Cobaltum (Oktober)

Objekt des Monats

An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!

Der Kobold und die Fliegen: Cobaltum

[Abb.1] Schaliger, grauschwarzer Scherbenkobalt

Die Bezeichnung „Cobaltum“ verwies früher nicht unbedingt auf Kobaltverbindungen. Sprachlich ist die Bezeichnung von „Kobold“ abgeleitet. Diesen Namen gaben Bergarbeiter vor Jahrhunderten den vermeintlich unter Tage vorkommenden Berggeistern, die angeblich edle Metalle raubten und sie durch unedle, unter ihnen das heute so genannte Kobalt und Arsen, ersetzten. Die Namen Kobalt und Cobaltum blieben mit den arsenhaltigen Erzen verbunden. Erklärungen für diese Verbindung finden wir u.a. bei Georg Caspar Kirchmaier 1687: „Kobalt, ist eine Arsenikalische Silber-rauberische Berg-Art/ heißgrätig und gifftig Metall“ sowie bei Dorothea Juliana Wallich 1706: „der gemeine Arsenik [Arsentrioxid, As2O3] wird aus dem Kobold sublimiert“.

Gediegen Arsen (As), also Arsen in elementarer Form, wird auch als Scherbenkobalt bezeichnet und ist als eigenständiges Mineral anerkannt. Gediegen kommt Arsen in der Natur selten vor, meistens ist es an Metalle gebunden (z.B. Arsenkies Fe2As2S2). Auch an Sauerstoff als Arsenolith (veraltet Arsenblüte, As2O3) oder als Realgar (Arsenicum rubrum, As4S4) sowie als Auripigment (Arsenicum citrinum, As2S3) an Schwefel gebundene Arsenminerale kommen in der Natur vor.

Das erste der hier vorgestellten Objekte (Abb. 1) bekam Wolfgang Schneider fĂĽr seine Forschungen aus der Mineraliensammlung des Pharmazeutischen Instituts in Marburg. Warum es auch Scherbenkobalt hieĂź, ist aus der hier abgebildeten Form zu erkennen. Von den Synonymen fĂĽr dieses Mineral sollen hier nur einige aufgezählt werden:  Cobaltum crystallisatum, Arsenicum nativum und auch Fliegenstein. Unter diesen und weiteren Bezeichnungen war es in ArzneibĂĽchern und Taxen des 16. bis 19. Jahrhunderts aufgefĂĽhrt. 

Aber wofĂĽr wurde es auf Giftschein in Apotheken abgegeben und in Haushalten genutzt? Die GiftbĂĽcher aus dem 19. Jahrhundert einer niedersächsischen Apotheke dokumentieren zahlreiche Abgaben von Cobaltum (Abb. 2).  In der Rubrik „Gebrauch des Giftes“ finden wir neben „Cobalt“ den Eintrag: „Fliegen“.

[Abb. 2] Auszug aus dem Giftbuch der Apotheke in Ilten, 1855

Nach Hermann Hager (1873) wurde eine wässrige Abkochung von gepulvertem Cobaltum als Fliegengift genutzt. In elementarem Zustand ist Arsen in Wasser unlöslich. Bei längerem Kontakt mit Wasser und unter der Einwirkung von Hitze bildeten sich Spuren von Arseniger Säure (H3AsO3), auf der die Giftigkeit des Fliegenwassers beruhte. Das Arsen oxidierte zunächst zu Arsentrioxid (As2O3 ,Arsenik), das in heißem Wasser löslich ist und Arsenige Säure bildet.

Im Jahr 1837 wurde im Königreich Preußen der Verkauf von „Fliegenstein-Auflösungen“ und Fliegenpapier, und mit dem Bundesratsbeschluss vom 29. November 1894 in sämtlichen deutschen Bundesstaaten, untersagt. 1903 durfte nur solches arsenhaltige Fliegenpapier gegen Giftschein in Apotheken wieder abgegeben werden, das aus viereckigen Blättern mit vorgegebener Abmessung und Bedruckung bestand und nicht mehr als 0,01 g Arsenige Säure pro Blatt enthielt (Abb. 3). Zur Anwendung sollte es mit Milch oder Wasser angefeuchtet und mit Zucker bestreut werden.

Gegen lästige Mitbewohnerschaft wurde nicht nur Fliegenpapier bzw. Cobaltum angewendet. Wie die beispielhafte Seite des Giftsbuchs (Abb. 2) zeigt, wurde gegen Ratten und Mäuse neben strychnin- und phorsphorhaltigen Präparaten häufig Arsentrioxid (As2O3) abgegeben, ein Stoff, der durch Oxidation an der Luft leicht aus dem elementaren Arsen in Cobaltum entstand oder aber beim Rösten von Erzen in den Metallhütten in großen Mengen anfiel. Mitte des 18. Jahrhunderts begannen Versuche, dem Befall von Getreide durch Pilze mittels Tränken der Saat in Arseniklösungen vorzubeugen, und es wurde auch breit bei Tieren – aber auch bei Menschen - eingesetzt. Damit Schafe nicht von Krätze befallen wurden, tauchte man sie ganz in eine arsenikhaltige Beize. Befallene Kühe wurden mit einer arsenikhaltigen Lösung abgewaschen, und in mindestens einem Fall erlitten von Krätze befallene Kinder nach einer allzu derben Wäsche mit dem Stoff schwere Vergiftungen.

