Auf den ersten Blick ist nur Wasser in den Reagenzgläsern erkennbar. Etwas trüb vielleicht an manchen Stellen, aber sonst nichts Besonderes. Doch in den Behältern befinden sich Winzlinge, die es in sich haben. Dr. Liseth Pérez, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) der TU Braunschweig, hat die Gläser für eine Ausstellung im Reallabor Hagenmarkt mit aquatischen Bioindikatoren gefüllt. Was das ist und was Wissenschaftler*innen mit ihnen untersuchen können, hat sie uns vor Ort erklärt.
Nachdem Liseth Pérez die Reagenzgläser etwas bewegt hat, kann man sie entdecken: Winzige Tierchen bewegen sich durchs Wasser. In manchen Behältern sind Muschelkrebse, in anderen Wasserflöhe. Nicht größer als vier Millimeter werden die Wasserlebewesen. Heute hat die Wissenschaftlerin vom IGeo ihnen nicht nur frisches Wasser mitgebracht, sondern auch eine Leckerei: klein gezupfter Spinat. „Die Pflanze enthält viele Mineralstoffe, die für die Tiere wichtig sind“, sagt Liseth Pérez. Alle drei bis vier Tage werden sie gefüttert und bekommen neues Wasser.
Diese Mikroorganismen sind auch im städtischen Raum zu finden, zum Beispiel in Regentonnen und in kleinen Pfützen, wenn diese nicht zu schnell austrocknen. Oder in Blumentöpfen mit Wasserpflanzen im Botanischen Garten und in einem Teich im Östlichen Ringgebiet der Stadt Braunschweig. Daher stammen die ausgestellten Wasserflöhe und Muschelkrebse, die Liseth Pérez gemeinsam mit Mauricio Bonilla, Doktorand am IGeo, gesammelt hat.
Leitfossilien zur Bestimmung von Gesteinsschichten
Sieben Extremitätenpaare haben die Muschelkrebse, mit denen sie schwimmen, laufen, strudeln und sich putzen können. Sie leben meist auf oder im Schlamm oder klettern an Pflanzen im Uferbereich herum. Ihr Lebenszyklus dauert von wenigen Wochen bis zu einigen Jahren. Die Organismen sind in der klassischen Geologie wichtige Leitfossilien, da man mit ihrer Hilfe die relativen Alter verschiedener Gesteinsschichten bestimmen kann.
Wasserflöhe kommen in allen Süßwasserhabitaten vor. Sie leben vor allem im Uferbereich an Wasserpflanzen oder im Sediment. Je nach Umweltbedingungen vermehren sie sich auf unterschiedliche Art und Weise: Den größten Teil der eisfreien Jahreszeit pflanzen sie sich asexuell fort, indem sich die Weibchen klonen. Erst wenn im Herbst die schlechter werdenden Bedingungen Stress auslösen, tauchen Männchen und fortpflanzungsfähige Weibchen auf und die Wasserflöhe wechseln zu sexueller Fortpflanzung und bilden Dauereier. Diese Eier, auch Resistenzeier genannt, können längere Zeit unter widrigen Bedingungen überleben, zum Beispiel bei tiefen Temperaturen oder während Trockenphasen.
Rekonstruktion von Klimaänderungen
Und was macht die Ostrakoden und Cladoceren, wie die Muschelkrebse und Wasserflöhe mit wissenschaftlichem Namen heißen, zu sogenannten aquatischen Bioindikatoren? Die kleinen Wasserlebewesen reagieren sensibel auf Veränderungen ihrer Umwelt, also beispielsweise der Temperatur, der Sauerstoffkonzentration, des Salzgehalts oder des pH-Werts des Wassers, in dem sie leben. Damit können die Forschenden sie nutzen, um aktuelle und vergangene Änderungen der Biodiversität, der Wasserqualität und des Klimas zu rekonstruieren. „Wenn die Organismen plötzlich sterben oder sich die Artenvergesellschaftungen verändern, also die Gruppe der unterschiedlichen Arten im gleichen Ökosystem, wissen wir, dass sich etwas an den Umweltbedingungen verändert hat“, so Liseth Pérez. Fossile Bioindikatoren befinden sich zum Beispiel in Seesedimenten, die das IGeo-Team nach Tiefbohrungen in Deutschland, aber auch in Tibet sowie Nord- und Mittelamerika untersucht.
„Die kleinen Organismen haben es mächtig drauf.“ Liseth Pérez füttert weiter die Tierchen. Sie seien so etwas wie eine Wetterstation aus der Vergangenheit. „In unserer Forschung suchen wir immer nach der Analogie in der Vergangenheit, um Voraussagen für die Zukunft treffen zu können.“ Auch Dauereier von Muschelkrebsen und Wasserflöhen aus 200 Jahre alten Sedimentschichten können die Wissenschaftler*innen mit etwas Wasser wieder zum Leben erwecken und genetische Veränderungen analysieren.
Nach der Ausstellung im Reallabor werden die Wasserflöhe und Muschelkrebse ans Zoologische Institut der TU Braunschweig weitergereicht. Professor Miguel Vences von der Abteilung Evolutionsbiologie wird die Organismen dann genetisch untersuchen.
Beitrag von Bianca Loschinsky im MAGAZIN der TU Braunschweig