Das ISU Space Lab des Institutes for Sustainable Urbanism steht in den Startlöchern. Das „ISU SPatial Analytics + Crossdisciplinary Experimentation Lab“ soll ein hochmodernes Kompetenzzentrum für Stadtforschung werden, das Architektur, Städtebau und Planung mit einer Vielzahl anderer Disziplinen verbindet. Mit Professorin Vanessa Miriam Carlow, Leiterin des ISU, hat Bianca Loschinsky über das von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt gesprochen.
Frau Professorin Carlow, Sie leiten seit fast zehn Jahren das Institute for Sustainable Urbanism. Jetzt steht das große Forschungsprojekt ISU Space Lab kurz vor dem Start. Weshalb haben Sie sich damals für die Wissenschaft entschieden?
Da muss ich etwas weiter ausholen: Ich habe die Wendezeit in Potsdam und Berlin sehr intensiv miterlebt. Dabei habe ich den Umgang mit der Ostmoderne als sehr problematisch wahrgenommen. Es wurde vieles abgerissen, um die alte historische Stadt wiederaufzubauen. Gleichzeitig lag für mich ein großer Widerspruch darin, dass die Städte schrumpften und dennoch so viel gebaut wurde. Das hat mich auf Umwegen auf das Thema Nachhaltigkeit gebracht.
In meiner Arbeit im Büro habe ich festgestellt, dass es bestimmte Aspekte gibt, für die wir keine valide wissenschaftliche Grundlage haben, zum Beispiel für blau-grüne Netzwerke, also eine Infrastruktur natürlicher und naturnaher Flächen. Mit dem Prinzip haben wir zwar gearbeitet, aber eher intuitiv. Das hat mich sehr interessiert, so habe ich schnell über diverse Studien den Weg in die Wissenschaft gefunden. Bis heute fasziniert mich eine evidenzbasierte Planung, Planen auf Grundlage von wissenschaftlichen Daten und Fakten. Wobei das Entwerfen natürlich nicht nur evidenzbasiert ist, sondern immer auch intuitiv und künstlerisch.
Wann wird das ISU Space Lab eröffnet?
Wir arbeiten bereits als Lab und hoffen, dass wir im Frühjahr 2022 mit einer Konferenz ganz offiziell eröffnen können und auch schon erste Ergebnisse unserer Arbeit vorstellen können. Die Mitarbeiter*innen sind da und auch das Equipment kommt nach und nach hinzu.
Um was soll es im Lab gehen?
Im ISU Space Lab beschäftigen wir uns mit dem evidenzbasierten Planen. Wir wollen wissenschaftliche Grundlagen dafür schaffen, menschzentrierte Planung voranzutreiben. Was uns in diesem Zusammenhang besonders bewegt, ist wie Menschen Stadträume wahrnehmen und wie Stadträume auf Menschen wirken und wie dies beispielsweise Auswirkungen darauf hat, ob Menschen zu Fuß durch eine Stadt gehen, mit dem Rad fahren oder lieber das Auto nehmen.
Damit können wir Vorschläge zusammen mit Städten und Gemeinden machen, wie bestimmte Stadträume so gestaltet werden können, dass sie Menschen einladen, eher zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren statt das Auto zu nehmen. Mehr dazu verraten wir auf der Eröffnungskonferenz.
Wie bewegen Sie sich selbst durch die Stadt?
Genau so! Also ohne Auto. Zu Fuß, mit dem Rad, in Kombination mit dem ÖPNV.
Das ISU Space Lab soll ein Kompetenzzentrum für multidisziplinäre Stadtforschung werden. Welche Disziplinen forschen im Lab?
Momentan sind wir im Team Architekt*innen, Stadtplaner*innen und Soziolog*innen. Aber wir kooperieren mit der Verkehrsplanung, mit der Psychologie, mit dem Maschinenbau, der Informatik. Diese Gruppen zusammen nutzen das Lab als eine Infrastruktur, um Forschungsprojekte in Teams und Verbünden voranzutreiben.
Das Lab befindet sich in der 12. Etage des Architekturhochhauses an der Mühlenpfordstraße. Was erwartet Besucher*innen dort?
