Grundlagen und Empfehlungen für eine effiziente Gestaltung.
Unser Arbeitsleben verändert sich. Der Bedarf an Austausch in Organisationen wächst. Dadurch nimmt auch die Bedeutung von Meetings zu, doch sie werden aktuell eher als notwendiges Übel gesehen. Um als erfolgreiches Kommunikationsinstrument zu dienen, müssen Meetings gut gestaltet werden. Das Buch beschreibt Meetings nicht als isolierte Ereignisse, sondern betrachtet alle Kontextfaktoren, die vor, während und nach Meetings wirken. Der Band schließt mit einem Ausblick auf Meetings in einer digitalisierten Arbeitswelt und zeigt, wie künstliche Intelligenz genutzt werden kann, um Meetings und Kommunikationsflüsse in Unternehmen zu verbessern.
Das Sachbuch aus der Buchreihe „Arbeits- Organisations- und Wirtschaftspsychologie“ des Kohlhammer Verlags ist seit dem 28.10.21 frei im Handel erhältlich.
Frau Prof. Kauffeld, den Titel des Buches aufgreifend: Wieviele Meetings waren nötig, um von der Idee bis zur Veröffentlichung zu gelangen?
Meetings begleiten mich seit meiner ersten Tätigkeit in der Industrie. Damals durfte ich zahlreiche gruppeninterne und gruppenübergreifende Besprechungen sowohl im Produktions- als auch im Angestelltenbereich moderieren.
Später fand ich die Meeting-Situation als Untersuchungsgegenstand interessant und konnte einen Beitrag zur Meeting Science leisten, in dem ich das, was dort passiert, der wissenschaftlich fundierten Beobachtung zugänglich machen konnte. Zu Beginn wurden ca. 40 Arbeitsstunden für die Auswertung eines einstündiges Meeting benötigt, später – mit entsprechender Software-Unterstützung – reichten zehn Stunden. Heute können wir mit unserer App live kodieren und künftig wird uns die KI unterstützen können.
Mehrere 100 Meetings – 1000 werden es noch nicht ganz sein – haben wir entsprechend analysiert. Natürlich durfte ich auch weiterhin zahlreiche praktische Erfahrungen mit Meetings sammeln als Mitarbeiterin, Beraterin, Führungskraft und in der Gremienarbeit. Die Begeisterung für Meetings ist auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen übergeschwappt. In einigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekten konnten wir explizit oder implizit unserem Forschungsinteresse nachgehen, so dass mittlerweilen zahlreiche wissenschafltiche Publikationen rund um Meetings entstanden sind. Einiges findet sich praxisorientiert aufbereitet im Buch „Meetings. Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Empfehlungen für eine effiziente Gestaltung“ wieder.
Sie haben Psychologie studiert und sich auf die Betrachtung von Arbeit und Organisationen spezialisiert. Was würde Ihr studentisches Ich zu „Meetings“ sagen?
Mein studentisches Ich hätte es nie für möglich gehalten, so viel Zeit in Meetings zu verbringen. Vielen Studierenden, die in ihren Beruf einsteigen geht es übrigens heute ähnlich.
Aus diesen Gründen sprechen Soziologen mittlerweile von einer „meetingization of society“. Wie kommt es, dass Meetings solch eine wichtige Rolle eingenommen haben?
Meetings sind weit verbreitet. Je mehr Menschen voneinander abhängig sind und/oder je geringer die Machtunterschiede zwischen den Menschen sind, desto mehr Herausforderungen müssen durch Diskussionen und Entscheidungen in Besprechungen gelöst werden. Um die Ziele einer Organisation zu erreichen, müssen verschiedene Teile einer Organisation integriert und verknüpft werden. In Meetings werden Aufgaben koordiniert und Informationen ausgetauscht. Dies ist notwendig, um alle Beteiligten auf den gleichen Informationsstand zu bringen, um Anpassungsprozesse zu ermöglichen und Entscheidungen auf den gleichen Grundlagen zu treffen.
Meetings sind ein wichtiger Ort, um Beschäftigten eine Stimme zu verleihen. Damit stellen Meetings in Organisationen den Hauptort dar, an dem Beschäftigte ihre Meinung einbringen können. Diese Form der Partizipation und Einflussnahme ist besonders relevant für die Wahrnehmung organisationaler Gerechtigkeit, denn die Möglichkeit zur Mitsprache bestimmt, ob eine Entscheidung in Unternehmen als gerecht oder ungerecht wahrgenommen wird.
Meetings stellen den organisationalen Kontext dar, in dem am häufigsten die Bedeutung und Hintergründe organisationaler Entscheidungen und Vorgänge vermittelt werden. Diese Art der Sinnstiftung ist als Prozess definiert, durch den ein individuelles Verständnis für Erlebnisse und Erfahrungen entsteht. Durch die Teilnahme an Meetings wird z.B. das Gefühl sozialer Zugehörigkeit gestärkt.
