Maxime: „Die besten Ideen scheitern an den Leuten.“ (Brecht)
Sprechzeiten: nach Vereinbarung über geschichtsdidaktik@tu-braunschweig.de
Eulenspiegel hat im hiesigen Raum eine lange Tradition. Er ist aktuell und bietet die Möglichkeit zu kritischer Auseinandersetzung mit brennenden Fragen unserer Zeit (ethnische und religiöse Inhomogenität, soziale Ungleichheit, politisch-emanzipatorische Praxis, Ökologie). Obwohl er ein Markenzeichen der Braunschweigischen Region und des Landkreises Wolfenbüttel ist, leben viele Menschen in der Geburtsregion Eulenspiegels (oder besuchen sie), ohne über dessen Namen hinaus etwas zu wissen.
Eine Gestalt wie Till Eulenspiegel füllt ihr geographisches Wirkungsfeld nachhaltig mit Geschichten, Bildern und Werten, die den dort ansässigen Menschen gemeinsam sind und von Generation zu Generation in Familie oder Schule weitergegeben werden. Je stärker eine derartige Identifikationen von Raum und Figur ist, desto erfüllter ist der Raum von dieser Figur, desto spürbarer ist sie an diesem Ort „gegenwärtig“ und mit ihr ihre Lebens- oder Entstehungszeit wie z. B. das Mittelalter oder die Frühe Neuzeit. So hat eine solche Figur auch ihre Rolle bei der Integration von Neuankömmlingen zu spielen und ist eine Trumpfkarte im Geschichts- und Kulturtourismus der Region. Die Relevanz der Eulenspiegel-Figur besteht auch darin, dass sie in scheinbar gefestigte Ordnungen und Strukturen eindringt und diese auf originelle und eingängige Weise in Frage stellt. So kann Eulenspiegel insbesondere für die jüngere Generation ein politisch-emanzipatorisches wie sozial eingreifendes Identitätsangebot sein.
Ziel des Projektes ist es, die Figur Eulenspiegel in ihren schriftlichen, bildlichen, plastischen, theatralischen, muslikalischen, filmischen und sonstigen medialen Repräsentationen sowie in ihren lebensgeschichtlichen, architektonischen und landschafltichen Zeugnissen im Till Eulenspiegel-Museum Schöppenstedt und in ihrer Herkunftsregion rund um den Geburtsort Kneitlingen und den literarischen Entstehungsort Braunschweig zu erforschen und über eine digitale Plattform zu präsentieren, um sie für kommende Generationen als Integrationsangebot und historische Schatzkammer vor Ort erlebbar wie gesellschaftlich produktiv zu machen.
Ein Kooperationsprojekt des IBRG, der Kroschke Kinderstiftung und des Eulenspiegel-Museum Schöppenstedt. Das Ziel des Projekts ist es, Kinder im Eulenspiegel-Museum Schöppenstedt unter Anleitung von Studierenden zu Guides für Gleichaltrige und Erwachsene auszubilden. Bei den teilnehmenden Kindern handelt es sich um Grund- und Mittelschüler*innen. Der Schwerpunkt wird dabei auf Kinder gelegt, die ein erkranktes Geschwisterkind haben und deshalb im familiären Kontext ein verringertes Maß an Aufmerksamkeit erfahren,. Das Projekt ist dediziert inklusiv ausgerichtet und bietet auch Kindern mit Behinderung die Möglichkeit der Teilnahme.
in Kooperation mit der Handschriftenabteilung der ThULB Jena, gefördert von der Delbrück’schen Familienstiftung
Die Abteilung Geschichte und Geschichtsdidaktik des Instituts für Geschichtswissenschaft der TU Braunschweig beabsichtigt eine Edition von Dokumenten zur politischen Biografie von Clemens von Delbrück. Ziel der in Kooperation mit Dr. Uwe Dathe (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena) erfolgenden und durch die Delbrück’sche Familienstiftung geförderten Edition ist es, die Dokumente des bedeutenden Politikers des Kaiserreichs und der Weimarer Republik erstmals in edierter Form einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
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Abgeschlossen
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Rezensionen
Interviews
Vorlesungen
Mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ging auch eine geteilte Rezeption Friedrich Nietzsches einher. In Ost und West hatte man auf je eigene Weise Probleme mit dem unbequemen Denker, der durch die nationalsozialistische Werkexegese zusätzlich gelitten hatte. Matthias Steinbach hat dem DDR-Verhältnis zu Nietzsche nachgespürt und entwirft so einerseits ein auch autobiografisch untersetztes zeithistorisches Panorama, andererseits gelingt ihm ein spannender Blick auf den Umgang mit Philosophie und ihren Protagonisten überhaupt.