 

[Abb. 3] Mit drei Kreuzen, Totenkopf und der Aufschrift „Vorsicht Gift“ gekennzeichnetes Papier

Die Verwendung von Arsenverbindungen zu therapeutischen Zwecken war jedoch kein „Privileg“ mangelhaft informierter Bauersleute. Ab 1786 warb der englische Arzt und Apotheker Thomas Fowler für eine von ihm hergestellte Lösung, die einen sehr niedrigen Arsengehalt (Kaliumarsenit K3AsO3) aufwies. Wenn man die Dosierung richtig wähle, seien die Nebenwirkungen beherrschbar. Besonders gegen die in Europa weit verbreiteten Fieber (darunter Malaria) wurde das Medikament breit erprobt. Für zahlreiche weitere Indikationen, wie Herzrasen, „rebellische Gastritis“, bestimmte Nervenkrankheiten u.v.a.m. wurden ärztlicherseits Erfolge gemeldet. Bürgerliche Patient*innen, waren sie nun hypochondrisch, exzentrisch oder litten sie an hartnäckigen chronischen Leiden, probierten die Fowlersche Lösung mit oder ohne ärztliche Begleitung aus. Sie fühlten sich hierin durch Berichte bestärkt, es gebe Fälle von Gewöhnung an das Gift in der Steiermark, wo in einigen Familien gewohnheitsmäßig „Hüttenrauch“ in kleinen, aber sich steigernden Dosen konsumiert wurde. Diese Erkenntnis, die Mitte des 19. Jahrhunderts regelrechte Schlagzeilen machte, inspirierte um die Jahrhundertwende einen Teil der städtischen Bourgeoisie Europas, auszuprobieren, ob Arsen vielleicht als Rauschmittel zu gebrauchen war oder zumindest die sexuelle Attraktivität und Potenz steigerte, wie es steirischen Konsumenten den staunenden Wissenschaftlern versichert hatten.

Die Erzählungen über Fälle der Arsengewöhnung stellten forensische Experten vor eine Hürde: Nachdem 1836 endlich ein zuverlässiger Nachweis kleiner Mengen von Arsen im Körper fraglicher Vergiftungsopfer zur Verfügung stand, behaupteten aufgrund der sich steigernden medizinischen Verwendung die Angeklagten und ihre Verteidiger häufig, das Opfer habe zu Lebzeiten Arsen konsumiert. So geschehen etwa im Prozess gegen Florence Maybrick, die 1889 zum Tode verurteilt wurde, weil das Gericht es als erwiesen ansah, dass sie ihren Mann, James Maybrick, mit aus Fliegenpapier gewonnenem Arsenik vergiftet habe. Nach einem öffentlichen Aufschrei aufgrund der unklaren Beweislage wurde das Urteil später in lebenslange Haft umgewandelt. Maybrick hatte wiederholt Fliegenpapier gekauft und dieses nach eigenen Angaben zur Herstellung kosmetischer Präparate verwendet. Diese Behauptung wiederholte sie bis an hier Lebensende.

In „Starkes Gift“ (1931) von Dorothy L. Sayers ermöglicht es die Analyse dieses historischen Falls dem Privatermittler Sir Peter Wimsey, den Täter zu überführen (ACHTUNG SPOILER!): Hier hat sich der Täter nämlich ein Beispiel an den steirischen Bauern genommen, sich allmählich an den Konsum beträchtlicher Mengen Arsenik gewöhnt und seinen Cousin mittels eines gemeinsamen Mahls vergiftet, obwohl er nachweislich genau die gleichen Speisen und Getränke zu sich nahm wie das Opfer.

Über die verschiedenen Gestalten und Verwendungen des Arsens – als Farbe, chemisches Reaktionsmittel, Arznei und Mordgift – wäre noch viel zu sagen. Das soll einem anderen Monat vorbehalten bleiben. An dieser Stelle muss jedoch unbedingt noch erwähnt werden, dass es auch nottut, die Perspektive der vom Fliegenpapier betroffenen nichtmenschlichen Lebewesen einzunehmen. Robert Musil hat dies (1913) in seinen „Nachlass zu Lebezeiten“ getan, nachzulesen im Blog „Aufklärungen“ von Wolfgang Sofsky:

holbachinstitut.wordpress.com/2022/08/14/robert-musil-das-fliegenpapier/

Von Anette Marquardt und Bettina Wahrig