Post aus … Japan

Masterstudent Dennis Kühn berichtet über seinen Auslandsaufenthalt in Tsukuba.

Allgemeine Informationen

Hier lebe ich momentan:
In Tsukuba, in der Ibaraki-Präfektur in Japan.

Das mache ich in Tsukuba:
Ich absolviere hier ein Forschungspraktikum, das im Chemie-Masterstudium an der TU Braunschweig im dritten Mastersemester vorgesehen ist. Es ist vergleichbar mit einer Bachelorarbeit: Man forscht etwa drei Monate an einem chemischen Projekt und am Ende hält man einen Vortrag und gibt einen schriftlichen Bericht ab.

Ich habe mein Forschungspraktikum im Bereich Materialchemie bei Professor Henning Menzel am Institut für Technische Chemie der TU Braunschweig in Zusammenarbeit mit Dr. Chiaki Yoshikawa am National Institute for Materials Science (NIMS) in Tsukuba, Japan, absolviert. Thematisch ging es dabei um die chemische Modifikation des Biopolymers Chitosan, das in der Natur beispielsweise in Pilzen vorkommt. Das Chitosan kann mittels Elektrospinning zu Nanofasern versponnen werden, die dann nach einigen weiteren chemischen Modifikationen im Tissue Engineering oder in der Wundversorgung verwendet werden können.

Mein Aufenthalt dauert insgesamt:
… knapp 3 Monate. Den Großteil dieser Zeit habe ich am NIMS in Tsukuba verbracht. Das NIMS hat ein eigenes Internship-Programm, bei dem jährlich ungefähr 100 Stipendien an internationale Studierende vergeben werden. Das ermöglicht den Studierenden, in einem Arbeitskreis am NIMS zu forschen. Das Stipendium beinhaltet die Unterkunft in Japan und eine kleine finanzielle Aufwandsentschädigung pro Monat. Da das NIMS ein Forschungsinstitut ist, gibt es keine Studiengebühren. Die sind aber an japanischen Universitäten üblich und können mehrere tausend Euro betragen.

Dr. Yoshikawa war bereits vor meinem Aufenthalt in Japan als Gastwissenschaftlerin an der TU Braunschweig zu Gast, wodurch ich sie bereits in Deutschland persönlich kennenlernen konnte. Dank der umfangreichen Unterstützung von Professor Menzel und Dr. Yoshikawa war die Organisation des Aufenthaltes von Braunschweig aus vergleichsweise einfach. Auch benötigt man als deutscher Staatsbürger für einen Aufenthalt in Japan unter 90 Tagen kein Visum, was die Organisation für mich deutlich vereinfachte.

Darum habe ich mich für einen Auslandsaufenthalt entschieden:
Mir war es immer wichtig, während meines Studiums Auslandserfahrung zu sammeln. Die Gelegenheit, für einen kurzen Zeitraum in einer fremden Kultur zu leben und dort in der Forschung zu arbeiten, bekommt man nach der Studienzeit wahrscheinlich nicht mehr allzu oft. Da sowohl die TU Braunschweig als auch generell die deutsche Wissenschaftslandschaft im internationalen Vergleich gut vernetzt sind, habe ich diese Chance gerne wahrgenommen. Japan ist für mich aufgrund der faszinierenden Kultur und den sehr guten akademischen Forschungsinstitutionen ein besonders attraktives Land für einen Forschungsaufenthalt.

Das Forschungspraktikum im Chemie-Masterstudium kann man ziemlich flexibel gestalten, deshalb eignet es sich aus meiner Sicht gut für einen Auslandsaufenthalt. Da ich mein Forschungspraktikum im Bereich der Materialchemie absolvieren wollte und sich dank des persönlichen Kontaktes von Professor Menzel die Chance in Japan auftat, habe ich die Gelegenheit dazu ohne großes Zögern wahrgenommen. Das habe ich auch im Nachhinein definitiv nicht bereut.

Leben vor Ort

So wohne ich in Japan:
Die Stadt Tsukuba ist ungefähr so groß wie Braunschweig und wurde von der Regierung vor einigen Jahrzehnten extra für die Ansiedlung der nationalen Forschungsinstitute ausgebaut. Im Vergleich mit den anderen japanischen Städten ist Tsukuba relativ jung und stark auf Forschung ausgerichtet. Das macht die Stadt zwar für japanische Verhältnisse ziemlich international, jedoch ist sie auch dafür bekannt, vergleichsweise ruhig und vielleicht etwas langweilig zu sein. Tokio ist aber leicht mit dem Zug zu erreichen. Bis zur Station Akihabara benötigt man circa 45 Minuten. Diese Gelegenheit habe ich auch fast jedes Wochenende genutzt.

Gewohnt habe ich in einem Gebäude, das speziell für ausländische Forscher*innen ausgelegt ist. Dort hatte ich eine eigene kleine Wohnung, mit allem, was man zum täglichen Leben braucht. Das Wohnheim befindet sich in unmittelbarer Nähe zum NIMS, beherbergt aber beispielsweise auch Forscher*innen des japanischen Raumfahrtinstituts JAXA, das ebenfalls in Tsukuba angesiedelt ist.

