Kampfer (Februar)

An dieser Stelle präsentieren wir in regelmäßigen Abständen besonders interessante Objekte aus der pharmaziehistorischen Sammlung Braunschweig. Neben der großen, von Wolfgang Schneider in den 1950er Jahren begonnenen Forschungssammlung befinden sich heute auch Objekte aus pharmakognostischen Sammlungen sowie aus verschiedenen Apotheken des 19. und 20. Jahrhunderts im Bestand. Auf der rechten Seite finden Sie die Objekte  der vergangenen Monate. Wenn Sie hierhin zurück navigieren, finden Sie auch die Objekte der Jahre 2024 und 2025.

Von Aroma bis Zündung

Kampfer in Drogensammlung Merck
Kampfer in Drogensammlung Merck

Beim Kampfer handelt es sich um einen bei Zimmertemperatur festen, kristallinen Stoff, der leicht sublimiert und beim Verdunsten einen scharfen, stechenden Geruch verbreitet. Seine Herkunft lässt sich auf den Kampferbaum Cinnamomum camphora zurückführen, für den verwandten, selteneren, leicht gelblichen Borneo-Kampfer ist Dryobalanops aromatica verantwortlich. Beides sind mächtige, auf gemäßigt tropisches Klima angewiesene Bäume, die in China, Japan und Taiwan bzw. Borneo, Malaysia und Sumatra wachsen. Namen für den Kampfer wiesen auf seine wichtigsten Qualitäten hin: Der chinesische Name für den weißen Kampfer ist 樟 脑 (zhang nao), zusammengesetzt aus dem Zeichen für den Kampfer-Baum und dem für "Gehirn". Borneo-Kampfer ist auch unter dem Namen 龙脑 (long nao) bekannt, wobei das erste Zeichen für "Drachen" steht, das zweiter wieder für den Kampfer. Ein weiterer Name ist 香樟 (xiang zhang), wobei das erste Zeichen für "Duft" steht, das zweite ist ein weiterer Name für den Kampfer-Baum. Mit diesen Verbindungen zwischen Duft oder Aroma im Allgemeinen, dem Gehirn und dem in der chinesischen Kosmologie wichtigen Drachen ist schon gesetzt, dass die Substanz für sehr wirksam galt, dass ihr besonders eine Wirkung auf das Gehirn zugeschrieben wurde, und dass sie eine der wichtigsten bekannten aromatischen Substanzen war. Der griechische Name war kafur und dieser bildete wahrscheinlich auch den Ursprung des arabischen.

Im Mittelmerraum war Kampfer spätestens seit dem 4. Jahrhundert vor unserer Zeit, wahrscheinlich aber viel früher, präsent. Aromatische Substanzen spielten in der griechischen Medizin überhaupt eine wichtige Rolle, später auch im arabisch- und im lateinischsprachigen Mittelalter. Ihnen wurde eine heiße und trockene Qualität zugesprochen; da aromatische Düfte von kleinster Substanzmenge sich schnellstens verbreiteten, dachte man, dass die Substanzen sehr fein seien und durch das Siebbein zwischen Nase und Gehirn, das feine Poren aufwies, dringen könnten. Da die Gehirnmasse wiederum als kalt und feucht galt, konnte erklärt werden, warum und wie aromatische Substanzen hier wirkten. Sie konnten beleben, sogar aus Ohnmachten erwecken oder auch anregend wirken. Die Poren des Siebbeins sind nach heutigen Erkenntnissen nicht für Duftmoleküle durchlässig, aber sie lassen die Nervenendigungen der Riechschleimhaut durch und dienen insofern tatsächlich der Weiterleitung olfaktorischer Reize.

Kampferbaum
Kampferbaum historische Kampferfabrik Taipei
Destillationsapparat auf Taiwan um 1900

Ab dem 8. Jahrhundert war in China die Technik der Wasserdampfdestillation bekannt. Ein Teil des Baumholzes wurde in kleine Schnitze zerlegt, und aus diesen wurde mittels des heißen Wassers der Kampfer herauslöst, der mit dem Wasserdampf aufstieg, im oberen Teil des Apparats kondensierte und von dort abgesammelt und ggf. weiter gereinigt werden konnte. Da die Kampferbäume sehr groß und mächtig waren, lieferte ein einziger Baum für lange Zeit das begehrte Produkt.

