Für die Simulation der Wechselwirkung zwischen Tragflügel und turbulenter Strömung wird das vom DLR entwickelte Strömungsmodell TAU verwendet. Da es mit heutigen Computern nicht möglich ist, in einem solchen Strömungsmodell die komplette atmosphärische Grenzschicht zu simulieren, ist es notwendig, die Simulation mit einem Windfeld zu starten, das einem realistischen Windfeld aus der Atmosphäre entspricht. Die Eigenschaften dieses Windfeldes unterscheiden sich bei verschiedenen Wettersituationen.
Um diese unterschiedlichen Szenarien im Modell nachbilden zu können, werden Messwerte aus der Atmosphäre analysiert. Die gewonnenen Informationen werden genutzt, um aus den gemessenen Zeitreihen dreidimensionale künstliche Windfelder als Anfangslösung für das Modell zu generieren. Damit ist es möglich, turbulente Strömungen im Modell zu untersuchen, die bestimmten Wettersituationen entsprechen.
Nach den erfolgreichen Simulationen des synthetischen turbulenten Feldes (s. Auerswald et al. 2012 1 ) wurden Simulationen des stationären ungestörten Strömungsfeldes um den Flügel bei einem Anstellwinkel von 6° durchgeführt. Anschließend wurde das synthetische Turbulenzfeld mit dem stationären Strömungsfeld kombiniert, so dass sich die Turbulenz vor dem Flügel befindet (s. Skizze in Abb. 1). In Abbildung 2 ist das turbulente Anfangsfeld für den Druck zu sehen, wie es in der Simulation verwendet wird. Der Flügel ist rechts des Turbulenzfeldes als dünner, kurzer Strich zu erkennen. In Abbildung 3 ist die linke Flügelhälfte vergrößert dargestellt. Zu sehen ist die Verteilung des Druckbeiwertes auf der Flügeloberfläche (Farben) und die Stromlinien der Wandschubspannung (Linien) für die stationäre Strömung bei 6° Anstellwinkel.
Die Größe des Turbulenzfeldes beträgt 200 m x 200 m x 200 m. Die Simulationen werden auf dem Rechner des High Performance Computing Center Stuttgart (HLRS) durchgeführt. Eine Simulation wird etwa zwei Wochen Rechenzeit auf 2048 CPU-Kernen benötigen und die Ergebnisdatei eines Zeitschrittes umfasst 1,9 GB. Es werden 16000 Zeitschritte bei einer Zeitschrittweite von 0.25 Mikrosekunden notwendig sein.
In einem weiteren Arbeitspaket des Teilprojektes wurde ein Turbulenzgenerator entwickelt, der synthetische Turbulenz für die Simulation einer Flügelgrenzschicht bereitstellt (vgl. Teilprojekt B1). Bei dieser Simulation wird ein hybrider Ansatz aus Large-Eddy Simulation und Unsteady Reynolds Averaged Navier Stokes (URANS), die sogenannte Detached-Eddy Simulation, verwendet. Dabei wird der anliegende Teil der Flügelgrenzschicht mit URANS berechnet, was eine kosteneffiziente Simulation ermöglicht. Der Teil in dem Ablösungen von Wirbeln aus der Grenzschicht auftreten, wird dagegen mit LES simuliert, um das explizite Auflösen dieser Wirbel zu ermöglichen. Im Übergangsbereich zwischen den beiden Methoden soll nun synthetische Turbulenz eingefüttert werden, um die Entwicklung realistischer Grenzschichtturbulenz im LES Bereich zu beschleunigen. Dabei werden die Reynoldsspannungen und die Dissipationsrate aus dem Reynoldsspannungsmodell der URANS Rechnung verwendet, um mit Hilfe der anisotropen 1D-Spektren aus Kamruzzaman et al. (2012) 2 synthetische Turbulenz zu erzeugen, die die statistischen Eigenschaften und Profile realistischer Turbulenz nachempfindet.
In einem zweiten Ansatz des Teilprojektes werden Turbulenzinformationen unterschiedlicher Komplexität aus Large-Eddy Simulationen der atmosphärischen Grenzschicht gewonnen und für das Modell TAU bereit gestellt. Das für diese Untersuchungen eingesetzte LES Modell PALM ist in der Lage, eine atmosphärische Grenzschicht mit sehr hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu simulieren, die alle wesentlichen Charakteristika beobachteter atmosphärischer Grenzschichten aufweist. Das Modell simuliert ein dreidimensionales Windfeld unter realen Bedingungen, das neben den statistischen Eigenschaften auch alle für die Wetterlage typischen turbulenten Strukturen enthält. Da für diese detaillierten Simulationen ein erheblicher Aufwand an Computerressourcen nötigt ist, werden neben der direkten Übergabe dreidimensionaler PALM-Felder an TAU, einzelne Böen untersucht, die als analytische Approximation TAU initiieren. Letztere Methode ist somit vor allem für den produktiven Einsatz geeignet.
