Förderung resilienter Anpassungsprozesse in verschiedenen Lebensphasen
Aufbauend auf unserem Verständnis von Resilienzfaktoren und -mechanismen, die resiliente Anpassungsprozesse beeinflussen, erforschen wir, wie Resilienz in verschiedenen Lebensphasen gezielt gestärkt werden kann. Derzeit konzentrieren sich die meisten verfügbaren Programme zur Resilienzförderung vor allem auf die Stärkung individueller und sozialer Resilienzfaktoren. Programme, die spezifisch auf Resilienzmechanismen abzielen, sind hingegen noch selten. Unsere Arbeitsgruppe bündelt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit bestehender Resilienzprogramme. Auf dieser Basis entwickeln wir neue evidenzbasierte Ansätze, die insbesondere Kinder und Jugendliche sowie Menschen in ressourcenarmen Lebensumständen dabei unterstützen sollen, resilient auf Herausforderungen zu reagieren.
Es gibt eine ganze Reihe von Programmen und Trainings (auch genannt: Resilienzinterventionen), die Resilienz fördern sollen (Liu et al., 2020). Das Gros dieser Resilienzinterventionen folgt dabei dem Rational, dass durch die Stärkung von Resilienzfaktoren - meist im Individuum, seltener in Gruppen - mittelbar resiliente Anpassungsprozesse gefördert werden. In unserer Arbeitsgruppe fassen wir gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Lieb des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) systematisch Studien zusammen, die die Wirkung solcher Resilienzinterventionen untersuchen. Dabei ist die Wirksamkeit vieler Programme und Trainings umstritten: Oftmals sind die Effekte unmittelbar nach Ende der Intervention klein bis moderat, verschwinden bei der Betrachtung längerer Beobachtungszeiträume (z. B. nach einigen Monaten) und wenn aktive Kontrollgruppen genutzt werden (Schäfer et al., 2024). Für Kinder und Jugendliche fehlen günstige Effekte oftmals bereits unmittelbar nach Ende der Intervention (Pinto et al., 2021). Ein wichtiges Ziel von Programmen und Trainings zur Resilienzförderung ist die Vorbereitung von Individuen und Gesellschaften auf zukünftige Stressbelastungen. Bislang fehlt es jedoch an der Resilienzintervention, die im Krisenfall schnell vielen Menschen zur Verfügung gestellt werden kann. Auch gibt es kein kleines Set an Resilienzinterventionen, deren Wirksamkeit gut belegt ist. Es liegt nahe, dass das Stärken von Resilienzfaktoren kein alleiniger Schlüssel zur Förderung von Resilienz sein kann.
Bislang konzentrieren sich wenige Resilienzinterventionen auf Resilienzmechanismen wie positive Neubewertung oder regulatorische Flexibilität (im engeren Sinne). Selbst Resilienzinterventionen, die positive Neubewertung (Behrendt et al., 2023) oder verschiedene Formen von Flexibilität (z.B. Archer et al., 2024) adressieren, fokussieren häufig stärker die stabilen Aspekte dieser Resilienzmechanismen im Sinne überdauernder Unterschiede zwischen Menschen positiv neuzubewerten oder flexibel zu denken oder zu handeln. Damit fehlen Resilienzinterventionen, die Resilienzmechanismen im Sinne eines adaptiven Umgangs mit einer akuten Stressbelastung in den Mittelpunkt rücken.
Fehlen Resilienz(mechanismus)interventionen vollkommen? Nein, häufig werden sie jedoch unter einem anderen Label beforscht. So adressieren beispielsweise transdiagnostische niedrigschwellige Interventionen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) explizit stressbelastete Populationen (z. B. Menschen nach Flucht und Vertreibung). Beispiele hierfür sind die Programme Problem Management Plus (PM+) und Early Adolescent Skills for Emotions (EASE), die sich an stressbelastete Populationen in Settings mit geringen Ressourcen richten. In verschiedenen Projekten unserer Arbeitsgruppe, die gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Resilienzforschung entstanden sind, beschäftigen wir uns mit der Wirksamkeit und Implementation solcher Interventionen. In zwei systematischen Reviews konnten wir zeigen, dass niedrigschwellige transdiagnostische Interventionen kleine bis mittlere wünschenswerte Effekte bei Erwachsenen haben (Schäfer et al., 2023a, 2023b). Für Kinder und Jugendliche sind die Effekte kleiner, oftmals nicht klinisch signifikant und schwanken stark zwischen verschiedenen Einzelstudien (Schäfer et al., 2023a, Schaubruch et al., under review).