Rezensionen:
Braunschweiger Zeitung vom 05.10.2020
»Mein Kampf« in der Schule. Die Forderung, die nach der kritischen Edition des Münchner Instituts für Zeitgeschichte im Frühjahr 2016 laut wurde, verdient ein Fragezeichen. Hitlers autobiografisches Weltanschauungsbuch, so die damaligen kultusministeriellen Verlautbarungen Bayerns oder Thüringens, tauge nun endlich, wissenschaftlich eingehegt und widerlegt, auch für den Geschichtsunterricht – zur Erklärung des Nationalsozialismus, zur Immunisierung gegen rechtes Gedankengut und zum Einüben demokratischen Handelns. Vorliegende Diskussionsbeiträge von Studierenden und Dozenten der Technischen Universität Braunschweig, von Lehrerinnen und Lehrern der Region sowie städtischem Publikum reagierten auf die Debatte und ein in Sachen Hitler noch immer schwieriges Verhältnis von Wissenschaft und Unterricht wie von Geschichte und Geschichtspolitik.
ZeitgeschichteN, Band 17
Seit 1914 saß Wladimir Iljitsch Lenin in der neutralen Schweiz fest. Obgleich nie ein „Agent des Kaisers“, konnte er im April 1917 dank deutscher Unterstützung nach Russland ausreisen. Für Churchill wurde er damals von den Deutschen „wie ein Pest-Bazillus“ ins verdämmernde Zarenreich eingeschleust. Dabei war Lenin mehr als nur ein Objekt oder „Projektil“ im Spiel der Weltkriegspolitik. In der „szenischen Lesung“, die aus diplomatischen wie literarischen Quellen arbeitet und mit einem Dokumentenanhang versehen ist, erscheint er als strenger Theoretiker, aber auch als skrupelloser Pragmatiker der Revolution, der seine Gegner besser kannte als sie ihn. Ob Lenins Reise eine „Sternstunde der Menschheit“ war, wie noch Stefan Zweig behauptete, oder nur ein folgenschwerer Unglücksfall der Geschichte – darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Lenins Sieg entzauberte die Revolution. Was blieb, war eine Menschheitshoffnung.
Braunschweiger Vorträge zur Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands 2009/2010
Hrsg: Matthias Steinbach & Michael Ploenus
Der Band versammelt die Beiträge der Vortragsreihe Geteilte Erinnerungen – deutsche Geschichten, die im Wintersemester 2009/2010 an der TU Braunschweig stattfand. Sie spürt jenen deutsch-deutschen Geschichten nach, die sich im Schatten der Mauer zugetragen haben und sich – wie deren Splitter – verstreuen und verflüchtigen. Selbst harte politisch-militärische Grenzen wie der römische Limes, die chinesische Mauer oder Europas Eiserner Vorhang unterliegen am Ende dem Naturgesetz des Wandels – von einer trennenden Demarkationslinie und Angstzone hin zu einem verbindenden Kulturraum. Allerdings, und insofern stimmt das mit dem Naturgesetz nur bedingt, geschieht derlei nie von selbst. Man muss die Dinge anfassen und die Frage nach den Geschichten dahinter stellen. Es ist an uns, sie zu erzählen, wieder und wieder.
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ZeitgeschichteN, Band 13
In der Jenaer Universität hängt Ferdinand Hodlers Wandgemälde »Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg von 1813«. Entstanden als Auftragswerk zum 350. Gründungsjubiläum der Hohen Schule im Jahr 1908, geriet es in die Kritik, nachdem der Schweizer Maler im September 1914 eine Protestnote gegen die deutsche Kriegführung in Belgien und Frankreich unterzeichnet hatte. Um das Bild entspann sich daraufhin einer der größten Kunstskandale des deutschen Kaiserreichs. Die realsatirische Verarbeitung des Bilderstreits als szenische Lesung bietet, kommentiert und um zeitgenössische Dokumente ergänzt, einen möglichen Zugang zum Kulturkrieg von 1914. Die Affäre mit ihren berühmten Protagonisten Ernst Haeckel und Rudolf Eucken ist dabei mehr als nur historische Etüde oder nationaldeutsche Posse. Offenbart sie doch, wie eine durch internationalistische Tendenzen in Wissenschaft und Kunst abgeschwächte patriotische Grundstimmung im Kriegsfall in wüsten Fremdenhass umschlagen kann und selbst ästhetische Beurteilungskriterien dann dem Primat des Politischen unterliegen.
