Montag, 30. Januar 2006, um 18.30 Uhr
Hörsaal SN 19.2, Pockelsstr. 4, Trakt Schleinitzstraße,
Diskussion mit Dr. Anna Bergmann, Berlin, Braunschweig, Frankfurt/Oder .
Moderation: Prof. Dr. Bettina Wahrig, TU Braunschweig.
Mit der Einführung der Leichensektion durch die Anatomie im 16. Jahrhundert entstand die Vorstellung von einem auseinandernehmbaren, nach mechanistischen Gesetzen wieder zusammensetzbaren, von der Umwelt abgeschnittenen autonomen Körper. Daraus ging das aus dem Tod geborene Modell des Lebens hervor. Einen Höhepunkt dieser vom Tode gezeichneten anatomischen Anthropologie bildet die an das Hirntodkonzept geknüpfte Praxis der Transplantationsmedizin seit den 1960er Jahren. Anna Bergmann problematisiert diese biomedizinische Technik unter dem Aspekt damit verbundener Tabuüberschreitungen (z. B. Leichenschändung, Nutzung des Körpers eines Patienten oder einer Patientin für andere). Vor diesem Hintergrund hat die Transplantationsmedizin einen neuartigen PatientInnentypus mit eigenen psychischen Konflikten hervorgebracht. Werden bei OrganempfängerInnen magische Vorstellungen vom Weiterleben eines ihnen einverleibten anderen Menschen mobilisiert? Wie wird unsere Kultur durch diese technisierte Form des an Kannibalismus grenzenden Tabubruchs verändert?
PD Dr. Anna Bergmann ist Kulturwissenschaftlerin, Wissenschaftshistorikerin und Publizistin. Zurzeit ist sie Gastprofessorin am Zentrum Gender Studies der TU Braunschweig. Sie hat sich eingehend mit den kulturellen Hintergründen und den aktuellen Problemen der Transplantationsmedizin auseinandergesetzt.