Die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg sind in den Medien und in Ausstellungen breit dokumentiert und in einer schmerzhaften gesellschaftlichen Debatte diskutiert worden. Völlig unbekannt in der deutschen Öffentlichkeit hingegen ist das Schicksal der drei baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland, die, ursprünglich selbstständig, durch den Hitler-Stalin-Pakt der sowjetischen Gewalt anheim fielen. Das Museum für Genozidopfer in Vilnius hat nun eine ergreifende Ausstellung in deutscher und litauischer Sprache mit dem Titel „Chronik der Gewalt: Litauen 1939-1941“ erarbeitet. Organisiert von Studierenden des Historischen Seminars unter Leitung von Frau Dr. Heike Christina Mätzing war diese Präsentation nun auf Einladung des Historischen Seminars der TU Braunschweig und mit finanzieller Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Braunschweig vom 14. Januar bis zum 2. Februar 2013 in der Stadtbibliothek Braunschweig zu sehen.
In eindringlichen Bildern erhielten die Besucher einen Einblick in den stalinistischen Terror, durch den die litauische Bevölkerung erheblichen Repressalien ausgesetzt und Zehntausende nach Sibirien verschleppt wurden. Im Gulag starb jeder Zweite von ihnen an Hunger oder durch Zwangsarbeit.
Bei der Ausstellungseröffnung am 13. Januar bot der Kurator Dr. Arunas Bubnys in Anwesenheit der litauischen Kulturattachée Dr. Gabriele Žaidyté ein eindrucksvolles Panorama der Entwicklungsstufen des Terrors. Prof. Dr. Matthias Steinbach vom Historischen Seminar führte aus deutscher Perspektive in das Thema ein und verwies darauf, dass über diese Verbrechen gegen die litauische Zivilbevölkerung nach Kriegsende und erst recht im Zeichen des Kalten Krieges der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Es sei Zeit, so Steinbach, sich endlich auch an die (Leidens-)Geschichte der baltischen Staaten zu erinnern.
Ergänzend zur Ausstellungspräsentation las am Mittwoch, den 23. Januar, Vytene Saunoriute-Muschick aus Dalia Grinkeviciutes Buch „Litauer an der Laptavsee“, den Erinnerungen einer Ärztin, die als 13jährige in den Gulag verschleppt worden war. Detailliert wird darin das schwere Lagerleben der Insassen geschildert, dem die Autorin jedoch trotz aller Bedrängnis lebensbejahend und mit großem Durchhaltewillen begegnete.
Die von Frau Muschick, einer litauischen Auslandskorrespondentin, vorgelegte Übersetzung des Buches erscheint demnächst im Verlag Matthes&Seitz. Schade nur, dass man dann bei der Lektüre auf die eindrucksvollen Saxofon-Variationen von Martin Muschick wird verzichten müssen, der die Texte während der Lesung kongenial interpretierte.
Allen Besuchern der Ausstellung wurde deutlich: Nicht nur die Übernahme der Ratspräsidentschaft der EU durch Litauen am 1. Juli 2013 gebietet es, das schmerzensvolle Kapitel der Geschichte dieses kleinen baltischen Landes zur Kenntnis zu nehmen.