An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!
Dieser Glaszylinder enthält leuchtend gelbe Stücke Rohschwefel (lat.: Sulphur crudum) und stammt aus der Materialkammer des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Schwefel ist ein Element, das seit der Antike arzneilich verwendet wird und zudem ein wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung ungezählter arzneilicher Verbindungen ist. Schon Pedanios Dioskurides empfahl es im 1. Jahrhundert in seiner Materia Medica unter anderem gegen Husten und Aussatz. Weil Schwefel keratolytisch, antimikrobiell und antiparasitär wirkt, wird er auch heute noch gegen verschiedene Hautkrankheiten eingesetzt. Bis Mitte des 20. Jahrhundert war er darüber hinaus gegen verschiedene Lungenerkrankungen, Verdauungsbeschwerden, Metallvergiftungen und zahlreiche weitere Erkrankungen in Gebrauch. Insgesamt fand Schwefel Verwendung in verschiedenen Behandlungen, bei denen etwas abgestoßen (z. B. Schleim) oder ausgeschieden wurde. Ein Grund dafür könnte sein, dass Schwefel eine schleimlösende, abführende und insgesamt anregende Wirkung zugeschrieben wurde.
Außerhalb der Pharmazie hat Schwefel als Rohstoff Relevanz als Pestizid, zur Herstellung von Schwarzpulver und Sprengsätzen und vor allem für die Produktion von Schwefelsäure, die für viele Prozesse in der Industrie benötigen. Weit zurück reicht außerdem die Praxis, Weinfässer mit Schwefel zu konservieren.
Historisch unterschieden die Arzneibücher zwischen Sulphur vivum („lebendiger Schwefel“), der mineralisch vorkam und Sulphur factitium („gemachter Schwefel“) sowie Sulphur communis („gewöhnlicher Schwefel“), der aus Mineralien oder Kiesen gewonnen wurde. Als Sulphur citrinum war eine leuchtend gelbe Unterart davon in Gebrauch. Sulphur vivum galt als besser wirksam und war auch außerdem vergleichsweise teuer. Der Diskurs, dass vermeintlich natürliche Produkte besser seien, wirkte also auch schon damals. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert war auch der so genannte Rossschwefel oder Sulphur caballinum üblich – Rückstände, die bei der Herstellung des Sulphur factitium entstanden. Seinen Namen erhielt er durch die Anwendung bei Pferden. Die verschiedenen Namen, unter denen Schwefel in der Pharmazie firmierte, leiteten sich also vom Aussehen des Minerals, der Herstellung oder Verwendung ab. Häufig wurden die Schwefelkristalle geschmolzen und in Stangen- oder Röhrenform gegossen oder als Pulver ausgegeben. Sublimierten Schwefel, auch ‚Schwefelblume‘ (Flores sulphuris) genannt, stellten die Apotheken im Mittelalter selbst her, später bezogen sie ihn aus Fabriken. Für die so genannte Schwefelmilch kochten die Pharmazeuten den Stoff mit Kaliumcarbonat in Wasser und fällten ihn mit Säure. Im 19. Jahrhundert wurde auch dieser Prozess von der Industrie übernommen. Zur selben Zeit begannen die Apotheken, Schwefel zu reinigen, zunächst in Wasser, später unter Zugabe von Ammoniakverbindungen. Apotheker dosierten auch die Schwefelprodukte und fanden die entsprechenden Anleitungen in pharmazeutischen Nachschlagewerken. Schwefel kommt in der Nähe von Vulkanen in fester Form und als Gas vor. Heute wird er vor allem als Nebenprodukt in der Erdölaufbereitung gewonnen, aber auch noch in mineralischer Form abgebaut.
Von Janna-Marie Schielke (Seminar „Die Sprache der Objekte“, Sommersemester 2023)