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Hrsg.: Matthias Steinbach
»Es geht in den Krieg wie die Ente ins Wasser...« So beschrieb eine deutsche Diplomatengattin in London, was sie im August 1914 sah und hörte: wie nicht nur in Deutschland die Begeisterung über einen Anlass zum Krieg und die Überzeugung, ein solcher Krieg sei von nationalem Vorteil und gewinnbar, Überhand nahm – eine Kriegslüsternheit, die uns heute schier unbegreiflich ist.
Diese vielstimmige Anthologie unternimmt es, den oft beschworenen »Geist von 1914« in seinen höchst unterschiedlichen Ausprägungsformen, die »Augusterlebnisse«, zu rekonstruieren, die seelische Atmosphäre zu Beginn und die brutale Ernüchterung, die folgte, aus autobiographischen Texten und literarischen Selbstzeugnissen zu charakterisieren.
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Rezensionen zum Nachhören:
Hrsg.: Matthias Steinbach & Uwe Dathe
Die kritisch kommentierte Edition der Tagebücher des Historikers Alexander Cartellieri (1867-1955) leistet einen Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft in systemübergreifender und transnationaler Perspektive zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaatlichkeit. In seltener Kontinuität lässt sich anhand des über 76 Jahre geführten Selbstzeugnisses zeigen, wie ein deutscher Historiker mit Frankreichschwerpunkt sein Metier im Wandel der Zeit betrieb und in welchen personellen und strukturellen Zusammenhängen sich sein Oeuvre und seine Disziplin im Rahmen universitärer Wissenschaften entfaltete. Interessant zu beobachten ist es zudem, wie der Historiker die politischen Umbrüche und Wechselfälle des deutschen Jahrhunderts erlebte und verarbeitete. Das hier erstmals in Auszügen veröffentlichte Diarium gibt insgesamt Aufschluss über Leben und Werk eines international tätigen und gleichwohl stark national verwurzelten Historikers.
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Rezensionen:
http://www.hsozkult.de/review/id/rezbuecher-22576?title=test-url-titel (Gerhard A. Ritter)
http://www.perspectivia.net/publikationen/francia/francia-recensio/2015-2/ZG/steinbach-dathe_schoettler?searchterm=carte (Peter Schöttler)
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19847 (Julian Köck)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/francia-recensio/2016-1/19-21-jahrhundert-epoque-contemporaine/alexander-cartellieri (Christian Amalvi)
C’est un document exceptionnel que publient les éditions Oldenburg de Munich. Exceptionnel, il l’est à plusieurs titres. En premier lieu, en raison de sa longueur: démarrant en janvier 1899, un an après la mort de Bismarck, le journal s’arrête en décembre 1953, quelques mois après la disparition de Staline. Il couvre ainsi plus d’un demisiècle d’une histoire particulièrement dense et tragique pour le monde, l’Europe en général et l’Allemagne en particulier, dont la chronique est tenue par un observateur très compétent en raison de son immense culture historique. Il l’est ensuite à cause de son foisonnement narratif.