Die Gründe für kleinere und weniger konsistente Effekte bei Kindern und Jugendlichen können vielfältig sein und betreffen nicht nur den Bereich niedrigschwelliger transdiagnostischer Interventionen zur Gesundheits- und Resilienzförderung. Beispielsweise zeigt sich auch, dass Kinder und Jugendliche oftmals weniger stark von Psychotherapien profitieren als Erwachsene mit derselben psychischen Störung (Cuijpers et al., 2020; Eckshtain et al., 2020).
Welche Gründe kommen hierfür in Frage? Forschende, die Programme und Trainings für Kinder und Jugendliche entwickeln, sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. So ist das Erleben und Verhalten in diesen Entwicklungsphasen noch stärker durch das soziale Umfeld geprägt - beispielsweise haben Familie und Schule eine große Bedeutung (Masten, 2020). Viele Interventionen zur Gesundheits- und Resilienzförderung bleiben jedoch auf das Individuum (d. h. das einzelne Kind, den einzelnen Jugendlichen) fokussiert und vernachlässigen somit wichtige Systemvariablen. Zugleich bestehen Hinweise darauf, dass der Einbezug des sozialen Umfelds die Wirksamkeit von Interventionen positiv beeinflusst (Shucksmith et al., 2011). Auch stellt die dynamische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Interventionsmaßnahmen vor Herausforderungen (z. B. müssen Trainings an sich entwickelnde kognitive Fähigkeiten der Teilnehmenden angepasst werden; Stallard, 2013). Eine weitere Herausforderung stellt nicht selten die Motivation der Teilnehmenden dar. So ist oftmals ein kleinerer Teil eigenmotiviert als in vergleichbaren Gruppen von Erwachsenen (Rickwood et al., 2015; Ogrodniczuk et al., 2018).
Nur Herausforderungen? Nein, zugleich bietet das Training von Resilienz bei Kindern und Jugendlichen besondere Chancen (Jiang et al., 2022). Interventionen finden in einer Entwicklungsphase statt, in der adaptive Lernprozesse nachhaltig positive Veränderungen bewirken können, die das Potenzial haben lebenslang eine resilienz- und gesundheitsfördernde Wirkung zu entfalten. Ziel unserer Arbeitsgruppe ist es mit evidenzbasierten Programmen zur Resilienz- und Gesundheitsförderung hierzu einen Beitrag zu leisten.
Aktuelle Forschungsprojekte in diesem Bereich
STRESS-Care: Ein Stepped-Care-Programm zur Förderung von Resilienz und Reduktion psychischer Belastung bei jugendlichen Schüler*innen
Niedrigschwellige transdiagnostische Interventionen erweisen sich in systematischen Reviews als wirksamer als klassische Resilienz(faktor)trainings. Im Rahmen des STRESS-Care-Projekts entwickeln wir gemeinsam mit sechs nationalen Partnern eine eben solche niedrigschwellige transdiagnostische Intervention für jugendliche Schüler*innen in 8. und 9. Klassen weiterführender Schulen in Deutschland. Dabei stehen Jugendliche in dieser Altersgruppe im Fokus, da die Neuerkrankungsrate bei ihnen am höchsten ist (Solmi et al., 2022).
➔ Basierend auf bereits erprobten evidenzbasierten Programmen wie z. B. BEWARE und START wird eine neue niedrigschwellige transdiagnostische Intervention gemeinsam mit Schüler*innen und relevanten Stakeholdern entwickelt, die anschließend in einer randomisiert-kontrollierten Pilotstudie sowie einer großangelegten Wirksamkeitsstudie getestet wird.
