Exploring Space with Actor-Network-Theory
Diese Dissertation widmet sich der Frage nach dem Raum in der Architektur und diskutiert anhand einer spezifischen Gebäudetypologie, dem Monospace, hierfür das erkenntnistheoretische Potential der Akteur-
Netzwerk-Theorie (ANT).
Monospace Gebäude sind Ein-Raum-Architekturen, die sich durch einen maximal offenen Grundriss mit einer alles umschließende Hülle auszeichnen. Im Gegensatz zu Gebäuden, die durch Wände in eine Abfolge von Räumen unterteilt sind, wird der Monospace weniger durch die Hülle bestimmt als durch die wechselseitige Beziehung von Raum und Praktiken, Objekten, Materialien und Körpern. Die strukturelle Offenheit erlaubt vielfältige Interaktionen, die mit traditionellen architektonischen oder soziologischen Methoden nicht ausreichend untersucht werden können, wenn der Fokus entweder auf die physische Umwelt oder das soziale Leben gelegt wird.
Mit der ANT als Methode wird ein spezifisches Gebäude, das Sainsbury Centre for Visual Arts in Norwich, England von Forster Associates (1978) untersucht. Auf Basis der Feldforschung werden die gegenseitigen Verstrickungen von Menschen, Objekten und Gebäude verfolgt, die Arbeit, die nötig ist, um Raum zu erzeugen, aufgezeigt und erörtert, wie das Gebäude als Akteur sichtbar wird, wenn man sich der komplexen Realität von Gebäuden im Prozess des “spacing” zuwendet.
Ihr Buch „Monospace and Multiverse“ trägt dazu bei, ein neues Verständnis von Raum zu entwickeln. Wie wird Raum in der Architektur denn bisher verstanden?
Raum wird in der Architektur häufig noch als in Gebäuden enthalten verstanden. Das ist ein Raum in dem wir uns aufhalten und bewegen. Dieser Raum kann durch Wände eingefasst oder allgemeiner gesagt mit Material geformt werden. Albert Einstein hat in Abgrenzung zu einem relationalen Raumverständnis hierfür den Begriff des „Containerraum“ geprägt.
Welche Rolle nimmt die Architektin oder der Architekt traditionell gegenüber dem Raum ein?
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde durch Architekten wie Bruno Zevi oder den Architekturhistoriker Sigfried Giedion Raum zur „Essenz“ der Architektur erklärt. Die Raumvorstellungen waren dabei durchaus disparat, doch dominiert(e) ein traditionelles Raumverständnis, welches Raum unabhängig von Handlungen sieht. Die vorwiegende Aufgabe der Architektur war es also Raum zu gestalten, in welchem dann Handlungen / Interaktionen stattfinden. Dieses traditionelle Verständnis von Raum als Container, ist bis heute weithin mit der Vorstellung von Gebäuden als stabile und statische Objekte verbunden, die Raum enthalten. Dies kann nicht nur als eine fehlende Reaktion auf sich wandelnde räumliche Phänomene in einer globalisierten Welt gedeutet werden, sondern lässt auch eine Chance verstreichen, die Rolle und den Bezug von Architektur zum Sozialen in Theorie und Praxis zu überdenken.
Ihre Arbeit ist von einer fachfremden Perspektive auf den Raum geprägt, die aus den Geistes- und Sozialwissenschaften stammt. Wie wird Raum dort verstanden?
In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist ab den 1990er Jahren mit dem Spatial Turn ein reges Interesse gewachsen, soziale Phänomene durch den Raum zu verstehen und als Folge wurden neue Konzepte zur Untersuchung und Theoretisierung von Raum entwickelt. Raum wurde zu einem komplexen sozialen Prozess, der niemals abstrakt, singulär und von einer Hülle umschlossen sein kann. Auch hier lassen sich zahlreiche Raumvorstellungen finden und auch territoriale Räume haben nach wie vor ihre Bedeutung, doch wird zum Beispiel vermehrt versucht diese Territorien durch die Praktiken ihrer Aushandlungs- und Stabilisierungsprozesse zu beschreiben.
In Ihrer Arbeit haben Sie die Akteurs-Netzwerk-Theorie (ANT) genutzt. Was öffnet diese Theorie an Verständnis für Architektur?
Das Ziel meiner Untersuchung war es, das Potential der Akteur-Netzwerk-Theorie für die architekturbezogene Raumforschung zu untersuchen und aufzuzeigen, wie sie, die ANT, einen detaillierten Einblick und damit ein besseres Verständnis für die Beziehungen von Objekten, Materialien und Menschen und damit für die Beziehung von Architektur und sozialem Leben erlaubt.
Die Annahme der ANT, das Raum sich in Netzwerken bildet und sich in Prozessen entwickelt, in denen sich sowohl Personen wie Objekte, also Menschen und nicht-Menschen die Akteurschaft teilen, ist besonders für die Sicht der Architektur auf Raum anschlussfähig. Denn die Unbestimmtheit der Akteure, also was als ein Akteur zählt, die Hybridität der Netzwerke, erlaubt es der Architektur ihren traditionellen Fokus auf das materielle Objekt beizubehalten und sich zugleich für das Soziale, das hier zu einer „bestimmten Art der Zirkulation“ (Latour) wird zu öffnen. Das Netzwerk erzeugt Raum.
