Nachdem Herr Götter nun schon mal kräftig mit Berichten aus Island vorgelegt hat, sehe ich mich doch gezwungen auch mal etwas über mein Austauschhalbjahr in Ungarn zu schreiben. Geplant sind momentan drei Artikel: Einen über das Leben in Ungarn, einen über das Wohnen und dann noch einen über das Studieren. Falls darüber hinaus noch weiteres Interesse besteht, böten sich sicherlich noch mehr Themen an. Ungarische Geschichte oder aktuelle Politik zum Beispiel.
Ich bin nun also schon über drei Monate hier in Pécs, das im südlichen Teil Ungarns, kurz vor der kroatischen Grenze liegt und werde versuchen euch etwas über das Leben hier im Allgemeinen zu vermitteln; meine ersten Eindrücke und der ungarische Way of Life eben. Ich hätte auch bereits unzählige Anekdoten zu erzählen, aber ich werde versuchen mich auf das Interessanteste und Wichtigste zu beschränken.
Ungarn liegt nicht in Osteuropa! Diesen Umstand, auf den mich der Administrator meines Vertrauens zuletzt auch wieder hingewiesen hat, kann man natürlich erst mal sehen wie man will und die meisten Leute würden das wohl auch durchaus anders sehen. Aber in Ungarn sollte man das lieber niemanden hören lassen. Denn es wird Wert darauf gelegt, dass man als ein Land, das schon jahrhundertlang Europas Bollwerk gegen die Osmanen war, zu Mitteleuropa gezählt wird. Und zumindest vom historischen Standpunkt aus gesehen scheint dieses auch durchaus Sinn zu machen. Und wirklich ist für Ungarns Ostansiedlung bei den meisten Leuten wohl die kommunistische Vergangenheit hinter dem eisernen Vorhang der Hauptgrund. Und die währte immerhin noch nicht einmal fünfzig Jahre.
Die Ungarn schlafen ungern alleine. Wo in Deutschland längst mit Tabus wie Trennung und Singledasein gebrochen wurde, wurden in Ungarn einige Werte noch länger konserviert. So ist das Land fast komplett katholisch. Doch sogar schon unter den Studenten ist die Singlequote erheblich niedriger. Anstatt dieses nun mit Zahlen zu dokumentieren erzähle ich lieber von einer Erfahrung aus einem Kaufhaus. Als ich mit einer Freundin einen Bettbezug für ihr Wohnheimbett besorgen wollte, mussten wir verdutzt feststellen, dass es einfach keine Bezüge für 90-cm-Betten gibt. Da waren wir dann schon etwas überrascht. Denn natürlich wird es in irgendeinem Matratzenfachgeschäft in Ungarn wohl auch die passenden Utensilien geben, aber zumindest in der Wäscheabteilung dieses Interspars waren alle zu bekommenden Bettlaken 140 oder 200 Zentimeter breit. Und davon gab es dort eine Menge.
Weitere, häufig anzutreffende Geschäfte sind übrigens der ortsansässige Konzum (sprich: Konsum) und der britische Verkaufsschlager Tesco. Um eine Vorstellung über die Preise zu bekommen hier einige Preisbeispiele: Brötchen umgerechnet 3 Cent, Bier: 25 Cent. Ein Getränk in der Kneipe kostet normalerweise auch nicht mehr als 1 Euro.
Das Wetter ist hier sehr mediterran. Im Sommer ist es sehr warm und der Herbst ist recht mild. Der Winter ist dafür leider auch sehr kalt. Es wird sogar bedeutend kälter als in Deutschland und es gab schon im November den ersten Schnee. Regen fällt hier auch nicht besonders häufig. Die ersten zwei Wochen, die ich hier war, hat es zum Beispiel überhaupt nicht geregnet. Wenn es aber einmal anfängt, dann allerdings gleich für mehrere Tage ohne Unterlass.
