»Ach, wie sie immer noch suchten, in dem unendlichen
Blau das zu finden, was sie vernichten konnte!«
– Aus: Moby-Dick von Herman Melville
Warum wir über maritime Konflikte und Verheißungsformen sprechen müssen
Bereits die vorkapitalistischen Formen, die den Beginn des Entstehungsprozesses des modernen
Staates begleiten, sind getragen von Formen maritimer Expansion. Seit der Herausbildung
moderner Staatlichkeit unter den Vorzeichen kapitalistischer Ökonomien wurde den Aspekten
Seemacht, Präsenz auf den Weltmeeren und maritimer Expansion eine überragende Bedeutung
für den Erhalt und die Weiterentwicklung von Wohlstand, politischem Einfluss und militärischer
Macht beigemessen. Darüber hinaus fungierte das Meer sowohl im Sinne einer ordnungsstiftenden,
als auch im Sinne einer ordnungsrelativierenden Instanz in Bezug auf den
modernen Staat und das Staatensystem. Dieser ambivalente Charakter deutet sich unter anderem
in den Narrativen des britischen Empires als Seemacht und in den Piratenutopien des
18. Jahrhunderts an. Bis in das Zeitalter des Hochimperialismus hinein galt das Meer zugleich
als Ort, an dem sich die Staatenkonflikte zuspitzen, und als Ort, der eine aussichtsreiche
Zukunft verheißen konnte.
Darüber hinaus kann das maritime Element aus der Perspektive menschlicher Flucht- und
Migrationsbewegungen begriffen werden. Nicht selten verbinden Meere Orte des Aufbrechens
mit imaginierten Orten der Verheißung eines besseren Lebens. Zu denken ist hier u. a. an die
so genannten Entdeckungsfahrten, die polynesische Besiedlung der Pazifikinseln, Auswanderungswellen
aus religiösen, gesellschaftlichen oder ökonomischen Gründen, die fortdauernde
Flucht über das Mittelmeer oder an gewaltsame Verschleppungen wie den Sklavenhandel.
Doch welche Rolle spielen die Themenfelder des Maritimen in den diversen globalen Krisen
und in den gesellschaftspolitischen wie wissenschaftlichen Diskursen der Gegenwart? Bekanntlich
wird diesen Debatten, insbesondere in Europa, eine »Sea Blindness« attestiert, weil
die Bedeutung der Ozeane oftmals entweder nicht wahrgenommen oder ausgeblendet wird.
In Anbetracht der bis heute stetig zunehmenden globalen Vernetzung und Fragmentierung von
Produktionsprozessen und Märkten scheint das Meer aber tatsächlich an Bedeutung gewonnen
zu haben. Um nur eine Zahl zu nennen: 90 Prozent des Welthandels werden mittlerweile über
die Seewege abgewickelt. Dieses stetig steigende Potenzial des Meeres erscheint verheißungsvoll,
birgt aber zugleich neue Konflikte. Der Konflikt zwischen den Weltwirtschaftsmächten
und insbesondere zwischen China und den USA zeichnet sich – in Fortsetzung navalistischer
Traditionen – immer mehr auch als ein Konflikt auf den Weltmeeren ab.
Die durch den Klimawandel möglich werdende Nutzung der Nordwestpassage kann eine lukrative
Abkürzung für die Handelsschifffahrt sein. Auch die durch die Eisschmelze zugänglich
werdenden Ressourcen in der Arktisregion wecken verheißungsvolle ökonomische Begehrlichkeiten.
Doch Erderwärmung, steigende Meeresspiegel, (Tiefsee-)Bergbau und Ressourcenübernutzung
stellen für andere Menschen und Staaten existenzbedrohliche Zukunftsszenarien dar,
die potenziell zu weiteren maritimen Konflikten führen können. Maritime Konflikte werden
allerdings auch aus einem weiteren klimapolitischen Aspekt immer relevanter. So fungieren die
Ozeane aktuell noch als wichtigste Senke für Treibhausgase. Erwärmen sich die Meere im
Zuge des Klimawandels, versauern sie jedoch zunehmend und werden im schlimmsten Fall zur
größten Treibhausgasquelle.
Zudem erscheinen Flucht und Migration am Beispiel der »Flüchtlingskrise« im Mittelmeer
zunehmend als Zeichen der Ambivalenz maritimer Konflikt- und Verheißungsformen. Denn
immer häufiger finden Geflüchtete nur den Tod im Mittelmeer, das somit zu einem zentralen
Gegenstand der politischen Debatte um Menschenrechte und Ordnung werden muss. Welche
Konflikte auftreten, wenn Geflüchtete im Mittelmeer sterben, und in welchem Spannungsfeld
von Macht und Ohnmacht die freiwillige Seenotrettungshilfe steht, ist daher im Zusammenhang
mit angrenzenden Problemfeldern rund um das Maritime dringend zu analysieren.
Nicht zuletzt bilden die Arbeits- und Lebensverhältnisse auf dem Meer einen Einblick in ein
nahezu isoliertes Machtgeflecht. Auch aus arbeits- und steuerrechtlicher Perspektive bietet das
Thema für heutige Gesellschaften spannende Diskussionsmöglichkeiten, wenn man beispielsweise
an die Umstände und Folgen einer Ausflaggung denkt.
