Einleitung:
Die Fertigung von komplexen Bauteilen aus Titanlegierungen durch spanende Bearbeitung ist mit hohen Kosten verbunden, da Titanwerkstoffe nur schwer zerspanbar sind. Beispielsweise entfallen etwa 50% der Herstellungskosten eines Turboladerverdichterrades aus Ti6Al4V auf die Zerspanung.
Eine Bearbeitung mit höherer Schnittgeschwindigkeit könnte diese Kosten zu reduzieren helfen. Im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Spanen metallischer Werkstoffe mit hohen Geschwindigkeiten" werden deshalb in diesem Projekt Möglichkeiten untersucht, die meistverwendete Titanlegierung Ti6Al4V so zu modifizieren, daß sie auch bei hohen Schnittgeschwindigkeiten gut bearbeitet werden kann.
Um dies zu erreichen, wurde zunächst ein Finite-Element-Modell des Zerspanprozesses aufgebaut, das es erlaubt, die Gründe für die schlechte Zerspanbarkeit des Materials besser zu verstehen. Aus den Ergebnissen der Simulation wurden dann zwei Legierungsmodifikationen entwickelt, die inzwischen zum Patent angemeldet wurden.
Grundlage der FE-Modellierung ist ein zweidimensionales Modell mit voller thermo-mechanischer Kopplung und automatischer Neuvernetzung (sogenanntes "remeshing"). Dabei wird ein neues Netz über das Berechnungsgebiet gelegt, sobald die Verzerrungen innerhalb des Netzes zu stark werden:
Diese Technik ermöglicht es, in der Scherzone immer ein besonders feines Netz zur Verfügung zu haben. Die Berechnung wird mit dem Programm ABAQUS/Standard durchgeführt, da dieses in der Lage ist, nach einer Neuvernetzung die bisher erzielte Lösung auf das neue Netz zu interpolieren.
Die Neuvernetzung ist besonders dann von großer Bedeutung, wenn sich segmentierte Späne bilden (siehe Bild), da sich in diesem Fall die Topologie der Spankontur stark ändert. Andere Vernetzungsmethoden (beispielsweise die in ABAQUS/Explicit implementiert ALE-Technik), bei denen die Netztopologie erhalten bleibt, sind für diese Problemstellung nicht ausreichend. Zur automatischen Vernetzung der Kontur wurde ein C++-Präprozessor programmiert, der beliebige, von vier Linien berandete Gebiete, vernetzen kann.
Das Bild zeigt die prinzipielle Vorgehensweise bei der Vernetzung eines segmentierten Spans.
Im folgenden Bild sind Simulationsergebnisse für eine Simulation mit einer Schnittgeschwindigkeit von 20m/s und einer Schnittiefe von 0.035mm dargestellt. Der zeitliche Abstand zwischen den Bildern beträgt 1 Mikrosekunde. Dargestellt ist die Größe der plastischen Verformung bei der Bildung eines segmentierten Spans.
Es ist zu erkennen, wie sich die Verformung nach einer anfänglichen Aufstauphase innerhalb eines eng begrenzten Bereichs, des Scherbands, konzentriert. Die eingezeichneten Punkte, die mit dem Material fest verbunden sind, machen deutlich, wie sich anfänglich eng benachbarte Punkte durch die Segmentierung des Spans voneinander entfernen.
Spanuntersuchung:
Die experimentelle Untersuchung der entstandenen Späne ist ebenfalls von großer Bedeutung. Derartige Untersuchungen können wertvolle Hinweise auf den zugrundeliegenden Spanbildungsmechanismus geben.
Die Bilder zeigen zwei Segmente innerhalb eines Lamellenspans. Die beiden Segmente unterscheiden sich drastisch: Im unteren Bild ist eine deutliche Scherzone entlang der Segmentkante erkennbar, im oberen dagegen nicht. Es scheinen also zwei unterschiedliche Bildungsmechanismen vorzuliegen. Ein Vergleich mit dem simulierten Lamellenspan zeigt die gute qualitative Übereinstimmung, allerdings ist die Abscherung im simulierten Lamellenspan größer. Titanlegierungen bilden selbst unter quasistatischen Versuchsbedingungen (bei Schnittgeschwindigkeiten von einigen Millimetern pro Minute) noch Lamellenspäne. Dies deutet darauf hin, daß adiabate Scherbandbildung nicht der einzige Effekt ist, der zur Spanbildung beiträgt.
Legierungsmodifikation:
Zwei Legierungsmodifikationen wurden entwickelt, die die Zerspanbarkeit der Legierung verbessern. In der ersten Variante wird der Titanlegierung Lanthan zulegiert, Der Lanthanzusatz bewirkt dabei kurz brechende Späne, so dass die Schnittkraft gesenkt und der Wärmeeintrag uns Werkzeug verringert werden.
Für die zweite Modifikation wird der Werkstoff zunächst mit Wasserstoff beladen. Der eingelagerte Wasserstoff lässt das Material, erweichen, insbesondere bei höheren Temperaturen, wie sie bei der Zerspanung auftreten. Dadurch sinken die Zerpsnakräfte drastisch, bei hohen Schnittgeschwindigkeiten um bis zu 50%. Nach der Zerspanung kann der Wasserstoff dem Material wieder entzogen werden, so dass sich gegenüber dem Ausgangszustand nahezu unveränderte Materialeigenschaften ergeben.
Einige Pressemitteilungen zum Thema:
Das Projekt war ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TU Braunschweig. Förderung im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Spanen metallischer Werkstoffe mit hohen Geschwindigkeiten"
M. Bäker, "Finite element simulation of segmented chip formation", In: Proceedings of VII International Conference on Computational Plasticity, COMPLAS 2003, E. Onate, D.R.J. Owen (ed.), Barcelona
M. Bäker, J. Rösler, C. Siemers, "The Influence of Thermal Conductivity on Segmented Chip Formation", Computational Materials Science, 26, 2003, 175
M. Bäker, "An Investigation of the Chip Segmentation Process Using Finite Elements", Technische Mechanik, 23, 2003, 1 M. Bäker, "The influence of plastic properties on chip formation", In: Computational Materials Science, Proceedings of the IWCMM12 workshop, Darmstadt 2002
M. Bäker, J. Rösler, C. Siemers, "A Finite Element Model of High Speed Metal Cutting with Adiabatic Shearing", Computers & Structures, 80, 2002, 495-513
M. Bäker, J. Rösler, C. Siemers, "Development of a Finite-Element-Model for the Design of Machinable Titanium Alloys", Proc. of 2nd International Conference High Speed Machining, Darmstadt, 1999