Vorsicht am Zebrastreifen! An den etwas waghalsigen Verkehr sollte man sich hier schnell gewöhnen, denn die Fahrer sind nicht nur von sich aus etwas rücksichtsloser, sondern gewisse Verkehrszeichen sind einfach nicht verpflichtend. Das ist sogar im Gesetz so verankert.
Wer also in Ungarn die Straße überquert, sollte aufpassen, dass er nicht von einem der vielen Trabants und Wartburgs überfahren wird. Diese sind hier nämlich so häufig, dass es Reparaturwerkstätten gibt, die sich speziell auf diesen Autotyp spezialisiert haben. Und sogar die Rechte an diesem, so vernahm ich, wanderten bereits von deutschem auf ungarisches Gebiet.
Das soll es dann auch erst einmal gewesen sein. Beim nächsten Mal werde ich dann etwas über Wohnen in Ungarn schreiben.
Als ich im September in Ungarn ankam, wurde ich erst mal im Szántó Kellegium, dem größten Studentenwohnheim von Pécs untergebracht. Der Preis betrug damals noch 10.000 Forint (etwa 40 Euro) und wurde mittlerweile aber auf 15.000 Ft / 60 Euro angehoben. Ungarische Studenten zahlen nur 20 Euro, kriegen aber angeblich nur einen Wohnheimplatz, wenn ihre Eltern kein Geld für eine Wohnung aufbringen können, mit anderen Worten recht bedürftig sind. Dieses sieht in der Realität aber ziemlich anders aus und die meisten Plätze werden tatsächlich über Beziehungen vergeben.
Ich wohnte mit 30 bis 50 anderen ausländischen Studenten und noch mal der gleichen Anzahl ungarischen Studenten auf dem sogenannten Erasmusflur im vierten Stock. Die Erasmus-Studenten kamen hauptsächlich aus West- (Spanien, Portugal),Mittel- (Frankreich Deutschland) und Nordeuropa (Norwegen, Finnland). Unsere Zimmer mussten wir uns jeweils mit zwei anderen Studenten teilen. Noch vor einem Jahr wohnten die Erasmus-Studenten im Erdgeschoss, ganz in der Nähe vom Eingang in Zwei-Bett-Zimmern. Doch laut eines Gerüchtes, was mir dort zugetragen wurde, geschah auch diese Verlegung in die vierte Etage nur, weil jemand seine Beziehungen spielen gelassen hat.
Die Qualität des Wohnheims reicht keinesfalls an die deutscher Wohnheime heran und ständig ging irgendetwas kaputt, aber zumindest die 6 Toiletten und 8 Duschen haben erstaunlicherweise für den gesamten Flur ausgereicht. Trotz allem war es sehr ärgerlich, dass wir nur einen sehr alten Herd und einen kleinen Tisch für die Küche und einen fast leeren Gemeinschaftsraum hatten.
Häuser und Wohnungen in Ungarn sind auch sehr günstig. Da Immobilien unbeweglich sind, ziehen die Preise langsamer an, um sich den west/mitteleuropäischen anzugleichen. Eine Wohnung kann man also schon ab etwa 100 Euro mieten. Ein gnazes Haus lohnt sich auch schon ab etwa 4 Personen. Und sehr zur Freude des Studenten werden so gut wie alle Wohnungen und Häuser in Ungarn komplett möbliert und ab einem beliebigen Zeitpunkt vermietet, also nicht unbedingt zum 1. eines Monats. Mietverträge sind dabei, außer in Budapest, eigentlich eher die Ausnahme. Ich habe mich da auch etwas darüber gewundert, aber das System scheint gut zu funktionieren.
Das war es erst einmal von mir. Im dritten Bericht wird es um Tips für den Austausch nach und das Studieren in Ungarn gehen.
In diesem letzten Teil der Ungarn-Reihe wird sich alles rund ums Studieren drehen. Zuerst werde ich versuchen ein paar Tips für Bewerber zu geben, die auch ein Semester nach Ungarn gehen wollen; dann werde ich die Situation beschrieben, die ich in Ungarn zum Studieren vorfand. Diese war, das sei bereits vorweggesagt, nicht immer einfach, aber dafür stets überraschend.