Gleichzeitig gelangte in die Pharmazie des Mittelmeerraums, besonders in die arabischsprachige, eine große Palette an Verwendungsmöglichkeiten von Kampfer. Im 12. Jahrhundert bezeichnete ihn Hildegard von Bingen als kühlend bei Fiebern und stärkend bei Schwäche und Ohnmachten. Er sollte üble Gerüche zerteilen und Lebens- oder Arzneimittel vor dem Verderb, auch etwa vor Insektenbefall, bewahren. Der Einsatz als Desinfiziens und Repellent war auch im asiatischen Raum breit dokumentiert. Eine arabische Enzyklopädie aus dem 15. Jahrhundert erwähnt Kampfer als Zutat in verschiedensten Arzneiformen. Seine Wirkung wird als kühlend und als Geschmackskorrigens beschrieben. Er kam vor allem in Getränken, aber auch Einreibungen, Umschlägen, seltener zum Inhalieren, und in vielen Zahnpasten und -pulvern vor.

Zwischen dem 16. und dem frühen 18. Jahrhundert orderte die fürstliche Familie der Welfen in Wolfenbüttel insgesamt 73 Mal explizit Kampfer oder kampferhaltige Medikamente von der Hofapotheke. Da die Substanz eine wichtige Zutat für zahlreiche Rezepte war, vor allem in Pflastern und aromatischen Mischungen, dürfte das Ausmaß des in der Apotheke verarbeiteten Kampfers aber sehr viel höher gewesen sein. Zweimal orderte der Herzog auch Kampfer zur "Artollerey", d.h. Artillerie. Kampfer wurde aufgrund seiner leichten Entzündlichkeit schon früh zu Kriegszwecken eingesetzt, hier handelte es sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach um Experimente mit Feuerwerkskunst. Interessant ist, dass auch der Schneider, ein Hofmeister und ein Kind mit Kampfer versorgt wurden, ebenso der Einheizer und der Drucker, die sich offensichtlich verbrannt hatten und aufgrund von dessen kühlenden Eigenschaften Kampfer verordnet bekamen.

Razept für kampferhaltiges Froschlaich- Pflaster 1695
Froschlaichpflaster ca 1900, Alte Apotheke Wolfenbüttel
Pflasterherstellung im 16. Jahrhundert
Kampfer-Spiritus, Alte Apotheke Wolfenbüttel

Im 19. Jahrhundert ging in der europäischen Medizin die Tendenz vom vielfach zusammengesetzten Medikament weg, und das System der vier Elemente wurde für Erklärungen ihrer Wirkung nicht mehr herangezogen. Stattdessen wurde nach einzelnen Inhaltsstoffen von Arzneien gesucht und nach spezifischen Erkrankungen, auf die diese wirken sollten. Nun war das Destillationsprodukt Kampfer bereits eine einfache Substanz. Ausgehend von der Erfahrung seiner desinfizierenden Wirkung wurde er für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Die kühlende Wirkung wurde bei fiebernden Kranken durch äußerliche Anwendung genutzt, indem man z.B. Fieberkranke mit Kampferwein oder Kampferspiritus einrieb.

Kampfermolekül
Kampfermolekül

Die Tendenz zur Rationalisierung des medizinischen Wissens, für akademische Medizin und ebenso für Hausrezepte von weniger Wohlhabenden, ergriff auch den Kampfer, zumal er auch von Laien zu selbst erstellen Zubereitungen angewendet werden konnte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erzwangen Europäer und Amerikaner die Öffnung der Häfen in China und Taiwan und konnten das Handelsvolumen mit Kampfer auch durch verstärkte Ausbeutung von Natur und Menschen erheblich vergrößern. Trotz starker Preisschwankungen blieben Kampfer und chemisch erzeugte Ersatzstoffe wie Pinen populäre Bestandteile der Hausmedizin. Ja, sie setzten sich jetzt als Mittel zum Inhalieren besonders bei Atemwegserkrankungen und als Desinfiziens und Repellens erst richtig durch.

Honoré Daumier Les Cigarettes de Camphre, 1845
Honoré Daumier Les Cigarettes de Camphre, 1845
Raspail 1839 Kampferzigaretten
Raspail 1839 Kampferzigaretten
Kampfer, Detail aus Drogensammlung Merck

Zwischen 1862 und 1881 wurde die chemische Strukur von Kampfer aufgeklärt: Er wurde als Ringsubstanz erkannt und in die Gruppe der Terpene eingeordnet. Diese Gruppe spielt eine wichtige Rolle für die Erforschung der Aromastoffe, aber auch für die allgemeine Entwicklung der organischen Chemie. Mit deren Hilfe entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Industriebranchen wie die der synthetischen Farben, und es begann das sogenannte "Plastikzeitalter".