Was unterscheidet das Studieren und Forschen in Japan von dem Deutschland?
Das akademische Niveau ist vergleichbar mit Deutschland, aber die technische Ausstattung des Institutes ist auf Grund der großzügigeren finanziellen Forschungsmittel oft besser, als ich es an Universitäten erlebt habe. Die Arbeitsatmosphäre ist besonders bei den technischen Mitarbeiter*innen von äußerster Hilfsbereitschaft geprägt. Es wird sofort alles stehen und liegen gelassen, wenn man jemand nach Hilfe fragt, und die Kolleg*innen gehen erst wieder, wenn das Problem behoben ist. Das hat mich ziemlich beeindruckt.

Auf der anderen Seite ist die japanische Arbeitskultur aber sehr hierarchisch. Die akademische Position am Institut ist ein entscheidender Faktor im Umgang miteinander. Gerade Professor*innen werden von den japanischen Studierenden mit Ehrfurcht und höchstem Respekt behandelt. Sie trauen sich häufig nicht, sich unaufgefordert mit Professor*innen zu unterhalten.

Probleme werden eher nicht offen diskutiert und Regeln werden nicht nach ihrer Sinnhaftigkeit hinterfragt. Außerdem sind die japanischen Arbeitstage oft deutlich länger als in Deutschland. Auch um 20 oder 21 Uhr wird häufig noch im Büro oder im Labor gearbeitet.

Besonders typisch für mein Aufenthaltsland ist:
Die Sauberkeit in Japan ist wirklich beeindruckend. Es gibt kein Graffiti an den Wänden, alle öffentlichen Toiletten sind sauber (und High-Tech) und es liegt trotz fehlender Mülleimer in der Öffentlichkeit nirgends Müll herum – das hat mich schon bei der Anreise positiv überrascht. Auch waren ausnahmslos alle Züge und Flüge pünktlich. Das gesellschaftliche Leben im Alltag scheint selbst in einer Millionenmetropole wie Tokio absolut reibungslos zu funktionieren.

Japan ist ein interessanter Mix zwischen sehr alten Traditionen und modernster Technologie. Gerade in ländlichen Gebieten gibt es noch viele sehr alte Häuser und in fast jedem Dorf gibt es einen gut gepflegten Tempel. Die Digitalisierung hat in diesen Gebieten noch nicht Einzug gehalten. Es wird häufig noch mit Fax und Papier gearbeitet. Apps oder Ähnliches finden hier so gut wie keine Anwendung im Alltag. Auch sollte man immer etwas Bargeld dabeihaben, da viele kleinere Geschäfte keine Kartenzahlung akzeptieren. In dieser Hinsicht sind Japan und Deutschland sich in vielen Punkten ähnlich.

Auf der anderen Seite ist die städtische Infrastruktur in Japan deutlich moderner als hierzulande. Besonders die Großstädte wie Tokio, Osaka oder Kyoto sind im Vergleich zu deutschen Großstädten weitaus sauberer und mit einem besseren ÖPNV ausgestattet. Auch werden zum Beispiel moderne Roboter für Reinigungsaufgaben verwendet und in kleineren Restaurants bestellt man am Automaten.

Das habe ich hier in den ersten drei Tagen gelernt:
Als ich an meinem Flughafenhotel das Wasser aus dem Wasserhahn probiert habe, wurde mir schnell klar, dass ich wohl Trinkwasser kaufen muss. Das Wasser ist ohne Zweifel bedenkenlos trinkbar, aber es ist sehr chlorhaltig. Viele Japaner*innen filtern ihr Wasser deshalb vor dem Trinken. Glücklicherweise gibt es an jeder Ecke, auch in den kleinsten Dörfern, Getränkeautomaten, an denen man sich für faire Preise Getränke kaufen kann.

Auch habe ich gelernt, dass die Convenience Stores in Japan gerade für alle Ausländer*innen eine essenzielle Anlaufstelle sind. Egal, ob man Geld abheben möchte, schnell etwas Frisches zum Essen sucht oder etwas im Haushalt fehlt – der Convenience Store hat alles, was man braucht, und hat 24/7 geöffnet. Man kann in diesen Stores auch das dort gekaufte Essen gleich aufwärmen und sich zum Essen in den Laden setzen. Während meines Praktikums habe ich einen Dänen kennengelernt, der als PostDoc in Tsukuba arbeitet. Er bezahlt in den Convenience Stores sogar seine Miete, Versicherungen oder Flugtickets.

Die bisher größte Herausforderung während meines Aufenthaltes war …
Mir war von Anfang an klar, dass es unrealistisch ist, die japanische Sprache in den wenigen Monaten vor meiner Reise zu erlernen, auch wenn ich es mit einem Sprachkurs an der TU Braunschweig probiert habe. Als ich vor Ort gesehen habe, dass die Software von einigen Messinstrumenten ausschließlich auf Japanisch ist, war das erstmal schwierig ohne Hilfe. Allerdings hat mir der Google Übersetzer mit seiner Kamerafunktion häufig bei simpleren Sprachproblemen helfen können.