Die Bewerbungsfristen für Auslandsstudiensemester, sowohl für das Winter- als auch für das Sommersemester, laufen Ende März aus. Meine Bewerbung nach Pécs im Wintersemester 2004/05 war Anfang April. Meine erste Ansprechpartnerin war Frau Mätzing von der Abteilung Geschichtsdidaktik. Sie gab mir die Unterlagen, die ich auszufüllen hatte und war auch nicht so streng mit den Fristen. Danach meldete ich mich im International Office für die Erasmus-Outgoings. Dort war Frau Kopka mein Kontakt während des Aufenthalts. Außer der Übernahme eventueller Studiengebühren sponsert Erasmus auch noch einen bestimmten monatlichen Betrag, der den Lebenskosten des jeweiligen Gastlandes angepasst wird. In Ungarn wäre er entsprechend gering, ich glaube etwa 70 €, gewesen. Dieser fiel allerdings weg, ich erfuhr, dass ich mich stattdessen auf das wesentlich höhere Go East Stipendium des DAAD bewerben konnte. Da sonst niemand von der TU nach Osteuropa ging, hätte ich sogar das ganze Stipendium von 10 Monaten in Anspruch nehmen können. Das war mir dann aber doch zu lang und ich entschied mich für nur 5 Monate Austausch. Das Eintersemester beginnt in Ungarn in der zweiten Septemberwoche und geht offiziell bis Ende Januar. Vorlesungen und Seminare endeten aber schon im Dezember und im Januar gab es nur noch Nachprüfungen. Nach kurzer Pause geht es dann in der zweiten Februarwoche mit dem Sommersemester weiter. Dieses endet meines Wissens nach im Juni.
Die vorgefundene Studiensituation in Ungarn war für Studierende aller Fachrichtungen grundverschieden. Während die Witschaftsleute in einen fertigen englischen Studiengang zusammen mit Ungarn kamen und auch für die Madizinstudenten schon englische Kurse existierten, waren wir Geisteswissenschaftler erstmal ziemlich hilflos und verwirrt. Es gab nur vereinzelte Kurse auf Englisch und Deutsch, hauptsächlich beim Anglistik- oder Germanistikseminar. Vor der Anreise hatten wir alle von Kata, unserer Koordinatorin einen etwa 12 Seiten langen Bogen über nicht-ungarische Studienangebote an der Faculty of Humanities zugeschickt bekommen. Darin waren bestimmt 20 Geschichtskurse auf Englisch oder Deutsch verzeichnet und noch einmal ebenso viele für Politik. Wir erfuhren aber von den Professoren, die wir gleich in der ersten Woche aufsuchten, dass diese Kurse gar nicht wirkich "real existierten". Sie waren lediglich Vorschläge, über die man mit den Professoren verhandeln musste. Der erste Glückliche war Professor Férenc Fischer, der Dekan der neueren Gesichte, der ausgezeichnet Deutsch sprach, furchtbar nett war und sich in die Zettel gleich mit 4 Vorschlägen eingetragen hatte. Er selbst redete sich gleich aus der Verpflichtung, mit der Begründung, dass die Liste ja aus dem Sommersemester sei. Wirklich mussten wir feststellen, dass sie noch nicht aktualisiert worden war. Allerdings zitierte er gleich zwei jüngere Kollegen, mit denen wir uns über mögliche Kursangebote unterhalten sollten.