Il convient d’être très reconnaissant à Matthias Steinbach et Uwe Dathe d’avoir exhumé ce monument et de l’avoir si bien présenté à ses lecteurs: par son introduction, ses notes de bas de page, ses index, ce volume est digne de l’érudition incarnée en son temps par Alexander Cartellieri. Il faut à present songer à faire connaître ce document exceptionnel à tous ceux qui sont passionnés par une période si tragique de l’histoire de l’Europe, mais qui ne lisent pas l’allemand. À mon humble avis, une équipe francoangloallemande d’historiens et de germanistes devrait se mettre au travail, peutêtre sous l’égide de l’UNESCO, pour aboutir à une traduction complète en anglais et en français, et, si ce n’est pas possible en raison de la longueur du »Journal«, du moins à une sélection des passages les plus significatifs, notamment ceux qui concerne la guerre de Trente Ans, la période 1914–1945, qui correspond au suicide du continent européen. Ce serait une très utile contribution à la connaissance de l’histoire européenne, pour le meilleur et pour le pire …
Zu Edition und Rezeption eines Klassikers
Hrsg.: Matthias Steinbach & Michael Ploenus
Marx ist en vogue und wird angesichts globaler Krisen wieder als potenzieller Problemlöser befragt. Dagegen plädieren die Herausgeber dafür, Marx und den Marxismus in seiner Vielgestaltigkeit historisch-kritisch zu lesen und mithin sine ira et studio zu erforschen. Jenseits ideologischer Grabenkämpfe geht es um den unverstellten Blick auf einen großen Denker und dessen Nachhall in Wissenschaft und Gesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts. Der vorliegende Band vereint Beiträge, die der Editions- und Rezeptionsgeschichte nachspüren – und Marx gleichsam als intellektuellen Prüfstein begreifen.
Hrsg.: Matthias Steinbach
Der sagenumwobene gordische Knoten, der Herrschaft über ganz Asia, also Persien demjenigen versprach, der ihn löste, wurde von Alexander dem Großen, der natürlich um seine Bedeutung wusste, ganz einfach durchgehauen. Der Kern dieser wohl berühmtesten Anekdote der Weltgeschichte: Mit Gewalt geht alles schneller (kaputt). Historiker mögen diese Erzählform nicht unbedingt, aber sie können sie mit Gewinn nutzen zur Erhellung des Allgemeinen und des Hintergründigen hinter allen Fakten. Der vom Braunschweiger Historiker Matthias Steinbach zusammengestellte Band unternimmt genau dies: In kürzeren Essays werden allgegenwärtige Geschichtsanekdoten von Alexander dem Großen bis zu Helmut Kohl im Hinblick auf ihre mindestens doppelte Wahrheit erklärt und interpretiert.
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Rezensionen:
Hrsg.: Matthias Steinbach
Reclam huldigt Friedrich dem Großen nicht mit einer womöglich verehrungsvollen Biographie, sondern mit einem fröhlich vielgängigen Fritz-Menü samt vielstimmiger Tafelmusik. Denn über den Inbegriff historischer (nicht moralischer!) Größe bei faktischer Kleinheit (ein Meter fünfundsechzig) gibt es jede erdenkliche Meinung und Einschätzung und jeden diametralen Gegensatz: der zarte und früh gebrochene Jugendliche, der allgegenwärtige, alles und jedes kommentierende Landesvater, der eitle Feingeist und Philosoph, der alte kranke Mann am Krückstock, der populäre Schlachtenlenker des Siebenjährigen Kriegs, der »böse Mann« (so Maria Theresia). Überwölbt zudem von den weißen und schwarzen Preußenlegenden der Geschichtsschreibung von vorbildlichem Staat und räuberischem Militarismus. All dies wird in sowohl anekdotischer wie analytischer Form in fünf abwechslungsreichen Kapiteln versammelt, über den Kronprinz, den Feldherrn, den Philosoph, den Alten Fritz und die Nachwelt.
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Im Rahmen der Exkursionswoche der TU Braunschweig1 – eine wunderbare Einrichtung, die es so an anderen deutschen Universitäten kaum gibt – unternahm die Abteilung Geschichte und Geschichtsdidaktik des Historischen Seminars am 04.06.09 eine Fahrradexkursion von Wolfenbüttel in die Asse. Nietzsches Hinweis: „Treibt und sucht die Dinge, die euch etwas angehen“, sowie Goethes Motto: „Im übrigen ist mir alles verhasst, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben“, standen dabei Pate.
