An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!
„Vitrum Antimonii“ (von lat. vitrum = Glas) zählt neben Antimonium (Sb2S3) zu den ältesten in Arzneibüchern aufgeführten Antimonpräparaten. Nach Gerald Schröder, der diese und andere Antimonverbindungen untersuchte, trat sie schon im Vokabular des 12. Jahrhundert auf. Ob sie dann schon zu arzneilichen Zwecken verwendet wurde, ist nicht bekannt, denn erstmalig wurde sie im deutschsprachigen Raum in der Augsburger Pharmakopöe von 1646 aufgeführt. Aber bereits 1618 enthielt die Londoner Pharmakopöe dieses Mittel.
Das Präparat aus violetten („hyazinthfarbenen“), durchscheinenden Glaskörpern, auch als Spießglanzglas, Brechglas oder Spießglas bezeichnet, stammt aus einer Drogensammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Chemisch besteht es aus Antimon(III)-oxid und-sulfid. Hergestellt wurde Vitrum Antimonii im Zeitalter der Chemiatrie durch Rösten von Antimonsulfid mit anschließendem Schmelzen. Je nach Zusätzen, von etwa Borax, Steinsalz und weiteren konnte es eine andere Farbe annehmen. Die Schmelze wurde ausgegossen und erstarrte zu einem glasähnlichen Körper, wie das vorliegende Objekt zeigt. Die Verglasung gelang nur, wenn ein bestimmter Schwefelanteil vorhanden war.
Das erzeugte Präparat wurde nicht selbst arzneilich verwendet, sondern in Pulverform in Gefäße gegeben und mit Bier oder Wein übergossen. Die Schmelze konnte auch gleich in Form eines Gefäßes ausgegossen werden. Dieses diente als "Brechbecher" ebenfalls zur Herstellung emetischer (d.h. Brechreiz erzeugender) Getränke. In diesen Gefäßen ließ man über Nacht Bier oder Wein stehen, die am nächsten Tag als Brechmittel dienten.
1670 verstand der Nürnberger Arzt Johannes Hiskias Cardilucius (um 1630 - 1697) mit Vitrum Antimonii hergestellten emetischen Wein als „Praeserfir-Mittel“ der Pestilenz: „so bricht der Mensch die Sammlung der Gallen von sich/ welche sonst leicht die Pest gleich einem Zunder fangen kann“. Emetika waren noch bis ins 18. Jahrhundert geschätzt als die Humoralpathologie Grundlage von Körpervorstellungen, Krankheiten und Therapien war. Brechmittel und auch Abführmittel sollten die „Materia peccans“ aus dem Körper herausbefördern und das Ungleichgewicht der Säfte korrigieren oder, wie am Beispiel der Pest gezeigt, größere Imbalancen im Vorfeld verhindern. Im 19. Jahrhundert hörte der Gebrauch dieses Präparates auf.
Von Anette Marquardt