In der Tat war Celluloid das erste thermoplastische Material, bei dem es 1869 gelungen war, mit Hilfe chemisch-technischer Kunstgriffe aus langen Ketten von organischen Molekülen eine formbare Masse zu erzeugen, die sich zu fast allen gewünschten Gegenständen und Formen des täglichen Bedarfs verarbeiten ließ. Neben einer zuvor bearbeiteten, nitrierten Zellulose-Masse auf der Basis von Baumwolle - oder später auch Holzspänen - war Kampfer unerlässlich, um Celluloid zu produzieren. Er brachte die aus Zuckermolekülen bestehenden Zellulosefasern dazu, sich zu vernetzen und abhängig von der Temperatur entweder formbar oder fest zu sein. 1908 betrug der Nettoexport von Celluloid und Celluloid-Produkten aus Deutschland allein ca. 27.000 Tonnen. Celluloid enthielt ca. 10 % Stickstoff und um die 30% Kampfer. Daraus erhellt, welche riesigen Mengen an Kampfer aus Ostasien damals importiert wurden. Da Japan als Kolonialmacht in Taiwan quasi das weltweite Monopol hatte, gingen die Preise zeitweilig stark nach oben. Dadurch wurden die Anstrengungen im Westen, Kampfer zu synthetisieren, verstärkt. Obwohl das gelang, war die technische Herstellung schwierig und kostenintensiv.

Zelluloidfabrik Leizipg 1890
Zelluloidfabrik Leizipg 1890

Über die Schwankungen hinweg beherrschte auf längere Sicht natürlicher Kampfer weiterhin den Weltmarkt. Auch die ersten Filme entstanden aus Celluloid. Da sich die Filme durch die Hitze der Projektionslampen leicht entzündeten, löste bald Acetylcellulose das Material ab. Übrigens ereigneten sich auch in der Celluloid verarbeiteten Industrie zahlreiche Brände, oft mit tödlichem Ausgang. Belüftung der Räume, äußerst sorgfältiger Umgang mit Celluloseresten und größte Vorsicht bei Anwesenheit von Lichtquellen (Petroleum, Gas, schlecht isolierte Elektrizität) brachten mit der Zeit eine Verbesserung, auf die auch die Arbeiterinnen und Arbeiter zunehmend drangen. Apropos Zündung: Neben Ihrer Rolle als Ausgangsmaterial für Celluloidherstellung war Nitrozellulose auch das Trägermaterial für Dynamit, und Kampfer wurde neben ihr in Zündmaterial für Bomben zentral.

Makatussin
Herzmittel mit Kampfer
Kampfer zur Injektion

Die Rolle von Kampfer als Mittel zur Stärkung der Lebensfunktionen oder sogar zur Wiederbelebung verschwand aber weder durch seine massive gewerbliche Verarbeitung noch durch die anhaltende Popularität als Therapeutikum der Atemwege. So wird in einer dramatischen Szene in Michael Bulgakows satirischem Roman "Hundeherz" (1925) das Herz eines gerade auf dem Wege der operativen Verwandlung in einen Menschen befindlichen Hundes nur dadurch vor dem Stillstand bewahrt, dass ihm eine Kampferinjektion verpasst wird. Obwohl seit den 1930er Jahren mit Adrenalin eine wirksame Substanz zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktion bei Herzversagen zur Verfügung stand, behauptete injizierbarer, gereinigter Kampfer bei Kreislaufstillstand eine Rolle, wie die in der Arzneimittelhistorischen Sammlung erhaltene Schachtel mit Ampullen aus Armeebeständen belegt.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg behielten Balsame und Ölmischungen zum Einreiben nicht nur bei Erkrankungen der Atemwege, sondern auch bei Kopfschmerzen ihre Bedeutung. In irgendeiner Weise schienen sie doch den Weg aus der Nasenschleimhaut ins Gehirn zu finden und uns von stockendem Atem und Kopfschmerzen zu befreien.

 

Bettina Wahrig und Anette Marquardt