Gleich zu Beginn, auf dem Wolfenbütteler Marktplatz, setzte Regen ein, der aber bald nachließ. Optimismus und Glück mit dem Wettergott gehören dazu, wenn man Hörsäle und Klassenräume verlässt, um draußen vor der Tür zu forschen und zu lernen. Der abgestiegene Herzog, wie ich den Herzog-August-Brunnen gern nenne, war der erste historische Fixpunkt, der unser Sehen und unsere Phantasie herausforderte. Historiker sind nicht nur Textleser, sondern Augenmenschen, die genau und länger Hinschauen. Das Denkmal aus dem Jahre 1904 zeigt den Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, August den Jüngeren (1579- 1666), stehend neben seinem Pferd. Das hat Seltenheitswert, denn wo findet man schon einmal einen in Stein gemeißelten Herrscher, der vom Pferd gestiegen ist? Am Beispiel des Herzogbrunnens wurde erörtert, wie ein Denkmal beschrieben und interpretiert, wie es befragt werden kann. Für den konkreten Fall hieß das: Warum ist der Kerl abgestiegen? Warum sitzt er nicht oben, so wie es sich für einen ordentlichen Herrscher und Krieger gehört? „Schaut euch die Braunschweiger Herzöge vor dem Schloss an. So hat das doch eigentlich auszusehen“, könnte ein einleitender Impuls sein. Rasch kommt man auf die Idee des Friedens, des friedlichen Ortes und der Bücher, die dem Herzog offenbar mehr waren als Musketen und Kanonen. „Der Herzog hat einen Ritt durch sein Land getan“, so liest man in zeitgenössischen Kommentaren, „überall traten ihm die Verwüstungen des Krieges vor die Augen; bange Sorgen um das Wohl seines Landes lagerten sich um seine Stirn. Ermüdet kam er an eine hell sprudelnde Quelle und er stieg ab, um seinem ebenfalls ermüdetem Pferde einen frischen, kühlen Trunk zu gewähren. Nun steht der Herzog da, in matter Stellung an sein treues Ross gelehnt und schaut zu, wie sein Ross das stärkende Nass einschlürft. Da erinnert ihn die lebendige stärke des Quells daran, dass auch dieser all die Schrecknisse des Krieges durchgemacht und doch wieder mutig und frisch sein Wasser springen lässt, und der Quell wird dem Herzog zum Symbol!“2
Zweite Station war die Ortschaft Wendessen und ihr Kriegerdenkmal. Es befindet sich mitten in Wendessen, etwas versteckt am Straßenrand. Die Gemeinde Wendessen erinnerte mit ihrem Denkmal von 1925 zunächst an die gefallenen Soldaten des Ersten, später auch an die militärischen und zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges. An ein Triptychon erinnernd, macht vor allem die bekrönende Skulptur eines kniend betenden (auf die Dorfkirche ausgerichteten) Soldaten Eindruck. In voller Kampfausrüstung scheint er in einer Gefechtspause zu verharren. Vielleicht ist er aber auch schon tot und versinnbildlicht so nur die im Denkmal namentlich gemachten Gefallenen. Vergleiche mit anderen Kriegerdenkmälern wurden angestellt, so auch mit den Arbeiten des Bildhauers Ernst Barlach, dessen unheroische und trauernde Figuren in Kiel, Güstrow und Magdeburg man nach 1933 als „entartet“. Erinnert der betende Soldat von Wendessen nicht an diese Barlachschen Figuren, so wurde gefragt. Oder bereitet er sich doch nur auf neuerlichen Kampf vor, auf Vergeltung für die „Schmach von Versailles“, wie es vermutlich intendiert war. Den Bogen zur Friedensbewegung der 1970er und -80er Jahre in der Bundesrepublik schlugen wir über Hannes Waders eindrucksvollem Antikriegslied: „Es ist an der Zeit“. „Weit in der Champagne im Mittsommergrün […]“ (in der vielleicht auch Soldaten aus Wendessen liegen!) wurde angestimmt. Der Song machte starken Eindruck auf die Studierenden, die den Ort im Ganzen als Warnung „vor den Gefahren des Krieges und Mahnung zum Miteinander“ empfanden.