Meetings bilden persönliche Beziehungen und Hierarchien ab. So zeigt bereits die Einladung zu Meetings die informelle Bedeutung Beschäftigter in der Organisation. Schließlich manifestiert sich die soziale Ordnung darin, wer bei der Zieldefinition und Entscheidungsfindung einbezogen wird. Wer ist beim Meeting dabei? Die Anzahl an Meetings, in denen teilgenommen wird, kann als Grad für die Bedeutung der eigenen Person in der Organisation herangezogen werden. Die Nicht-Einladung kann wiederrum als Ausgrenzung erlebt werden. In den Meetings selbst gibt der Zeitpunkt und die Anzahl der Wortbeiträge einer Person ebenso wie die Abfolge der Wortbeiträge Einsichten, wer welche Rolle und Bedeutung im Meeting hat.
Neue Mitarbeitende lernen in Meetings nicht nur den Diskussionsstil und die Art der Zusammenarbeit kennen, die im Unternehmen vorherrschen, sondern erleben auch die Führungskultur und das Betriebsklima aus erster Hand und werden so mit der Organisation vertraut und sozialisiert. Meetings können als ein Abbild der Organisationskultur gesehen werden. Innerhalb eines Unternehmens wird über Bereiche und Hierarchieebenen hinweg ähnlicher diskutiert als zwischen Unternehmen.
Was sollte man bei der Gestaltung von Meeting beachten?
Meetings bieten nicht nur eine Kommunikationsplattform, sondern sind auch Ereignisse, die Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben. Wir konnten zeigen, dass die Art der Kommunikation in Meetings mit der Produktivität von Arbeitsgruppen sowie dem Unternehmensefolg Jahre später zusammenhängt. Auch auf das gesundheitliche Wohlbefinden der einzelnen Mitarbeitenden hat nicht nur die Anzahl, sondern auch die Art der Kommunikation im Meeting einen Einfluss.
Seit dem Pandemiebeginn im letzten Jahr finden Meetings überwiegend digital statt. Welche Herausforderungen bringt das für die Gesprächsführung mit sich?
Forschung über virtuelle Teams baut maßgeblich auf der Idee auf, dass Medien verschieden „reichhaltig“ und unterschiedlich gut geeignet für die Übertragung reichhaltiger Informationen sind. Kurz gesagt: Wenn man eine E-Mail schreibt, gehen einige Informationen (z. B. die den Inhalt begleitende Mimik und Gestik) verloren. Als gehaltsarme Medien werden Brief und Telefon definiert, während das direkte Face-to-Face-Gespräch als das gehaltvollste Medium gilt. Virtuelle Kommunikation wird als ein wenig reichhaltiges Medium angesehen, da die Kanäle eingeschränkt sind und die Kommunikation unzuverlässig und vieldeutig sein kann, sodass sie ein erhöhtes Konfliktpotential birgt. Deshalb wird vorgeschlagen, bei reichhaltigen und mehrdeutigen Informationen wie z. B. beim Kennenlernen neuer Teammitglieder Face-to-Face-Kommunikation zu bevorzugen. Wenn es hingegen nur um die Vermittlung einfacher Informationen geht, wie z. B. bei einer Terminbestätigung, sind weniger reichhaltige Medien ausreichend.
Videokonferenzsysteme definieren sich über synchrone Kommunikation, durch die ein verbaler Austausch zwischen mehreren Parteien über beliebige Distanzen und Zeitzonen hinweg ermöglicht wird. Der Vorteil dieser Konferenzsysteme ist die visuelle Interaktionskomponente, sodass auch nonverbale Kommunikation einbezogen wird. Dadurch können soziale Hinweisreize von den Gesprächspartnern sowohl anhand der Stimme als auch anhand der Körpersprache wahrgenommen und interpretiert werden. Zudem bieten Konferenzsysteme eine einfache Möglichkeit zum Datenaustausch, sodass neben der Bearbeitung von Dokumenten auch Graphiken, Bilder und Präsentationen gezeigt werden können. Um eine solch umfassende digitale Kommunikation reibungslos zu ermöglichen, brauchen die Konferenzprogramme allerdings eine ausreichend gute Internetverbindung. Zudem erweisen sie sich als technisch herausfordernd.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass die häufige Nutzung von Videokonferenzen mit einer Vielzahl an Stressoren einhergeht, unabhängig davon, wie lange die Besprechung dauert. So frieren die Bilder der Gesprächspartner oft ein oder Umgebungsgeräusche werden übermäßig laut übertragen. Manchmal stürzt gar das gesamte System ab. Durch diese digitalen Stressoren fühlen sich Teilnehmende nach Videokonferenzen erschöpfter und stärker ermattet als nach klassischen Meetings. Dieses Phänomen bezeichnen Forscher*innen innen als „Zoom Fatigue“ (Zoom-Ermüdung). Grundlage des Begriffs ist dabei das Videokonferenzsystem Zoom.
