Wir trauern um Prof. Dr.-Ing. Jörg Schwedes, der uns am 21. August 2018 im Alter von 80 Jahren verlassen hat. Mit ihm haben wir einen herausragenden Wissenschaftler und Pionier auf vielen Gebieten der mechanischen Verfahrenstechnik, einen Wegbereiter für internationale Zusammenarbeiten, einen ausgezeichneten Hochschullehrer, einen Mentor der Schüttguttechnik-Community, einen exzellenten Lehrer und für viele einen sehr guten Freund verloren. Unsere Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, insbesondere seiner Familie und engen Freunden.
Jörg Schwedes studierte Verfahrenstechnik, promovierte an der Technischen Hochschule Karlsruhe (heute KIT) bei Professor Hans Rumpf und war einer der ersten Rumpf-Schüler in dem Gebiet der Mechanischen Verfahrenstechnik. Er war der erste Forscher in Deutschland, der sich wissenschaftlich mit den Fließeigenschaften von Schüttgütern beschäftigt hat, wobei er ein Jenike-Schergerät sowie ein selbst entwickeltes „Einfach-Schergerät“ eingesetzt hat. Sehr bekannt wurde Jörg Schwedes in Deutschland durch sein noch während der Promotion geschriebenes Buch über die Fließeigenschaften von Schüttgütern und über das Vorgehen zur Auslegung von Silos zur Vermeidung von Fließproblemen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Nach seiner Promotion im Jahr 1971 arbeitete er einige Jahre bei der Bayer AG im Bereich der Forschung und Entwicklung und transferierte das Wissen zur verfahrenstechnischen Siloauslegung in die chemische Industrie, bevor er 1976 als Professor für Mechanische Verfahrenstechnik an die TU Braunschweig wechselte.
Fast 30 Jahre lang leitete Jörg Schwedes das Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und setzte dabei seine Forschung im Bereich der Schüttguttechnik, insbesondere der Messung der Fließeigenschaften, mit neuartigen Schergeräten wie der Zweiaxialbox und der Auslegung von Silos fort. Zudem baute er das Forschungsgebiet der Zerkleinerung auf und aus, insbesondere auch der nassen Feinstzerkleinerung mit Rührwerkskugelmühlen. Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten lag ihm die praxisorientierte Anwendung immer sehr am Herzen. Die industrielle Beratungstätigkeit führte dann auch zur Gründung des Ingenieurbüros Schwedes + Schulze Schüttguttechnik, das heute das führende Ingenieurbüro auf dem Gebiet der Schüttguttechnik in Europa ist. Zudem führte er jährlich einen Hochschulkurs zur Siloauslegung für Industriemitarbeiter durch.
Jörg Schwedes war aber nicht nur sehr aktiv in der Forschung, sondern ihm lagen auch die Lehre, wofür er mehrfach ausgezeichnet wurde, und die universitäre Selbstverwaltung sehr am Herzen. Unter anderem war er von 1982 bis 1984 Vize-Präsident der Universität und von 1989 bis 1991 Dekan der Fakultät Maschinenbau. Ein sehr wichtiger Beitrag für die Universität war sein großes Engagement für den Aufbau eines europäischen Studierenden-Austauschprogramms mit der Kurzbezeichnung „ECTS“ (European Credit Transfer System), bei dem die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen erarbeitet und etabliert wurde. Diese Pionierarbeit mit ausgesuchten Universitäten in Europa war die Grundlage für das heutige Erasmus-Austauschprogramm, an dem nahezu alle europäischen Universitäten teilnehmen.
Außerhalb der Universität hinterließ Jörg Schwedes einen nachhaltigen Eindruck in der deutschen, europäischen und internationalen Wissenschafts-Community. Unter anderem leitete er lange Jahre den deutschen Fachausschuss “Agglomerations- und Schüttguttechnik” und war ein zentrales Mitglied der gleichnamigen europäischen Arbeitsgruppe. In diesem Kontext hat er sich vor und nach der Wiedervereinigung sehr für einen Austausch mit den ostdeutschen und osteuropäischen Fachkollegen engagiert. Wichtige wissenschaftliche Erfolge waren auch die Einrichtung des DFG-Schwerpunktprogramms zur Erzeugung, Klassierung, Abscheidung und dem Messen von feinsten Partikeln, welches die deutschen Arbeitsgruppen der Mechanischen Verfahrenstechnik deutlich näher zusammengebracht hat. An der TU Braunschweig leitete er zudem eine Forschergruppe im Bereich disperser Systeme in biotechnologischen Prozessen. Diese starke Verbindung von Biotechnologie und Verfahrenstechnik ist weiterhin an der TU Braunschweig sehr aktiv.
Während seiner wissenschaftlichen Karriere veröffentlichte er mehr als 500 Artikel und war eingeladener Redner auf zahlreichen Konferenzen. Er betreute mehr als 50 Doktoranden und unzählige Diplomstudierende, die heute in führenden Positionen der Industrie und Wissenschaft tätig sind. Er hat einen sehr hohen Grad an Autorität und Respekt durch seine offene Art in Verbindung mit seiner herausragenden Kompetenz bei seinen Schülern erlangt.
Die wissenschaftliche und industrielle Gemeinschaft der Mechanischen Verfahrenstechnik verliert mit Jörg Schwedes einen exzellenten und leidenschaftlichen Wissenschaftler und Experten im Bereich der Schüttguttechnik, der Siloauslegung und der Zerkleinerung und einen großartigen Menschen. Wir vermissen ihn und seinen analytischen Verstand sehr, und nicht nur deswegen wird er unvergesslich als Vorbild, Freund und charismatischer Begleiter unseres persönlichen und fachlichen Weges in unseren Herzen und unseren Gedanken bleiben.