Von Wendessen ging die Fahrt weiter über Groß Denkte in die Asse. Das Wetter zeigte sich nun von seiner freundlichen Seite. Der Weg zum Bismarckturm, dem nächsten Ziel, hatte „Bergwertungscharakter“, und das Hinauf bis auf über 300 m (Philosophenweg) ließ die Teilnehmer kräftig schwitzen. Gelegentlich musste geschoben werden. An der Eulenspiegeltafel verzweigt sich der Weg. Linkerhand geht es hinauf zum Philosophenpfad und höchsten Punkt der Asse, rechterhand zu Bismarckturm und Asseburg, geradeaus hinunter zum Forsthaus nach Wittmar. Für eine differenzierte Erschließung der Schauplätze Bismarckturm und Asseburg3 empfiehlt sich ein Stationsbetrieb, der historische und kunsthistorische sowie literarische Themen zusammenbindet. Wir erprobten dies ansatzweise: eine erste Gruppe am Fuße der Bismarckwiese (Höhe Ankunft „Liebesallee“) den Turm zeichnend und dabei dessen Gestaltpsychologie in einem Sinnspruch erfassend, z. Bsp. klassisch und als tatsächliche Lebensmaxime Bismarcks: Patriae inserviendo consumor, oder: „Ich fühle mich klein und schwach angesichts dieses monumentalen Klotzes“[Foto 3]. Das Kaiserreich und die wilhelminische Mentalität im Bismarckturm auffinden, darum ging es. Die Besonderheit des Wittmarer Turmes, der wie hunderte andere nach dem Tod des „Reichsgründers“ (1898) um die Jahrhundertwende entstand, ist das Postament für ein aus Kostengründen nicht verwirklichtes Bismarck-Standbild über dem Eingang. Hier böte sich (bei entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen!) die Möglichkeit, der Bismarckzeit und ihrer Zentralgestalt durch Pose und Pantomime auf die Spur zu kommen; den Grundton der Epoche einfühlend bis kritisch distanziert in der Haltung des Herrschers zu vergegenwärtigen – ein beliebtes Spiel angeheiterter Herren zu Himmelfahrt übrigens. Eine zweite Gruppe begab sich auf den Turm. Bei herrlichem Ausblick in die Landschaft wurde in die Geschichte Bismarcks und des Bismarckkultes eingeführt, der Stararchitekt der Türme Wilhelm Kreis vorgestellt und der Bedeutungsverlust Bismarcks nach 1945 diskutiert.4 Zeitgenössische Bismarckkritik lieferte Nietzsches ironischer Kommentar „Beim Anblick eines Schlafrockes“:
Kam, trotz schlumpichtem Gewande,/ Einst der Deutsche zu Verstande,
Weh', wie hat sich Das gewandt!/ Eingeknöpft in strenge Kleider
Überließ er seinem Schneider,/ Seinem Bismarck--den Verstand!
Von der 24 Meter hohen Aussichtsplattform, wo einst die Sonnenwendfeuer zu Bismarcks Ehren loderten, lassen sich noch die alten Gleise zu den Asseschächten und in der Ferne die unverwechselbare Silhouette der Salzgitter-Stahlwerke erkennen – Ikone des Industriezeitalters. Auch grüßen die Kirchen Wolfenbüttels. Eine dritte Gruppe begab sich zur nur wenige Minuten Fußweg entfernt gelegenen Asseburg, wo der „Ruinenzauber“ des 13. Jahrhunderts lockt. An dieser Station wurde ein Experte, Herr Rainer Krämer, Leiter des Heimat- und Verkehrvereins Asse, hinzugebeten, der freundlicherweise über die Geschichte der Burg und aktuelle Rekonstruktionsvorhaben berichtete. Herzlichen Dank dafür. Die Überreste der oberhalb eines früheren Weinberges in strategisch exponierter Lage hoch über der alten Handelsstraße Braunschweig – Leipzig gelegenen Burg sollten zum Sprechen gebracht, Steine nach Wirklichkeiten und Legenden der Ritterzeit befragt werden. Auf den ersten Blick erschienen die Reste der Burg den Studierenden etwas dürftig und stark erläuterungsbedürftig. [Foto 4] Dabei zählt sie mit ca. 7200 Quadratmetern Ausdehnung zu den größten Höhenburgen Norddeutschlands. Zwischen 1218 und 1223 unter Gunzelin von Wolfenbüttel erbaut – der im kulturellen Gedächtnis der Region fälschlicherweise als „Raubritter“ gilt, wo er doch nur getreuer Anhänger der Staufer gegen die hier vorherrschenden Welfen und ihren (hierzulande wohl derzeit etwas überschätzten) Kaiser Otto IV. blieb5 – wurde die Burg im Jahre 1492 im Zuge einer Fehde aufgegeben und in Brand gesteckt, seitdem von den umliegenden Dörfern als Steinbruch benutzt. In ihren Trümmern bietet der Ort zahlreiche Möglichkeiten der Geschichtsvermittlung. So könnten Schüler der unteren Schulklassen in die Rolle eines Ritters oder Knappen schlüpfen, entsprechende Rituale spielen und sogar klassische Balladen, wie Schillers Handschuh, imitieren. Was wird wohl eine Torwache zu jener Zeit von den Burgmauern aus gesehen haben? Selbst Treppen könnten genutzt werden, um die Zeit des Mittelalters lebendig werden zu lassen. Wer hat die Stufen über die Jahrhunderte benutzt? Was könnten sie, was die Steine, davon alles erzählen? Um einen Eindruck von der Größe der ehemaligen Burganlage zu bekommen, müssten Karten, Abbildungen und Grundrisse einbezogen werden. Auch macht es Sinn, die Ruine im Ganzen abzulaufen und ihre Ausmaße zunächst schätzen zu lassen. Schließlich sollten die zahlreichen Sagen zur Burg und ihren Besitzern als literarische Quellen thematisiert und vor allem erzählt werden.