Ziele, Zielgruppen und Fragestellungen der Konferenz
Ein zentraler Fokus der Konferenz liegt darauf, sich einem Verständnis für den Zusammenhang
der Schifffahrt und den konkreten Formen der modernen Entwicklung anzunähern. Vom
Wesen der Seemacht bis hin zu den Seehandelswegen als wichtigen Lebensadern der globalen
Gesellschaft zieht sich ein roter Faden durch die moderne Entwicklung. Ausgehend von der
Schifffahrt lässt sich das Maritime als Konvergenzpunkt von Technologie, Ökonomie, Politik,
Kultur, Militär, Migration etc. bestimmen. Angesichts einer viel beklagten »Sea Blindness« soll
daher der Frage nachgegangen werden, wo sich aktuell maritime Konflikte und Verheißungsformen
erkennen lassen und wie der Blick in die Vergangenheit hierbei hilfreich sein kann. Für
die gegenwärtigen Diskurse sind dabei auch die Herausforderungen des Klimawandels und die
damit einhergehenden Konflikte zu analysieren. Darüber hinaus soll das maritime Element in
den Fokus globaler Krisen wie der »Flüchtlingskrise« gestellt werden.
Die Konferenz bietet eine inter- und transdisziplinäre Plattform für alle Nachwuchswisenschaftler*
innen, die sich mit den Konferenzthemen auseinandersetzen wollen. Dabei ermuntern
wir ausdrücklich auch fortgeschrittene Studierende und Promovierende zu einem Beitrag.
Das thematische Spektrum umfasst insbesondere, aber nicht nur, Fragen der Konflikt- und Friedensforschung,
der politischen Philosophie, der Sicherheitspolitik, des Welthandels, der Hegemonie-
und Imperienbildung, der maritimen Ressourcen- und Klimakonflikte, der maritimen
Migrationsbewegungen, der Soziologie, historische Fallbeispiele oder epochenübergreifende
Betrachtungen. Hierfür stehen folgende Leitfragen im Fokus:
Es wird zwei gedankenanregende Keynotes geben:
Prof. Dr. Jürgen Elvert, Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Geschichte, Professur für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Integration und Didaktik der Geschichte an der Universität zu Köln, Autor von Europa, das Meer und die Welt: Eine maritime Geschichte der Neuzeit (2018).
Maurizio Albahari, PhD, Associate Professor of Anthropology & in the Keough School of Global Affairs, University of Notre Dame, Notre Dame (IN), USA, Autor von Crimes of Peace: Mediterranean Migrations at the World’s Deadliest Border (2015).
Einreichung eines Beitrags
Wir laden alle Interessierten ein, die Konferenz mit der Präsentation eines Forschungspapiers
oder eines Posters mitzugestalten. Dafür ist bitte bis zum 21. Juli 2021 ein Abstract im Umfang
von max. 400 Wörtern oder ein Postervorschlag im Umfang von einer Seite einzureichen.
Ein Abstract für eine schriftliche Ausarbeitung umfasst die Forschungsfrage, den methodischen
und theoretischen Ansatz, erste Zwischenergebnisse, die Relevanz im Forschungskontext und
zur besseren thematischen Einordnung 5 Schlüsselwörter. Ein Postervorschlag umfasst eine
kurze Beschreibung des Posters, eine ausführliche Skizze des erwarteten Inhalts sowie Ausführungen
zur Relevanz des Themas.
In beiden Fällen erbitten wir einen aussagekräftigen Titel, die Angabe der Autor*innen bzw.
Ersteller*innen sowie ggf. der institutionellen Zugehörigkeit und eine E-Mail-Adresse. Zusätzlich
bitten wir um ein paar Zeilen mit den wichtigsten Daten zum bisherigen wissenschaftlichen
Werdegang.
Im Anschluss an die Konferenz können ausgewählte Beiträge in überarbeiteter Form und nach
einem Peer-Review in einem Sammelband veröffentlicht werden.
Wichtige Informationen zur Teilnahme
Die Konferenz findet teilweise in deutscher und teilweise in englischer Sprache statt. Englischsprachige
Beiträge sind sehr willkommen. Eine Übersetzung kann nicht angeboten werden.
Es gibt keine Teilnahmegebühr.
Wenn es der Verlauf der Pandemie zulässt, wird die Konferenz in hybrider Form unter Beachtung
der dann geltenden behördlichen Auflagen stattfinden, also mit einigen Referent*innen
und Teilnehmer*innen vor Ort in Darmstadt und gleichzeitigen Online-Beteiligungen. Sollte
auch eine beschränkte Vor-Ort-Präsenz aufgrund behördlicher Vorgaben nicht möglich sein,
findet die Konferenz komplett online statt. Wir werden darüber rechtzeitig informieren.
Allen Beitragenden bieten wir eine kostenfreie Übernachtungsmöglichkeit in einem Hotel
inklusive Frühstück sowie einen Zuschuss zu den Fahrtkosten. Außerdem stellen wir Tagungsgetränke,
Obst und Kuchen sowie bei Bedarf eine Kinderbetreuung. Alle anderen Mahlzeiten
und Kosten sind selbst zu finanzieren.
Eine Teilnahme ohne eigenen Beitrag ist auf eigene Kosten selbstverständlich möglich.
21. Juli 2021 | Deadline für Abstracts und Postervorschläge |
Mitte August 2021 | Information über die Akzeptanz des Beitragsvorschlags |
31. Oktober 2021 | Einreichung des Aufsatzes bzw. Posters und Registrierung per E-Mail an: maritime.konferenz21@web.de |
5. November 2021 | Veröffentlichung des wissenschaftlichen Programms |
Rafael Rehm Technische Universität Darmstadt & Friedrich-Schiller-Universität Jena
Enrico Schicketanz Universität Erfurt
Kim Bräuer Technische Universität Braunschweig & Friedrich-Schiller-Universität Jena
Marcus Sanden (Politikwissenschaftler)
E-Mail-Kontakt: maritime.konferenz21@web.de
Website: www.tu-braunschweig.de/sao/maritimeconflicts