Datum: 1.7.2014
In der Schweiz wie in der Bundesrepublik Deutschland sind Frauen in den Ingenieurwissenschaften nach wie vor stark untervertreten, allerdings gibt es diesbezüglich durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen Disziplinen. Mit vielfältigen Initiativen und Programmen wurde in den letzten Jahren versucht, dieses Ungleichgewicht zu beheben. Die Anstrengungen fokussieren in erster Linie darauf, mehr Frauen für ein technikwissenschaftliches Studium zu interessieren, und weisen ihnen die Bürde des degendering also weitgehend zu. Dabei wird der Frage, wie die technikwissenschaftlichen Fachkulturen zu diesen Ein- und Ausschlussprozessen beitragen, zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Im Gegensatz dazu werden in diesem Vortrag die Fach- und Lehrkulturen der ingenieurwissenschaftlichen Fächer selber in den Blick genommen. Ich greife dafür auf ethnographische Feldforschungen in zwei Fachbereichen einer universitären technischen Hochschule in der Schweiz zurück, den Materialwissenschaften und dem Maschinenbau. Im Zentrum der vergleichenden Analyse steht die Frage, wie die StudienanfängerInnen in ihr Fachgebiet eingeführt und mit dessen Eigenheiten vertraut gemacht werden. Mit Bernsteins Theorie der pädagogischen Codes werden die Unterschiede in den Lehrkulturen der beiden Fächer erfasst und diskutiert. Insbesondere kann gezeigt werden, dass die Mechanismen von Inklusion in die und Exklusion aus der Fachcommunity in unterschiedlichem Masse mit der Konstruktion von Geschlecht verknüpft sind, mit anderen Worten dass die Fachkulturen mehr oder weniger diversitätsoffen sind.
Anne-Françoise Gilbert, Dr. phil., Geographin und Soziologin, ist als Forscherin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern affiliiert und war von 2011 bis 2013 Projektleiterin am Centre de didactique universitaire der Universität Fribourg. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der Gender Studies, der Hochschulforschung sowie der Wissenschafts- und Technikforschung. Sie hat sich insbesondere mit Fragen der geschlechtsspezifischen Studienfachwahl sowie mit der Bedeutung von Geschlecht in technischen Fachkulturen befasst.
Aktuell ist sie als selbständige Expertin an der Schnittstelle zu verschiedenen Praxisfeldern tätig. Zum einen führt sie hochschuldidaktische Weiterbildungskurse zur geschlechtergerechten Gestaltung von Hochschullehre durch und hat ein entsprechendes Online-Tool konzipiert (http://www.unifr.ch/didactic/eval/index.php). Zum anderen ist sie im Bereich der gendergerechten Gestaltung von technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildungen und Curricula aktiv.