Projektstart: 1. Oktober 2025 (voraussichtlich) Kooperierende Studienzentren: Universität des Saarlandes (Prof. Dr. Monika Equit), Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (Prof. Dr. Daniela Fuhr), Zentralinstitut für Seelische Gesundheit/Leibniz-Institut für Resilienzforschung (Prof. Dr. Michèle Wessa), Universität Leipzig (Prof. Dr. Julian Schmitz), Universität Jena (Prof. Dr. Julia Asbrand), Universitätsmedizin Würzburg (Prof. Dr. Marcel Romanos) Kooperierende Kommune: Stadt Wolfsburg Finanzielle Förderung: Das Projekt wird finanziell gefördert durch den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses (Förderkennzeichen: 01NVF23034, 01NVF24317).
Niedrigschwellige psychosoziale Interventionen für stressor-exponierte Populationen
Manche Lebensumstände machen es deutlich wahrscheinlicher, dass Menschen intensiven Stressbelastungen ausgesetzt sind – hierzu zählt beispielsweise ein Lebensmittelpunkt in Ländern mit geringem und niedrigem Einkommen. Diese Umstände zwingen Menschen beispielsweise zur Flucht – eine Stressbelastung, die mit einem deutlich erhöhten Risiko für psychische Störungen einhergeht.
Für diese Gruppen entwickelt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2016 eine Reihe niedrigschwelliger psychosozialer Interventionen (z. B. Problem Mangement Plus), die Menschen beim Umgang mit diesen Herausforderungen unterstützen sollen. In systematischen Reviews und Metaanalysen beschäftigt sich unsere Arbeitsgruppe gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Resilienzforschung sowohl mit der Wirksamkeit als auch mit der Implementation solcher Interventionen in verschiedenen Altersgruppen. So konnten wir zeigen, dass die WHO-Intervention Problem Mangement Plus moderate bis große positive Effekte auf die psychische Gesundheit von Erwachsenen hat (Schäfer et al., 2023). Weniger günstige Effekte zeigten sich bei einer Zusammenfassung bisheriger Untersuchungen zur WHO-Intervention für Kinder und Jugendliche (Schaubruch et al., under review).
➔ Mit unseren systematischen Reviews und Metaanalysen möchten wir zu einer besseren Versorgung von Risikopopulation mit evidenzbasierten Interventionen beitragen.
Projektstart: fortlaufend, seit 2022 Finanzielle Förderung: keine
Mentale Gesundheit(skompetenzen) in MINT-Fächern
Studierende und Forschende in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT-Fächern) zeigen im Vergleich zu anderen Disziplinen eine geringere psychische Gesundheit. Gleichzeitig findet das Thema psychische Gesundheit in MINT-Fächern bislang kaum Beachtung und eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Herausforderungen in verschiedenen Phasen der akademischen Karriere fehlt fast völlig. Diese Lücke soll eine Reihe von Projekten schließen, in denen wir uns mit der Bedeutung psychischer Gesundheit sowie mentalen Gesundheitskompetenzen bei Studierenden sowie Forschenden in MINT-Fächern beschäftigen. In einem ersten Artikel weisen wir auf den Handlungsbedarf in diesem Bereich hin (Pester et al., 2025). Gegenwärtig arbeiten wir an der Auswertung einer Studie zu mentalen Gesundheitskompetenzen bei Betreuenden von Promotionsarbeiten in Deutschland und den USA sowie an einer Zusammenstellung potenzieller individueller sowie organisationaler Maßnahmen zur Stärkung mentaler Gesundheit(skompetenzen) an internationalen Universitäten.
➔ Basierend auf unseren Erfahrungen im Bereich der Resilienz- und Gesundheitsförderung möchten wir dazu beitragen, mentale Gesundheit(skompetenzen) in MINT-Fächern zu stärken, sodass das gesamte akademische System nachhaltig profitieren kann.