Zsólt Vítari bot uns dann auch einen Kurs über Deutschland im 19. Jahrhundert auf Deutsch an. Teilnehmer waren außer mir nur ein anderes Mädchen. Leider kamen wir im Semster gerade mal so bis zum Beginn des 19. Jahrhundert, aber das machte ja nichts. Mit Herrn Árpad Hornyak machten wir mit etwa sechs Leuten ab, uns ab Mitte Oktober zu treffen, um auf Englisch über Ungarn im 20. Jahrhundert zu reden. Auch hier schafften wir nicht alles. Wir stießen gerade einmal bis tief in die Horty-Ära vor, etwa bis 1940 vor. Anderes Historisches aus späterer Zeit sollte ich vor allem aus dem Politik-Kurs erfahren, der von Zóltan Bretter, einem ehemaligen Parlamentsmitglied, und seinen Kollegen extra für uns veranstaltet wurde. Aus der mittelalterlichen Geschichte fanden wir noch eine äußerst nette und sehr gut deutsch sprechende Professorin, Zsúzsa Barbarics, die uns über das Osmanische Reich im 14. bis 16. Jahrhundert informierte. Außerdem traf ich mich noch mehrmals mit der Dekanin, Frau Márta Font, deren Fachgebiet, die Deutschen in Ungarn im Mittelalter waren.
Zusätzlich besuchte ich noch Kurse am Englisch-Seminar. Einer wurde von einem amerikanen Austausch-Professor anlässlich der amerikanischen Wahl über das Wahlsystem gehalten. Leider war er aufgrund seines Nuschelns und seines Dialekts nur schwer verständlich. Ein Engländer namens Andrew Rouse veranstaltete einen Kurs über England vom 14. bis 16. Jahrhundert.
Besonders empflehlenswert war noch der Kurs "Globalisation an the third World", der im International House stattfand. Das vormalige Europa-Haus liegt direkt im Zentrum der Stadt und war vor einiger Zeit noch um die "American Corner" erweitert worden. In dieser American Corner fanden oft Veranstaltungen statt, wie Filmreihen und Diskussionsrunden und es wurden Gäste empfangen. Wie zum Beispiel George Herbert Walker, der amtierende Botschafter der USA in Ungarn und Kusin des Präsidenten. In dieser American Corner trafen wir uns mit dem dortigen Chef István Tarrosy in zweiwöchentlichen Doppelsitzungen, um in gemütlicher Runde, abwechselnd mit Tee, Kaffee oder Wein, anspruchsvolle Themen aufgelockert zu besprechen. Herr Tarrosy ist zugleich auch für andere Aktivitäten zuständig. Zum Beispiel für die Bewerbung Pécs´zur Kulturhauptstadt Europas 2010, bei der sie auch gute Chancen haben und für ein gewisses Studentenfestival, das immer im Sommer stattfindet und den kuriosen Namen ICWIP trägt. Außerdem für die Zeitschrift SIEN Quarterly, für die die sechs Teilnehmer des Seminars jeweils einen Artikel schrieben, der statt des sonst üblichen Papers als Abschlussarbeit gewertet wurde. Es gibt allerdings gerade die Diskussion, die Zeitschrift umzubennen. Da die Dezember-Ausgabe immer noch nicht erschienen ist, wäre der Name SIEN Yearly vielleicht passender.
Für die Seminare wurde meist ein Referat und eine Abschlussarbeit verlangt, um eine Note zu bekommen, bei manchen auch nur ein Referat und bei Mr. Rouse schrieben wir sogar Klausuren. Ein für mich als Magisterstudent bislang immer noch einzigartiger Fall. Zur Literatursuche gab es mehrere Möglichkeiten. Im historischen Seminar war erst einmal eine kleine Bibliothek, leider fast nur mit ungarischer Literatur. Im Seminar, wo eigentlich alle anderen Geisteswissenschaften sind war schon mal eine größere, recht brauchbare und im Zentrum noch eine größere mit einer eigenen Reihe für englische Bücher. Für gewöhnlich fand sich auch immer jemand bei der Anmeldung, der einen verstand. Die ganzen Bibliotheksausweise kann ich jetzt zu meiner Sammlung mit den Braunschweiger und anderen legen.
Fabio Reinhardt
Braunschweig, den 28.09.2005