"Synchrone und asynchrone Simulationsmodelle langer Eisenbahnstrecken im Einrichtungsbetrieb für elektronische Digitalrechner - Funktionsweise und Anwendungsbeispiele zur Formulierung betrieblicher und baulicher Entscheidungshilfen"; Dissertation 01.07.1976.
Bei der Dimensionierung von Eisenbahnstrecken steht der Verkehrsingenieur vor dem Problem, zur Deckung einer geforderten Verkehrsleistung zwischen Anlagengröße, Betriebsleistung und Betriebsqualität ein ausgewogenes kostengünstiges Verhältnis zu erzielen Da Erfahrungswerte nicht immer übertragbar sind und mathematisch-analytische Verfahren hinsichtlich des Umfanges und der Zahl der Parameter des Entscheidungsobjektes Grenzen gesetzt sind, bietet sich in neuerer Zeit im zunehmenden Maße die Simulation des Eisenbahnbetriebes mit Hilfe von EDV-Anlagen an, um die Auswirkungen eisenbahntechnischer Planungen im Zielzustand sichtbar zu machen.
Aus dem aktuellen Anlaß des Ausbauprogramms der Deutschen Bundesbahn war daher in der vorliegenden Arbeit die Aufgabe gestellt, für lange Eisenbahnstrecken im Einrichtungsbetrieb und seitenrichtig liegenden überholungsgleisen - unter besonderer Berücksichtigung von Schnellfahrten - ein Simulationsmodell zu entwickeln und seine Anwendungsmöglichkeiten für bauliche und betriebliche Entscheidungshilfen aufzuzeigen. Bei der Konzeption der Programme wurden die den Betriebsablauf beeinflussenden Parameter der Strecke und insbesondere der einzelnen überholungsstellen im Detail und frei wähl-bar als Variable eingeführt, um eine Zugfahrt ohne pauschale Zeitzuschläge mit den betrieblich oder bau-lich erforderlichen Abweichungen von der fahrzeugtech-nisch möglichen Höchstgeschwindigkeit exakt in ihrem Zeit-Weg- und Geschwindigkeits-Weg-Verlauf darstellen zu können. Als Sicherungssystem wurde der Linienlei-ter gewählt.
Die fortlaufende Berücksichtigung der betrieblichen und' baulichen Randbedingungen führt bei synchronen Simulationsverfahren mit kleinen Zeitschritten im Fal-le von Fernstrecken zu einem nicht realisierbaren Re-chenzeitbedarf. Aus diesem Grunde mußten in den bisher bekannt gewordenen Arbeiten weitgehende Vereinfachungen in Kauf genommen werden. Im Rahmen dieser Studie wurde ein asynchrones Simulationsmodell entwickelt, bei dem die Züge im Sollzustand simulationstechnisch größere Entfernungen in der Reihenfolge vorgegebener Modellpunkte überspringen, für die die exakten fahrdynamischen Zustandswerte der einzelnen Zuggattungen bereits mit einem Modellprogramm vorab berechnet und in einer Datei abgespeichert worden sind. Nur im Falle der akuten Abstandshaltung löst sich der Zug vom Modell-punktraster und der Istzustand wird der betrieblichen Situation entsprechend berechnet. Diese Methode er-spart Vielfach-Berechnungen der Sollzustände und er-reicht gegenüber einem aus Vergleichsgründen aufgestellten synchronen Simulationsmodell, in dem bereits ebenfalls rechenzeitsparende Elemente eingebaut wor-den sind, zum Teil einen mehr als 100-fachen Rechenzeitgewinn. - Dieses asynchrone Verfahren läßt sich ohne Schwierigkeiten auch auf ortsfeste Signale und punktförmige Zugbeeinflussung übertragen.
In Anwendungsbeispielen wurden Methoden zur Formulie-rung baulicher und betrieblicher Entscheidungshilfen aufgezeigt. Ausgangspunkt der Untersuchungen bildete jeweils ein ungesteuerter Betrieb, bei dem sich auf Grund des Betriebsprogrammes und des Ausbauzustandes einer Strecke im Hinblick auf die Behinderungen ein natürliches Gleichgewicht einstellte, aus dem dann die Verträglichkeit von Geschwindigkeitsklassen, Mischungs-verhältnissen und Streckenbelastung abgeleitet werden konnte.
Geht man zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Strecke nicht allein von einem einzigen Betriebspro-gramm aus, sondern berücksichtigt, daß bei geringfügiger änderung der betrieblichen Ausgangssituation die Auswirkungen auf die Betriebsqualität begrenzt bleiben müssen, so sollte der überholungsstellenab-stand nicht über 20 km liegen. Ein zweites überholungs-gleis je Betriebsstelle erscheint nur bei extremen Differenzen der Geschwindigkeitsklassen geboten. Da-gegen erwies sich die Wahl der Weichen als sekundäres Problem, das keinen spürbaren Einfluß auf die Streckenleistung ausübt. Es wäre daher aus wirtschaftlicher Sicht - auch bei Beachtung von Schnellfahrten - wenig vorteilhaft, die zulässige Weichengeschwindigkeit mit 100 km/h und mehr zu planen.
Grundsätzlich üben die langsamen Züge den entschei-denden negativen Einfluß auf die Betriebsqualität aus. Durch Heraufsetzen der Geschwindigkeit dieser Zuggat-tungen, Verringerung ihres Anteiles an der Mischung oder gar entmischte Betriebsführung tritt eine ganz entscheidende Senkung des Verspätungsniveaus ein. Da-her wäre es ratsam, die Geschwindigkeit der langsamen Züge im Rahmen eines Betriebsprogrammes mit Schnell-fahrten und gemischter Betriebsweise nicht unter 140 km/h anzusetzen. Der ungünstige Einfluß der Streckenbelastung auf die Zahl der Konfliktsituationen wird ab 100 Zügen pro Tag zunehmend stärker. Insbesondere bei ungünstiger Mischung der Geschwindigkeitsklassen liegt bei 125 Zü-gen pro Tag offensichtlich eine qualitative Schranke.
In einer abschließenden Untersuchung wurden Steuerungs-algorithmen vorgestellt, die es gestatten, ausgehend vom natürlichen Gleichgewicht des ungesteuerten Be-triebes, die Betriebsqualität der schnellen Züge bis zum behinderungsfreien Zustand stufenweise zu verbes-sern. Dabei zeigte sich nach dem Grundsatz der Technischen Mechanik ein gewisses Aktions-Reaktions-Verhalten der einzelnen Zuggattungen in der Verspätungsentwicklung: Jede Verbesserung eines schnellen Zuges hat eine überproportionale Verschlechterung eines langsamen Zuges zur Folge. Dem entgegenwirkende Steuerungsalgorithmen, die die Verspätungen der langsamen Züge reduzieren und die der schnellen Züge in kalkulierbare Grenzen halten, erlauben es, ein ausgewähltes Qualitätsniveau gezielt anzusteuern.
Auf der Grundlage der asynchronen Simulation konnten Untersuchungsmethoden entwickelt werden, die es ermöglichen, den Betriebsablauf in extremen Situationen zu überprüfen
Damit ist ein Instrument geschaffen worden, um Betriebs-programme und Ausbauzustände von Strecken nicht nur nach ihrem Verhalten im Regelbetrieb zu testen, sondern die Reaktion der latent im System wirkenden Kräfte aufzu-zeigen, die bei Veränderung der Ausgangssituation aktiviert werden.