An dieser Stelle stellen wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig vor. Neben dem großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Bestand der Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie einige Objekte aus den vergangenen Monaten!
In der Arzneimittelhistorischen Sammlung der TU befinden sich mehrere Objekte aus unterschiedlichen historischen Beständen ehemaliger Apotheken und Museen mit der Bezeichnung „Lapis specularis“. Andere angegebene Bezeichnungen sind Marienglas, Glacies Mariae, Selenit, Frauenglas sowie weitere. Die Inhalte der Sammlungsgefäße zeigen dünne Platten aus transparenten Gipskristallen, bei denen es sich chemisch um Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4 · 2 H2O) handelt. Alabaster besteht ebenfalls daraus, dieses liegt hier in mikrokristalliner Form vor und weist dadurch andere Materialeigenschaften auf. Lapis specularis wurde schon in der Antike verwendet. Die großen, schönen Stücke gebrauchte man als Fensterscheiben, für Einlegearbeiten oder Verzierungen.
Eine Theorie zur Namensgebung „Marienglas“ und Verwendung des Minerals findet sich in der Oekonomischen Encyklopädie von J. G. Krünitz (1801):
„Der Selenit oder der blätterige Gypsspath ist in Deutschland wenigstens schon im funfzehnten Jahrhunderte unserer lieben Frauen Eis, später Marienglas, und darnach lateinisch glacies Mariae genannt worden. Einige haben es also mit Eis, andere mit Glas verglichen, so wie die Franzosen Eis und Glas glace nennen. Es war sehr gewöhnlich, außerordentliche Sachen, welche Bewunderung erregen, von Gott, von Heiligen oder vom Teufel zu benennen, und so kann dieses Mineral den Beynahmen der Maria erhalten haben. Aber noch wahrscheinlicher ist, daß der Beynahme daher entstanden sey, weil Marienbilder und andere so genannte heilige Waaren mit zerkleintem Spate verschönert werden. So kaufen die Nonnen zu Reichenstein in Schlesien von den Bergleuten farbigen Glimmer, um damit Gotteslämmchen, agnos dei, und andere religiöse Spielwerke zu bestreuen. Diese Ableitung wird dadurch noch gewisser, daß man das Marienglas in den französischen Klöstern auch pierre à Jesus nannte.“
Nicht erwähnt wird in diesem Lexikoneintrag, dass auch dieses Mineral vormals zu Heilzwecken verwendet wurde und somit in Arznei- und Kräuterbüchern sowie in Taxen (z.B. Braunschweiger Taxe von 1721) zu finden ist.
In seinem „Arzeney-Schatz“ beschreibt der Mediziner Johann Schröder (1600–1664) - eine der wichtigsten arzneibuchähnlichen Beschreibungen der Materia medica des 17. Jahrhunderts: „Etliche aber loben ihn sehr in der schweren Noth [körperlicher Schmerz, Krankheit, Geburtswehen oder Fallsucht/Epilepsie im 17. Jh.] /und zur Geburt=Beförderung“.
Unter dem Stichwort „Erd-Glaß“ enthält das Zedler Lexikon (1731-1754) eine kurze Zusammenfassung der arzneilichen sowie der kosmetischen Verwendung von Lapis specularis im 18. Jahrhundert. Eine fast wörtliche Beschreibung findet sich auch in Valentinis Museum Museorum (1704).
„Was seine Eigenschafften anlanget, so ist es in der Artzeneykunst innerlich gegen die schwere Geburts-Arbeit, wie auch die todte Frucht weg zu treiben gebräuchlich, zu welchen Ende es mit dem Borres [Borax], Myrrhen und dergleichen verschrieben wird, weil es gewaltig treibet und stimmuliret: weswegen es auch die monatliche Reinigung derer Weiber befördern kann: Aeusserlich wird es zum Schmincken gebraucht. Aus denen Blättern machen die Closter-Jungfrauen allerhand Galanterien, und legen solche gemeiniglich über ihre Bilder und Heiligthümer“.
Im 19. Jahrhundert finden wir in Hagers Handbuch der Pharmaceutischen Praxis (1883) den Hinweis, dass Lapis specularis nun zu technischen Zwecken, z.B. für die Herstellung künstlicher Blumen und als Tierarzneimittel sowie als Mittel gegen „rosenartige Entzündungen“ und zu „Sympathetischen Kuren“ in Apotheken erhältlich ist.
Von Anette Marquardt