Der Fremdsprachenunterricht Englisch beginnt in Deutschland in der Grundschule, jedoch gibt es noch unterschiedliche Positionen zum idealen Alter, wann Kinder mit dem Fremdsprachenlernen beginnen sollten. Obwohl Studien mit Kindern, die z.B. Deutsch als Zweitsprache lernen, auf Vorteile eines frühen Starts hinweisen, scheinen Kinder, die eine Fremdsprache in der Schule lernen, von einem etwas späteren Start zu profitieren.
In diesem Projekt untersuchen wir, über welche Fähigkeiten zur Verarbeitung und zum Lernen von Fremdsprache Kinder verfügen, bevor der Sprachenunterricht überhaupt einsetzt. Dabei konzentrieren wir uns auf zwei Altersgruppen, eine bevor der Englischunterricht im deutschen Schulsystem typischerweise einsetzt (1. und 2. Klasse; 6-8 Jahre) und eine nach ca. einem Jahr Englischunterricht (4. Klasse; 9-10 Jahre). In einer Reihe von Experimenten untersuchen wir die Fähigkeit von deutschsprachigen Kindern, englische Wörter aus gesprochenen Sätzen zu segmentieren (erkennen). Die Segmentierung der gesprochenen Sprache ist eine grundlegende Fähigkeit zum Wortschatzerwerb in der Fremdsprache. Dabei wollen wir herausfinden, inwieweit Faktoren wie die Entwicklung in der deutschen Sprache, individuelle kognitive Unterschiede, sowie sprachliche Unterschiede die Fremdsprachenentwicklung zentral beeinflussen. Sowohl monolinguale deutschsprachige Kinder als auch bilinguale Kinder (mit Deutsch und einer weiteren Sprache) nehmen an der Studie teil, und wir erwarten, dass all diese Faktoren bei beiden Gruppen eine unterschiedliche Rolle spielen.
In den Experimenten konzentrieren wir uns auf zwei spezifische Aspekte des impliziten Sprachwissens: Phonotaktische Regeln und lexikalisches Wissen.
Phonotaktische Regeln des Deutschen, d.h. Wissen über erlaubte Lautkombinationen im Deutschen, könnten die Segmentierung in der Fremdsprache Englisch beeinflussen, z.B. dann, wenn für die englischen Wörter andere phonotaktische Regeln gelten und diese ggf. sogar mit den deutschen in Konflikt stehen (Experiment 1).
Andererseits kann Wissen aus der deutschen Sprache auch hilfreich sein, z.B. im Fall von Kognaten (z.B.. Englisch: baby /beɪbi/; Deutsch: Baby /be:bi/), sodass dieses top-down lexikalische Wissen die Erkennung von Kognaten und Wörtern in deren Kontext (Experiment 2) erleichtern könnte. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Repräsentationen der Kognate schon vorher im Kopf aktiviert sein müssen, um die Erkennung in der Fremdsprache zu erleichtern (Experiment 3).
Unter Berücksichtigung der kognitiven Fähigkeiten, die generell mit zunehmenden Alter steigen, nehmen wir an, dass das Wissen über die deutsche Sprache einen unterschiedlichen Einfluss auf die Anwendung phonotaktischer Regeln einerseits und lexikalisches Wissen von Deutsch andererseits haben wird.
Ausgehend von Forschungserkenntnissen, dass die phonologische Bewusstheit, d.h. die Fähigkeit Phoneme (Laute) in der gesprochenen Sprache bewusst wahrzunehmen, sich ab dem Schuleintrittsalter sehr schnell entwickelt, nehmen wir zudem an, dass die phonologische Bewusstheit einen ausschlaggebenden Einfluss auf Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen, sowie zwischen bilingualen und monolingualen Kindern haben wird.
Mit diesen Forschungsschwerpunkten integriert dieses Projekt erfahrungsbasierte, sprachliche sowie kognitive Faktoren und wird einen umfassenden Einblick in die Fähigkeiten und Beschränkungen geben, welche Schulkinder beim ersten Kontakt mit der Fremdsprache mitbringen.