Zum Beispiel ein gelber Fußboden! Ich hatte in meinem Berliner Büro und auch in meiner Wohnung viele Jahre einen gelben Fußboden. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es in Deutschland etwa ein halbes Jahr lang immer recht grau ist. Wenn man in den kalten Jahreszeiten unser Lab betritt, soll man das Gefühl von Energie und Licht haben. Auch wenn das esoterisch klingen mag: Es funktioniert einfach richtig gut! Das wenige Licht, das man in den dunklen Jahreszeiten hat, wird darin gespiegelt, so dass man sich in den Räumen wohlfühlen kann.
Inzwischen befindet sich im Lab eine riesige Videowand, über die wir Animationen zeigen können. Wir wollen einen Raum im Raum aufbauen, in dem wir Stadträume visualisieren können. Dafür benötigen wir auch die große Fläche.
Welche Forschungsprojekte stehen im Lab im Fokus?
Wir sind Teil des Leibniz Science Campus „Postdigital Participation“. Im Lab arbeiten wir unter anderem daran, neue Werkzeuge zu entwickeln, mit denen es gelingen kann, wissenschaftlich fundiert, mehr Menschen an den formalen Prozessen der Stadtplanung teilhaben zu lassen. Ein Beispiel: Wie kann man die Projekte, die entstehen sollen, in der Stadt so visualisieren, dass Menschen, die keine architektonische Vorbildung haben, diese auch verstehen und sich dazu äußern können?
Der zweite Themenkomplex ist der der nachhaltigen Mobilität, an dem wir schon lange arbeiten. Wie schaffe ich es, dass Menschen mehr zu Fuß gehen, Radfahren in Kombination mit dem ÖPNV? Das ist ein Thema, mit dem wir uns im Lab sehr intensiv beschäftigen werden.
Wie muss oder sollte Städtebau heute aussehen?
Es gibt verschiedene Ziele, die der Städtebau verfolgen sollte. Das Thema der Nachhaltigkeit steht ganz oben. Dieses kann man in verschiedene Dimensionen herunterbrechen, wie nachhaltige Mobilität. Ich arbeite gern mit dem Prinzip der 5-Minuten-Stadt. Das bedeutet, dass ein Stadtquartier so angelegt sein sollte, dass alles, was man im täglichen Leben braucht, in einem fünfminütigen Fußweg von der Haltestelle eines ÖPNV-Systems zu erreichen ist: die eigene Wohnung, ein Park, eine Freifläche, die Kita, eine Möglichkeit für den täglichen Bedarf einzukaufen und bestenfalls auch die Schule.
Ein weiteres Ziel sind blau-grüne Netzwerke. Wir müssen natürlich darüber nachdenken, wie wir die Freiräume in Städten erhalten und besser im Sinne der Erholung, der Biodiversität und der Klimaanpassung vernetzen. Da spielt beispielsweise Regenretention eine Rolle oder auch die passive Kühlung für die immer heißer werdenden Sommer. Städte müssen aber auch sonntagstauglich sein – wir wollen in den Seen und Flüssen baden können.
Zum Thema Partizipation: In den formalen Prozessen der Stadtplanung, für die Partizipation im Baugesetzbuch bereits vorgeschrieben ist, ist häufig nicht gewährleistet, dass die Breite der Bevölkerung abgedeckt wird. Bestimmten Menschen stehen die Ressourcen, wie Zeit, nicht zur Verfügung oder die Möglichkeit, in der präferierten Sprache zu sprechen. Es gibt viele Barrieren, daran forschen wir.
Und auch die CO2-neutrale Stadt ist erklärtes Politik-Ziel. Da müssen wir hin. Dazu kann der Städtebau entscheidend beitragen.
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit dem Bestand an Gebäuden und Infrastruktur. Ziel ist, diesen Bestand zu wertschätzen, umzunutzen, zu transformieren und umzubauen statt einfach abzureißen.
Das sind für mich die fünf wichtigsten Punkte.
Interview von Bianca Loschinsky im MAGAZIN der TU Braunschweig