Was kann man tun, um der "Zoom Fatigue" entgegenzuwirken?
Zoom Fatigue als Resultat der übermäßigen Nutzung von Videokonferenzen ist ein neues Phänomen, welches dennoch einen entsprechenden Umgang erfordert, weil es durch diverse Ursachen ausgelöst werden kann. Daher ist es wichtig, sich der Gründe und Auswirkungen bewusst zu sein, um in einer Zeit zunehmender Videokonferenzen gut auf die Arbeitssituation vorbereitet zu sein. Um den negativen Effekt zu vermeiden, ist es wichtig, die Anzahl und den Umfang virtueller Meetings zu begrenzen. So kann es hilfreich sein, die Videofunktion ab und an auszuschalten, um Informationsüberflutung und Ablenkung zu vermeiden. Zudem ist es empfehlenswert, die Kommunikation mit möglichst vielen sozialen Hinweisreizen (z. B. Smilies) anzureichern, um das Fehlen nonverbaler Signale zu kompensieren. Zur Minimierung von Umgebungsgeräuschen hilft es, den eigenen Ton auszustellen, wenn man gerade nicht spricht. Generell gilt für die Videoübertragung, dass man auf seinem eigenen Bildausschnitt gut ausgeleuchtet und ab dem Schulterbereich vollständig sichtbar sein sollte. Zusätzlich sollte man versuchen, Blickkontakt zu halten, in dem man in die Kamera statt auf die anderen Personen schaut. Zwischen Meetings ist es wichtig, kurze Phasen zum Entspannen und Lockern einzubauen. Dabei können Dehnungen oder kurze Bewegungsübungen schon ausreichen.
Der etablierteste Ansatz, um der dynamischen und komplexen VUKA-Welt zu begegnen, ist das Konzept der agilen Arbeit. Agilität bedeutet, sich flexibel an wechselnde Bedingungen, Situationen und Herausforderungen anpassen zu können. Dazu wird in kleinen Schritten und iterativen Schleifen vorgegangen. Somit werden Zwischenstände konstant überprüft und kontinuierlich Feedback gegeben, um Entscheidungen schnell korrigieren oder verwerfen zu können.
Durch agiles Arbeiten verändern sich nicht nur die Arbeitsprozesse im Unternehmen, sondern auch die Zusammenarbeit. Eine effektive Umsetzung der Agilität setzt voraus, Informationen schnell zu teilen und die Teamarbeit selbstorganisiert zu steuern. Um jederzeit flexibel reagieren zu können, spielen Feedback und aktive Reflexion eine entscheidende Rolle. Klassische Regeltermine decken diese Aspekte jedoch nicht zuverlässig ab, sodass im Rahmen der agilen Arbeit neue, flexible Meetingformate entstanden sind. Die Bedeutung von Meetings in unterschiedlichen Formaten kann auch bei agilen Arbeitsformen als nicht hoch genug eingeschätzt werden. Für verschiedene Anlässe werden unterschiedliche Meetingformate kreiert, die mit klaren Regeln und Vorgehensweisen belegt werden. Neben der persönlichen mündlichen Interaktion im Gruppenmodus, werden über Kollaborationswerkzeuge ganz neue Möglichkeiten geschaffen.
Wie sehen die Meetings der Zukunft aus?
Auch in den neuen Agilen Arbeitsformen spielen Meetings einen zentrale Rolle. Neben den Kollaborationswerkzeugen, die wir im Moment alle nutzen, bietet die Künstliche Intelligenz (KI) das Potential unterstützende Funktionen in Meetings zu übernehmen Die Funktionen beziehen sich nicht nur auf die Gestaltung der Meetings selbst, sondern auch auf die Integration in den Projektverlauf (Zeitpunkt, Häufigkeit, Zielsetzung). Denn KI kann in Form von KI-Agenten sowohl die Wissens- und Informationsakquise als auch die Planung, Durchführung und Nachbereitung virtueller und realer Meetings unterstützen. Dabei sind insbesondere Methoden des maschinellen Lernens und neuronaler Netze von Bedeutung. Schon jetzt sind automatische Übersetzungen in verschiedene Sprachen in die ersten Tools integriert, so dass die Teilnehmenden in ihrer präferierten Sprache kommunizieren können. So lassen sich im Meetingraum der Zukunft unterstützende KI-Agenten integrieren, die von der Wissens- und Informationsbereitstellung bis zur Nachbereitung (Maßnahmenumsetzung, Dokumentation) unterstützen. Zusätzlich kann KI bei der Beteiligung der Teilnehmenden sowie der Identifikation funktionaler und dysfunktionaler Kommunikation unterstützen. Ich träume von dem KI Agenten als Teammitglied, der mir bei einer Antragsidee die passende Ausschreibung zeigt und diese durch Schreibtätigkeiten unterstützt.