Tatsächlich hat der Raum oder besser der Spatial Turn in der Entwicklung der ANT keine explizite Rolle gespielt, nichts desto trotz bietet die ANT ein fruchtbares methodisches und begriffliches Repertoire um Raum zu fassen.
Ihr Untersuchungsobjekt ist das Sainsbury Centre for Visual Arts in Norwich gewesen. Was hat Sie selbst im Prozess am meisten überrascht?
Das Sainsbury Centre ist ein Monospace Gebäude, also ein Einraum-Gebäude, das von Foster Associates 1978 fertiggestellt wurde. Es ist auf dem Campus der University of East Anglia in Norwich, UK, gelegen und vereint unter einer alles überspannenden äußeren Hülle verschiedene Aktivitäten: das Museum, ein Cafe, ein Restaurant, eine Museumsshop, die School of Art History and World Art Studies und die Sainsbury Research Unit. Der Grundriss verrät wenig darüber, welches Leben sich potentiell mit dem Gebäude entfaltet.
Überraschend war für mich, dass dieses Gebäude ganz entgegen meiner Erwartungen nicht flexibel ist – es widersetzt sich auf vielfältige Weise spontanen und auch geplanten Umnutzungen. Nicht, weil es nicht anders genutzt werden könnte, sondern weil diese Möglichkeiten sich durch sein Netzwerk ausformulieren, durch etwa seine Verbandelungen bis heute mit dem Büro Foster + Partners, durch bestimmte Materialien und Fügetechniken, durch das Erbe der Mäzen/innen, oder auch durch die Kunstwerke, die hier präsentiert werden. Es ist der Blick in den Alltag dieses Gebäude, der erst die Komplexität und die vielfachen Verstrickungen und Aushandlungsprozesse mit dem Gebäude offen legt – räumliche Prozesse, die nie nur menschlich oder nicht-menschlich sind, die oft überraschende Wendungen nehmen und selten, selbst in dieser sehr reglementierten Museumsumgebung, ganz nach Plan laufen. Um also zu verstehen, was diesen speziellen Monospace ausmacht muss ich den Containerraum verlassen und mich den vielfachen Prozessen mit dem Gebäude zuwenden mit dem Nebeneffekt, so zusagen, gleichzeitig das Verständnis von Architektur und ihre Beziehungen zum Raum und zu den Menschen zu überdenken.
Welche Ansatzpunkte lassen sich aus Ihren Erkenntnissen zur Gestaltung einer Stadt der Zukunft ableiten?
Meine Untersuchung gibt Einblicke in die räumlichen Prozesse, wie sie sich in diesem spezifischen Gebäude in der Nutzung ausformulieren. Meine Ergebnisse sind aber allgemeinerer Natur, betrachtet auf die Möglichkeiten einer ANT -basierten Raumforschung, aber auch in Bezug auf die Architektur. Denn wenn wir im Bereich der Architektur den traditionellen Raumbegriff des Containerraumes verlassen, dann erlaubt diese eine neue Ausrichtung der Beziehungen der Architektur. Die stereotypisierten Menschen etwa – innerhalb der Architektur Nutzer/innen oder im musealen Kontext das Publikum – werden in der Untersuchung mit der ANT sichtbar und nuanciert. Und dies war, und da werde die Soziolog/innen schmunzeln, einer der überraschendsten Effekte für mich, denn die ANT ist weithin verschrien, Menschen nicht gut zu behandeln. Aus Sicht der Architektur ermöglicht sie eine Öffnung und Sensibilisierung eben für diese – für den flux, für das soziale Leben mit den Gebäuden. Die Lebensspanne dieser Gebäude ist dann für die Architekt/innen nicht mehr zu überblicken und so stellt meine Untersuchung die Idee des architektonischen Aufgabenspektrums ebenso wie das Objekt in Frage, welches mit dem Ende des Baus abgeschlossen oder fertig ist.
Raum als in Handlungsabläufen geschaffen zu verstehen, in denen nicht nur Menschen, sondern auch Nicht-Menschen agieren, lenkt den Fokus weg von Aspekten der Ästhetik, des Stils und der Technik, hin zu den Praktiken mit dem Raum. Hier können wir flüchtigeren Aspekten nachspüren und die kleinen Veränderungen und Beiträge der vielen anderen oft übersehenen Akteure aufzeigen. Insofern zeigt meine Arbeit das analytische Potential der ANT in der architekturbezogenen Raumforschung auf, welches in planerischen Tätigkeiten als Grundlage eines sensiblen und situierten Eingreifens genutzt werden kann. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen sind wir herausgefordert, räumliche Phänomene in ihren komplexen Verstrickungen etwa von global und lokal besser zu verstehen, um zum Beispiel den aktuellen Diskurs zu Formen eines „guten“ Zusammenlebens in Zeiten des Klimanotstands zu bereichern.
Was würde Ihr studentisches Ich zu Ihrem Buch sagen?
Ich wäre vermutlich gar nicht erst mit diesem Buch in Berührung gekommen. Der Blick auf die Architektur, in Bezug auf ihre Zielesetzungen und Aufgaben, war auch in meiner Ausbildung von einem objektorientierten Denken bestimmt.