Literatur bringt Menschen zusammen, im Rahmen von Lesungen und im persönlichen Austausch. Das durften wir – der Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur der TU Braunschweig – am 24.06.2022 mit allen anwesenden Helfer*innen, Besucher*innen und Autor*innen gemeinsam auf dem LiteraTUr-Festival Campus Nord mit Popcorn, Eis und Streetfood feiern. Das nachmittäglich-abendliche Lese-Event mit der Kinderbuchautorin Tamara Bach, dem Jugendbuchautor Nils Mohl sowie den beiden Erwachsenenautorinnen Yannic Han Bio Federer und Jenny Erpenbeck machte im Rahmen des Forschungsprojektes „Gegenwartspoetiken – Literatur im öffentlichen Raum“ (Volkswagen Stiftung) die Dimensionen von Literatur als einem Medium mit soziokultureller Gestaltungskraft besonders anschaulich. In sommerlicher Atmosphäre lauschten die Anwesenden den vorgelesenen Texten und ließen sich voller Interesse auf die Geschichten ein, die die Autor*innen ihnen von der kleinen Bühne vor dem Holzpavillon mitten auf dem Campus Nord präsentierten.
Literarische Texte und deren spezifische Poetiken gestalten den Raum, in denen Lesungen und Gespräche mit Autor*innen stattfinden, aktiv mit und schaffen somit öffentliche Orte der Verständigung und eröffnen spannende Diskurse. Am Büchertisch konnte man mit den Schriftsteller*innen in den Austausch treten und sich zudem die frisch erworbenen Büchner signieren lassen, die dank den beiden Buchhandlungen Bücherwurm und Benno Goeritz direkt erworben werden konnten.
Die Freude auf dieses Event war bei uns bereits im Voraus sehr groß und wir fieberten auf das Open-Air-Festival für große und kleine Literaturfreund*innen hin. Trotz einer als durchwachsen angekündigten Wetterlage spielte die Sonne pünktlich zum Beginn um 15.00 Uhr mit und war uns vom Nachmittag bis zum fortgeschrittenen Abend hold. An dieser Stelle auch noch einmal einen herzlichen Dank an die Veranstaltungssicherheit (Hr. Otto) und den Hausmeister des Campus Nord (Hr. Lehrke).
Tamara Bach eröffnete das LiteraTUr-Festival Campus Nord mit einem Einblick in ihr Kinderbuch Das Pferd ist ein Hund. Sie begeisterte die jungen Leser*innen mit einer Geschichte, in der im Winter die Schule geschlossen wird und Claras Alltag sich nun auf die elterlichen vier Wände beschränkt. In dieser Situation kommt ihr die Ablenkung durch ihre kleine Schwester Luze gerade recht, die seit kurzer Zeit mit ihrem unsichtbaren Gefährten – einem Hund – das Leben unsicher macht.
Aus seinem neuen Jugend- und Coming-of-Age-Roman Henny und Ponger las anschließend der ebenfalls vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Nils Mohl. Passenderweise werden die beiden Teenager auf sich aufmerksam, da sie in der S-Bahn sitzend beide das gleiche Buch lesen. Dass manche Kapitel nur aus einem Satz bestehen, sorgte in den Reihen der Zuhörer*innen für Erheiterung. Der Autor animierte die Zuhörer*innen zum Ende seiner Lesung dazu, spontan eine Zahl aus der Gesamtkapitelanzahl des Buches zu nennen. Mit Glück erwischte man neben den schnell zum Besten gegebenen Ein-Satz-Kapiteln auch eine längere Textpassage, die weiter von Hennys und Pongers Reise erzählte.
Um 17.30 Uhr läutete der Schriftsteller und Hörfunkautor Yannic Han Biao Federer mit seinem zweiten Roman Tao die abendlichen Erwachsenenlesungen ein. Der Protagonist Tao, der in Köln wohnt und von den meisten Tobi genannt wird, begibt sich auf seiner Identitätssuche nach Hongkong, zum Geburtsort seines Großvaters. Auch Taos Vater selbst hatte diesen vor Jahren aufgesucht, blieb seitdem aber verschwunden. Dadurch, dass Yannic Federers Ich-Erzähler Tao ebenfalls eine weitere Figur erfindet, um seine Geschichte aus literarischer Distanz darstellen zu können, überlagern sich im Roman die Ebenen von Wahrheit und Fiktion, von Erinnern und Vergessen.
Vor vollbesetzten Stühlen, stehenden und sitzenden Zuhörer*innen las abschließend die vielfach ausgezeichnete Autorin Jenny Erpenbeck aus ihrem neuen Roman Kairos. Der Schriftsteller Hans beginnt kurz vor der Wende mit der sehr viel jüngeren Katharina eine leidenschaftliche Liaison, die sich über die Jahre zu einer beide schädigenden Beziehung entwickelt. Der Titel von Erpenbecks Roman spielt auf einen günstigen Zeitpunkt für eine Entscheidung an, der sich jedoch ungenutzt auch als nachteilig erweisen kann. So gelingt es Hans und Katharina in den entscheidenden Momenten nicht, zu ihrer beider Wohl das Verhältnis zu beenden.
Das LiteraTUr-Festival auf dem Campus Nord präsentierte sich als ein solch günstiger Kairos-Moment. Es stimmte einfach alles und so war es nicht schwierig, sich den eingeladenen Stimmen der Gegenwartsliteratur mit offenen Augen und Ohren zuzuwenden.