Für die Untersuchungen der Böenformen wurde als meteorologisches Szenario ein stürmisches Tiefdruckgebiet gewählt, bei dem typischerweise starke Böen auftreten. Simuliert wurden die unteren 1,8 km der Atmosphäre, die auch die atmosphärische Grenzschicht beinhalten. Diese wird in einem solchen Szenario auch als dynamische Grenzschicht bezeichnet, da sie rein scherungsgetrieben ist. Die diskreten Böen wurden in verschiedenen Höhenniveaus zwischen 10 m und 500 m untersucht. Um Böen zu erfassen, die für das Flugverhalten von Flugzeugen relevant sind, wurden folgenden Kriterien hinsichtlich der Amplitude und Länge der diskreten Böen angewandt:
In weiteren Schritten wurden die Böen, die die genannten Kriterien erfüllen, in Böenklassen verschiedener Längen eingeteilt, gemittelt und normiert, sodass für jede Klasse eine repräsentative Böenform ermittelt werden konnte. Das Ergebnis für eindimensionale Böenuntersuchungen ist in Abbildung 4 (links) zu sehen. Die Formen weichen teilweise stark von der üblicherweise verwendeten 1-cosinus-Böenform ab. Sie unterscheiden sich in erster Linie durch einen eher konstanten Verlauf im mittleren Teil der Böe. Dieser wird bei größeren Böen breiter. Lediglich die kleinsten untersuchten Böen kommen der Form der 1-cosinus-Böe nahe. Neben der eindimensionalen Form der Böen wurden zusätzlich ihre zweidimensionalen
Strukturen analysiert. Dies ist mit den bisherigen Untersuchungsmethoden, wie z.B. Mastmessungen, nicht möglich und bietet somit neue Erkenntnisse über die lateralen Geschwindigkeitsgradienten, die beim Durchfliegen einer Böe zu erwarten sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Böen im Mittel eine elliptische Form aufweisen (Abbildung 4, Mitte und rechts). Ihr Aspektverhältnis steigt bei größer werdenden Böen an. Erste analytische Approximationen der ein- und zweidimensionalen Böenformen wurden für die Initialisierung des TAU-Modells an die Projektpartner des TP B3 übergeben.
Die komplexeste Methode, Turbulenzinformationen für das TAU-Modell bereit zu stellen, ist die direkte Übergabe der mit PALM berechneten Geschwindigkeitsfelder an TAU. Dabei werden die Variablen als zeitlich veränderliche Randbedingung am Einströmrand von TAU vorgegeben. Im ersten Ansatz wird ein instantaner, dreidimensionaler Ausschnitt aus der Mitte des PALM-Modellgebietes verwendet. Die Daten dieses Ausschnitts werden, nach Interpolation auf das TAU-Modellgitter, seitlich in das TAU-Modellgebiet 'geschoben', sodass sie einem zeitlich variablen Einströmen entsprechen. Unter der Annahme der Taylorschen Hypothese der eingefrorenen Turbulenz unterscheidet sich diese Herangehensweise nicht wesentlich von einem tatsächlich zeitlich variablen Einströmen.
Abbildung 5 zeigt die horizontale Windgeschwindigkeit in Strömungsrichtung sowie die vertikale Windgeschwindigkeit des Übergabebereichs. Im zweiten Ansatz wird die zeitliche Entwicklung der Strömung berücksichtigt. Das größere Datenvolumen im Vergleich zum ersten Ansatz führt dabei zu einem höheren Aufwand bei der Aufbereitung der Daten für die Übergabe an das TAU-Modell. Ein erster Vergleich der beiden Ansätze wurde mittels virtuellen Flugs mit einer Fluggeschwindigkeit von 100 m/s jeweils durch das instantane und zeitabhängige Strömungsfeld durchgeführt. Dabei zeigt sich, dass die oben getroffene Annahme der gefrorenen Turbulenz zutreffend ist und beide Ansätze äquivalente Ergebnisse in der späteren TAU-Simulation liefern sollten.
References
1. Auerswald, T., J. Bange, T. Knopp, K. Weinman und R. Radespiel: „Large-Eddy Simulations of realistic atmospheric turbulence with the DLR-TAU-code initialized by in situ airborne measurements “, Computers & Fluids, 2012, 66, 121 - 129
2. Kamruzzaman, M., T. Lutz, A. Herrig, und E. Krämer: „Semi-Empirical Modeling of Turbulent Anisotropy for Airfoil Self-Noise Predictions“, AIAA Journal, 2012, 50, 1, 46 - 60