Dieser Blechkasten aus der Arzneimittelhistorischen Sammlung mit der Aufschrift Moschus enthält neben einem Porzellanmörser mit Pistill und 2 Hornlöffeln verschiedene Gefäße mit Inhalt: Moschuspulver und Moschustinktur sowie ein Originalgefäß mit künstlichem Moschus der Firma Schimmel & Co.. Die Geräte und Präparate wurden im 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts von mehreren Apothekergenerationen in Oldesloe verwendet bzw. hergestellt. Der Inhalt und die Art der Aufbewahrung von Moschus in einem Blechkasten entsprach den in Hermann Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis aus dem Jahr 1878 niedergelegten Vorgaben. Wegen des starken Geruchs musste Moschus einschließlich der erforderlichen Geräte zur Herstellung von Präparaten separat von anderen Arzneien aufbewahrt werden.
Moschus, in älteren Schriften auch Bisam genannt, ist das Sekret aus sog. Präputialdrüsen, einer Ansammlung von Drüsen in dem haarigen Moschusbeutel vor den Genitalien des männlichen Moschustiers, eines Paarhufers mit auffälligen Eckzähnen. Es gibt mehrere Arten, die aber eng miteinander verwandt sind, so dass sie meist unter dem Namen "Moschustier" zusammengefasst werden. Moschus-Tiere sind etwa beheimatet in Bergregionen in Mittel- und Ostasien, genauer Indien, Nepal, Bhutan und China, aber auch in Sibirien, Kasachstan und Afghanistan. Der Duftstoff dient wahrscheinlich zum Markieren des Territoriums, eventuell auch zum Anlocken von Weibchen. Um an den begehrten Duftstoff zu gelangen, wurden die Moschustiere getötet. Dann wurde der Beutel abgeschnitten und getrocknet. Durch Wilderei und illegalen Handel gingen die Bestände zurück und Arten sind stark gefährdet, sie stehen großenteils auf der Roten Liste.
Welchem medizinischen Zweck diente Moschus in der Vergangenheit?
Nach humoralpathologischen Vorstellungen galt der Duftstoff Moschus, wie auch verschiedene aromatische Harze und ätherische Öle als „warm und trocken“. Seit dem Mittelalter wurden dem Stoff umfangreiche Wirkungen zugeschrieben und er wurde in verschiedene Zubereitungen eingebracht. Duftstoffe kamen bei Erkrankungen zum Einsatz, die mit Kälte und/ oder Feuchte einhergingen und das Herz oder den Kopf betrafen. Außerdem fanden sie vorbeugend Verwendung in Räuchermitteln zur Beseitigung von Miasmen (feinen Dünsten, die Seuchen auslösen konnten) oder sie dienten der Behandlung von Erkrankungen, insbesondere Frauenkrankheiten.
Über die Vielfalt der moschushaltigen Arzneien, die von der Hofapotheke von 1576 bis 1704 an den Wolfenbütteler Hof geliefert wurden, gibt die Datenbank „Arznei und Confect“ Auskunft. Balsame, Mundküchlein, Mützenpulver, Kraftküchlein, wohlriechende Pulver, Räucherküchlein, Räucherpulver und Salben sind neben Bisamäpfeln nur einige der moschushaltigen Arzneiformen. Welche der duftenden Arzneien drei Herzoginnen im 17. Jahrhundert am Wolfenbütteler Hof bekamen, lesen Sie, wenn Sie das Poster rechts aufschlagen.
Muscon, ein flüssiges Ringketon mit 15 Ringgliedern, ist hauptsächlich für den Geruch verantwortlich. In Parfüms, Seifen und Kosmetika werden heute in Europa industriell hergestellte Ersatzstoffe verwendet.
1888 gelang dem Chemiker Albert Baur die Herstellung eines Moschusduft-Ersatzstoffes. Weitere drei Nitroaromaten ließ er sich patentieren: Moschus-Keton (CAS 81-14-1), Moschusxylol (CAS 81-15-2) und Moschus-Ambrette (CAS 83-66-9). Die künstlichen Ersatzstoffe sind nicht unbedenklich, die Verwendung nach den Verordnungen (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel stark eingeschränkt. Moschusxylol wird als krebserzeugend eingestuft ist deshalb verboten.
Noch im 19. Jh. bis Mitte des 20. Jahrhunderts schrieb man der Substanz zu, allgemein kräftigend und belebend sowie nervenstärkend und krampflösend zu wirken. Im Ergänzungsbuch 6 zum Deutschen Arzneibuch 1948 war Moschus noch aufgeführt, findet heute in Europa keine medizinische Anwendung mehr.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin - z.B. im berühmten Kompendium 本草纲 目 (Bĕncăo Gāngmù) aus dem 16. Jahrhundert - gilt She Xiang (麝香) als Substanz, die Kanäle und Poren öffnet. Es wird ähnlich wie in der galenisch-europäischen Tradition als warm angesehen, kommt aber sowohl bei Störungen kalter Natur als auch bei solchen warmer Natur zum Einsatz. Besonders erwähnt wird die (wieder)belebende Wirkung.
Anette Marquardt und Bettina Wahrig