zahn, gegrabenes Einhorn, fossiles Elfenbein, Ebur fossile oder Unicornu fossile mit weiteren Namensderivaten.
Der an Meeresküsten gefundene, gedrehte Stoßzahn "Unicornu marinum" des Narwals fehlte in fast keiner Apotheke und Naturalien- und Kunstkammer des 17. und 18. Jahrhunderts. Die ihm zugeschriebene Wirkung - Gift neutralisieren zu können - verschaffte ihm, oft in Form von Trinkgefäßen, garantierte Plätze in den Schatzkammern der Königs- und Fürstenhäuser. Auch in Kirchenschätzen waren solche Objekte aus Narwalzahn zu finden. Das abgebildete „Narwalhorn-Reliquiar“ [Abb. 3] stammt aus der katholischen Nikolaikirche in Braunschweig und kam 1885 in die Sammlung des Herzog Anton Ulrich- Museums.
In Apotheken gelangte das "Einhorn" als Pulver [Abb. 4], sicherlich auch als verfälschte Ware, da sowohl Unicornu fossile als auch Unicornu marinum selten und kostbar waren. Das echte Einhorn - Unicornu verum - war natürlich eine besondere Rarität.
„Mammuthzahn-Bruchstücke“ fanden auch Eingang in eine der Sammlungen Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832). Der wohl bekannteste Dichter in deutscher Sprache war auch ein international vernetzter Naturforscher und passionierter Sammler.
Mehr als 26.000 Kunstgegenstände und ca. 23.000 naturwissenschaftliche Objekte, die Goethe bis zu seinem Lebensende zusammengetragen hat, befinden sich heute im Goethe Nationalmuseum in Weimar (https://www.klassik-stiftung.de/goethe-nationalmuseum/goethes-sammlungen/).
Das gezeigte Objekt [Abb. 5] stammt aus dem Nachlass von Dr. Walter Heinrici (1868-1946), bis 1934 Besitzer der Apotheke zum Blauen Hirsch in Halle, und wurde der Abteilung für Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte der Technischen Universität Braunschweig durch Schenkung überlassen.
Von Anette Marquardt