Im Alltag war die Sprache jedoch ein deutlich geringeres Problem, als ich erwartet hatte. Zwar spricht fast niemand Englisch, aber selbst in kleinen Dörfern sind viele Schilder auf Englisch und Japanisch ausgeschrieben. Und sollte es doch Probleme geben, sind die Japaner*innen äußerst hilfsbereit und nachsichtig.

Das nehme ich von hier mit nach Hause:
Ich hatte das große Glück, dass meiner Betreuerin nicht nur meine Forschung in ihrem Arbeitskreis wichtig war, sondern auch, dass ich Japan als Land genieße. Sie hat mit mir gemeinsam viele Tages- und Wochenendausflüge unternommen und ich habe sehr viel vom Land sehen können. Besonders der Ausflug auf die japanische Tropeninsel Okinawa und der Besuch der dortigen Forschungseinrichtungen waren Highlights. Auch konnte ich Kyoto im Herbst bereisen. Die Farbenpracht der Herbstbäume und die vielen historischen Gebäude machen Kyoto für mich zu dem schönsten Ort, den ich bisher gesehen habe. Sehr bewegend war der Besuch von Hiroshima und dem dortigen Friedensmuseum, wo ich einen Überlebenden des Atombombenangriffs treffen konnte.

Neben den Forschungsdaten und vielen Pokémon-Souvenirs nehme ich vor allem viele tolle Eindrücke der japanischen Natur und Kultur mit zurück nach Deutschland. Die guten Restaurants, die Sauberkeit und die Sicherheit in Japan werde ich definitiv vermissen. Ich möchte auf jeden Fall in absehbarer Zeit wieder nach Japan zurückkehren und den Norden des Landes bereisen.

Gut zu wissen

Diese landestypische Speise sollte man unbedingt probieren:
Das Sushi in Japan ist definitiv ganz anders als in Europa. Avocado oder Ähnliches habe ich dort beispielsweise nie gesehen. Es werden viele Fische und Meeresfrüchte für Sushi verwendet, die es in Deutschland so nicht gibt. Beispielsweise ist Uni Sushi (Seeigel) eine absolute Delikatesse, die man als Sushi-Fan in Japan mal probieren sollte. Auch der frische Bluefin Tuna ist unglaublich gut, und ich kann ihn auf jeden Fall weiterempfehlen, egal ob als Sashimi oder als Sushi serviert.

Ich hatte auch die Gelegenheit, Kugelfisch zu probieren. Der Fisch ist bei falscher Zubereitung tödlich und darf nur von lizensierten Köch*innen zubereitet werden. In Europa ist der Verzehr von Kugelfisch verboten, aber in Japan ist es traditionell eine Delikatesse. Er ist definitiv etwas Besonderes, aber ich kann den Kugelfisch nicht unbedingt weiterempfehlen. Der Fisch ist sehr zäh und fast geschmacklos.

Welches Fettnäpfchen sollte man in Japan vermeiden?
In Japan gibt es unzählige gesellschaftliche Regeln und Normen, an die man sich halten sollte. Beispielsweise sollte man Essstäbchen nie in den Reis stecken (ein Ritual bei Beerdigungen in Japan), nicht auf jemanden direkt mit den Stäbchen zeigen, nie etwas direkt von Stäbchen zu Stäbchen reichen (ebenfalls Beerdigungsritual) und das sind nur einige Essensregeln. Das meiste lernt man jedoch, wenn man sich das Verhalten der Japaner*innen anschaut, mit der Zeit von ganz alleine.

Wenn man Japan besucht, wird man zwangsläufig in viele kleine gesellschaftliche Fettnäpfchen treten. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Jedoch nehmen die Japaner*innen dies einem nicht übel. Im Zweifel weisen sie höflich auf einen Fehler hin, aber als Ausländer wird man mit Nachsicht behandelt. Es fällt eher positiv auf, wenn man sich doch so gut wie möglich an die gesellschaftlichen Regeln hält.

Eine wichtige Regel sollte man aber auf jeden Fall immer beachten: Wenn man jemanden besucht, sollte man sich die Schuhe ausziehen. Fast alle Häuser haben eine kleine Stufe am Eingang, die man mit Schuhen nicht übertreten sollte.

Diesen Tipp gebe ich anderen Studierenden, die ins Ausland gehen möchten:
Auf jeden Fall empfehle ich, einen Auslandsaufenthalt ins Studium zu integrieren. Die Gelegenheit, auf diese Weise längere Zeit im Ausland zu verbringen, bekommt man nach dem Studium nicht mehr allzu oft. Besonders, weil die Universitäten mit Erasmus+ und verschiedenen Stipendien gute Unterstützungsangebote für Auslandsaufenthalte bieten. Viele Professor*innen haben auch ein Interesse daran, ihre Auslandskontakte zu pflegen und helfen interessierten Studierenden, einen Aufenthalt bei den Partnerinstituten zu organisieren. Eine wichtige Voraussetzung, die man jedoch mitbringen sollte, sind ausreichende englische Sprachkenntnisse. Ich kann einen Auslandsaufenthalt nur wärmstens empfehlen!