1995-2

Diplom- und Staatsexamensarbeiten

BELDE, MAREN: Untersuchungen zur Populationsdynamik von Xanthium albinum an der Mittelelbe unter besonderer Berücksichtigung seiner Ausbreitung. 1995, VI, 142 S. (D Geoökologie)

Veröff.: (BELDE, M.: Untersuchungen zur Populationsdynamik von Xanthium albinum an der Mittelelbe. - Braunschweiger Geobotanische Arbeiten, 4: 59-69.)

Zusammenfassung:  Xanthium albinum (WIDDER) H. SCHOLZ (Elb-Spitzklette) gehört zur Familie der Asteraceae. Diese krautige Pflanze ist getrennt geschlechtig einhäusig. Jeweils zwei weibliche Blüten sind in einem Köpfchen zusammengefaßt. Zur Reife entwickeln sich daraus mit widerhakigen Hülldornen versehene Klett“früchte“.
Der Neophyt Xanthium albinum hat sich höchstwahrscheinlich aus amerikanischen Eltern herausdifferenziert. Seit 1830 ist er in Mitteleuropa bekannt und hat sich als Stromtalpflanze an den größeren Flüssen, vor allem am Elbufer eingenischt, wo er häufig in den sandigen Bereichen der Buhnenfelder vorkommt. Nachweislich tritt Xanthium albinum seit 1947 an der Weser auf und befindet sich dort in Ausbreitung.
Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit beschäftigen sich mit der Keimung, dem Wachstum und der Entwicklung, der Reproduktion sowie der Mortalität von Xanthium albinum. Des weiteren wurden die Wechselbeziehungen untereinander und zu anderen Individuen der Biozönose und insbesondere die Ausbreitung der Elb-Spitzklette untersucht.
Als Annuelle durchläuft Xanthium albinum ihren Entwicklungszyklus innerhalb von vier Monaten. Sie keimt ab etwa Mitte Mai, sobald die Uferbereiche trockengefallen sind, innerhalb einer kurzen Zeit. Die Versuche zum Keimungsverhalten ergaben, daß eine Änderung mit der Aufenthaltsdauer im Wasser zu verzeichnen ist. Der Keimerfolg ist größer, wenn die Fruchtstände eine bestimmte Zeit im Wasser gelegen haben. Mit zunehmender Lagerungsdauer im Wasser verschiebt sich die optimale Keimungstemperatur in höhere Bereiche. Xanthium albinum hat sich danach an die Hochwasserdynamik angepaßt, da bei länger andauernden Überschwemmungen auch höhere Außentemperaturen vorliegen, wenn die Wuchsplätze von Xanthium albinum trockenfallen.
Im ersten Jahr keimt in der Regel nur eine der beiden in einem Fruchtstand enthaltenen Achänen. Bleibt die zweite Achäne über eine Vegetationsperiode hinaus lebensfähig, kann sie mit diesem Mechanismus möglicherweise zum Erhalt der Art unter ungünstigen Bedingungen beitragen.
Der Photoperiodismus macht die Gattung Xanthium als Untersuchungsobjekt ebenso interessant wie die Dormanz der zweiten Achäne. Die Blühinduktion erfolgt für Xanthium albinum unter natürlichen Bedingungen, wenn die kritische Dunkelperiode von etwa 7,5 Stunden überschritten wird. Die Fähigkeit zur Selbstbestäubung ermöglicht es der Art, mit einer einzigen Pflanze eine neue Population aufzubauen. Das Wachstum der Elb-Spitzklette hängt vermutlich stark von der Wasserversorgung ab. Dagegen können sie eine kurzzeitige Überflutung ohne gravierende Schäden überstehen.
Die Keimlingsmortalität von Xanthium albinum in den direkten Uferbereichen mit guter Wasserversorgung ist aufgrund der großen Keimlinge sehr gering. An schlecht mit Wasser versorgten Wuchsorten kann es bei ungünstigen Witterungsbedingungen im weiteren Verlauf der Vegetationsperiode aber zu großen Verlusten kommen.
