Was passiert, wenn das Meerwasser an der arktischen Küste immer wärmer wird? Wie viel Permafrostboden wird dadurch nach und nach abgetragen? Das untersucht das Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der Technischen Universität Braunschweig in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) in einer speziellen Klimakammer. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies besuchte auf seiner Sommerreise 2022 das LWI und konnte dabei einen Blick in die europaweit erste Versuchsanlage für Untersuchungen an Permafrostküsten werfen.
Die Klimakammer in der Versuchshalle des LWI versteckt sich in einer zehn mal drei Meter großen Kühlzelle. Die Luft- und Wassertemperatur können die Wissenschaftler*innen zwischen vier und 20 Grad Celsius durch Kühlaggregate variieren. Während des Besuchs von Umweltminister Olaf Lies und der Braunschweiger Landtagsabgeordneten Annette Schütze waren es hier lediglich fünf Grad Celsius, also ähnlich wie im Kühlschrank.
Im Wellenkanal der Klimakammer, einer acht Meter langen Kunststoffrinne mit Wellenmaschine und Strömungsanlage, zeigte das LWI-Team in einem Experiment, wie Permafrostböden an Küsten unter Wellenbelastungen erodieren, also ausgewaschen werden. Dazu liegt ein gefrorener Bodenkörper im salzwassertauglichen Wellen-Strömungskanal, den die Wellen mit der Zeit abtragen. Die Experimente zur Erosion von Permafrostböden führen die Wissenschaftler*innen derzeit in einem gemeinsamen Projekt mit dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung durch.
Auftauprozess heizt Erderwärmung an
Wichtig sind diese Untersuchungen, da der eigentlich dauerhaft gefrorene Boden an den arktischen Küsten durch die Klimaerwärmung zunehmend abtaut. Die Erosion hat inzwischen ein enormes Ausmaß angenommen. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Arktis. „In den Böden sind Kohlendioxid, Methan und Schwermetalle, wie zum Beispiele Quecksilber gespeichert“, erklärt Professor Nils Goseberg, geschäftsführender Leiter des LWI. „Beim Auftauprozess und bei der Erosion der Permafrostküsten gelangen diese Stoffe in die Umwelt: Die Gase gehen in die Atmosphäre und heizen dabei weiter die Erderwärmung an. Die Schwermetalle können in die marine Nahrungskette kommen und damit in die Tierwelt und irgendwann auch in den Fisch auf unserem Teller.“
Wasserforschung vom Gebirge bis zum Meer
Neben dem Abschmelzen der Permafrostküsten beschäftigen sich die Forschenden am Leichtweiß-Institut für Wasserbau mit weiteren aktuellen Herausforderungen wie dem Anstieg des Meeresspiegels, der Erosion von Dünen an der Nordsee und deren Schutz durch Vegetation, der Verschmutzung von Gewässern und den Folgen von Sturmfluten sowie Binnenhochwasser durch Starkregenereignisse für die Küstenregionen. Hier liefert zum Beispiel das Siel- und Schöpfwerk-Monitoring-Pilotprojekt (SiSchöMo) von Professor Hans Matthias Schöniger wichtige hydrologisch-wasserwirtschaftliche Messdaten, die u.a. für die weitere Erforschung der Auswirkungen beim Zusammentreffen solcher Extremereignisse benötigt werden. Für das Projekt hatte Umweltminister Lies im vergangenen Jahr die Vereinbarung mit der TU Braunschweig unterzeichnet.
„Angesichts immer trockenerer Sommer mit einem erhöhten Wasserbedarf etwa durch die Landwirtschaft und feuchtere Winter mit mehr Überschwemmungen und Sturmfluten müssen wir handeln. Forschende des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau liefern in ihren Projekten wichtige, in Form und Umfang so noch nicht vorliegende Daten. Diese sind wichtig, denn wir werden es künftig immer häufiger mit extremen Wetterlagen zu tun bekommen. Um hier planerisch vorausschauend agieren zu können, braucht es eine solide und verbesserte Datenbasis. Dabei geht es sowohl um die Bewirtschaftung und Umnutzung des kostenbaren Guts Wasser, um den richtigen Umgang mit sich ausweitenden Salzwasserzonen und genauso darum, wenn Wasser etwa durch Sturmfluten und Binnenhochwasser zur Gefahr für Mensch, Tier und Eigentum wird“, sagte Minister Olaf Lies.
Nicht nur über die Wasserforschung konnte sich Umweltminister Lies in der Versuchshalle informieren. Hier steht auch das Digital Building Fabrication Laboratory (DBFL): ein riesiger 3D Betondrucker und Baufabrikationszentrum, mit dem ressourceneffiziente Tragstrukturen im Bauwesen entwickelt werden. Doch nicht nur hohe Wände werden hier gedruckt, sondern auch Muschelkacheln, die das LWI im Wellenkanal einsetzt, um zum Beispiel den Einfluss der Pazifischen Auster zu untersuchen.
Klimakammer
Bei der Klimakammer handelt sich um eine einzigartige Versuchsanlage, die von den Wissenschaftler*innen der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau selbst entwickelt wurde. Die Versuchsanlage mit salzwassertauglichem Wellen-Strömungskanal ermöglicht es, Experimente unter kontrollierten Bedingungen zu Wellen, Strömung, Temperatur und unterschiedlichem Salzgehalt mit Sedimenten durchzuführen. Die Klimakammer wurde im Mai 2022 fertiggestellt. Die Materialkosten belaufen sich auf 70.000 Euro, die von der TU Braunschweig finanziert wurden.
Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI)
Das Leichtweiß-Institut für Wasserbau der TU Braunschweig wurde nach seinem Gründer Dr.-Ing. e.h. Dr.-Ing. Ludwig Leichtweiß (1925-1950) benannt. Es deckt das Gebiet der nachhaltigen Wasserforschung – vom Gebirge bis zum Meer – in Forschung und Lehre ab. Zum LWI gehören die Abteilungen Abfall- und Ressourcenwirtschaft, Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz, Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau sowie Wasserbau und Gewässermorphologie.
Kontakt:
Prof. Dr.-Ing. Nils Goseberg
Technische Universität Braunschweig
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-3930
E-Mail: n.goseberg(at)tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku
Presseinformation von Bianca Loschinsky aus dem MAGAZIN der TU Braunschweig