Zur Fruchtreife beträgt der Anteil der Fruchtstände an der oberirdischen Biomasse etwa 50 Prozent. Xanthium albinum entwickelt pro Individuum im Mittel nur ca. 16 Fruchtstände, maximal wurden an einer Pflanze 3269 Fruchtstände gezählt. Dieses Individuum hatte innerhalb der Vegetationsperiode eine Trockensubstanz von 2,3 kg produziert.
In dichten Xanthium albinum-Beständen mit sehr hoher Vegetationsbedeckung wirkt sich eine größere intraspezifische Konkurrenz durch eine exponentielle Abnahme der Anzahl an Fruchtständen pro Pflanze aus. Auch die mittlere Sproßlänge nimmt in solchen Flächen mit zunehmender Individuendichte an Xanthium albinum-Pflanzen ab. Im Wettbewerb mit mehrjährigen Arten hat es die Elb-Spitzklette schwer, sich zu etablieren. Im weiteren Auenbereich gelingt es nur einzelnen Individuen zu überleben. Dort hat die Art nur in den Senken, die eine längere Zeit bis zum Ende des Frühjahrs überflutet sind, die Chance, sich durchzusetzen und kleinere Teilpopu-lationen aufzubauen.
Xanthium albinum wird nicht von Fraßfeinden oder Parasiten verschont. Sowohl die Laubblätter, das Mark des Stengels als auch die Achänen werden als Nahrung genutzt. In der Vegetationsperiode 1994 wurde die Elb-Spitzklette an einigen Wuchsplätzen stark von Cuscuta campestris YUNCK., einem anderen aus Nordamerika stammenden Neophyten, parasitiert. Der Befall mit dem Teufelszwirn hat eine verringerte Produktion von Diasporen zur Folge.
Die Ausbreitung von Xanthium albinum erfolgt hauptsächlich epizoo-, anthropo- und hydrochor. Mit ihren Klettfruchtständen kann sich die Elb-Spitzklette u.a. in der Wolle von Tieren und Menschen über größere Entfernungen ausbreiten. So konnte sie vermutlich in verschiedene Stromsysteme gelangen. Auch eine Ausbreitung an flußaufwärts gelegene Uferbereiche, z.B. an diejenigen der Elbe, war so möglich. Bei den regelmäßigen Überschwemmungen der Elbaue wird der größte Teil der Diasporen vom Wasser erfaßt. Nur ein geringer Prozentsatz verbleibt dabei in der Nähe des Wuchsortes der Elternpflanzen oder wird mit dem Anstieg des Wasser-spiegels landeinwärts gespült und dort im Substrat eingebettet oder zwischen anderen Pflanzenresten abgelagert. Die Mehrzahl der Diasporen, die durchschnittlich einige Tage lang schwimmfähig bleiben, werden mit der Strömung flußabwärts ausgebreitet. Einige Fruchtstände geraten dabei in strömungsberuhigte Zonen, verfangen sich mit ihren Klettvorrichtungen oder werden übersedimentiert und so einer weiteren Verdriftung entzogen. Der größte Teil geht aber durch den Transport im Wasser und der damit verbundenen starken Beanspruchung verloren.
Xanthium albinum kann rasch neue Wuchsplätze besiedeln, weist hohe Wachstumsraten auf und durchläuft innerhalb kurzer Zeit seinen Lebenszyklus. Diese Art kann dichte, hochwüchsige Bestände ausbilden und produziert wenige Achänen. Aufgrund dieser Merkmale gehört Xanthium albinum zu den Konkurrenz-Ruderal-Strategen.
Ein einfaches Modell für Xanthium albinum wird dargestellt. In dieses Modell gehen einige im Rahmen dieser Arbeit erhobene Daten ein.
In der Pflanzensoziologe ist Xanthium albinum die Kennart des Xanthio albini-Chenopodietum rubri Lohn. et Walther 1950. Dominanzbestände der Elb-Spitzklette, die im Wendland am Elbufer aufgenommen wurden, gehören dieser Assoziation an. Die in Senken im weiteren Auenbereich vorkommenden Dominanz-bestände bilden oft den Übergang zu Flutrasen-Gesellschaften.
Eine Gefährdung der einheimischen Flora, indem sie u.a. seltene Arten verdrängt, geht von Xanthium albinum nicht aus. Auch ist nicht damit zu rechnen, daß die Elb-Spitzklette als Ackerunkraut in größerem Ausmaß in Erscheinung tritt.