Nach dem Abstecher einiger Unentwegter hinauf zum Philosophenweg, wo 1000 Fuß über den Dingen die Kantschen Fragen6 aufgeworfen wurden, folgte eine wohlverdiente Mittagspause am Wittmarer Forsthaus bei Wein und Baguette. Gestärkt und guter Stimmung ging es anschließend weiter zur letzten Station, dem ehemaligen Salzbergwerk und Asse - Schacht II. Die Region rückte als traditioneller Bergbaustandort, also in wirtschafts- und umweltgeschichtlicher Hinsicht, ins Zentrum des Exkursionsinteresses. Die Geschichte des Salzabbaus in der Asse, die beginnend am Ende des 19. Jahrhunderts kaum mehr als 50 Jahre dauerte, ist im Vergleich zu den Jahrhunderte langen Traditionen des Erz- und Silberbergbaus im Harz aus heutiger Sicht eher Episode, nicht so die tagespolitische brisante Endlagerung von Atommüll im inzwischen stillgelegten Schacht II. Die „As“ mit dem Logo „Aufpasse“, die überall in der Region zu sehen sind, versinnbildlichen den Widerstand der kleinen Leute gegen das Endlager. Ein engagierter studentischer Vortrag machte die tatsächlichen Gefahren insbesondere durch die Vermischung giftiger, zum Teil hochradioaktiver Laugen mit Grundwasser deutlich. Trotz einsetzenden Regens diskutierten die Studenten die Problematik des Endlagers und der Atomenergie überhaupt noch kontrovers, auch wenn die Aufmerksamkeit nun langsam nachließ. Mancher wäre aber gern noch eingefahren und hätte sich die Zustände unter Tage genauer angesehen.
Abschließend galt die Aufmerksamkeit dem alten Bergwerksgebäude und dem hier noch gut sichtbaren Motto: „Glück auf“, in dem bergmännische Alltags- und Sozialgeschichte steckt. Den Wenigsten war die tiefere Bedeutung der Inschrift erklärlich. Ich verwies darauf, dass der Bergmann die Gefahren seines Berufes kennt und hofft, den Schacht nach getaner Arbeit unversehrt verlassen zu können. Das Glück ist oben, also dort, wo das Licht und die Sonne sind, die der Hauer oft monatelang nicht zu Gesicht bekam! Vor Sonnenaufgang fuhr man ein, oder kletterte hunderte Meter kotbeschmierte Leitern hinunter in den Schacht – Heine hat das in seiner Harzreise eindrucksvoll beschrieben –, und erst nach Sonnenuntergang verließ man das schwarze Loch wieder. Zur Verdeutlichung sangen wir am Ende das „Steigerlied“, dessen um 1730 zuerst im Erzgebirge entstandener Text den Stolz und die Hoffnungen der einfachen Bergleute widerspiegelt.
Insgesamt zeigte die Exkursion, welche Möglichkeiten historische Lernorte der Region nicht nur für die Geschichte bieten. Bei fachübergreifender Ausrichtung, etwa im Zusammenwirken von historisch-kunsthistorischer mit geografisch-geologischer sowie botanischer Kompetenz, ließen sich auch schulische Tagesexkursionen gut begründen. Ein Studierender meinte noch, er habe an diesem Tag mehr gelernt als im ganzen Semester zusammen. Auch wenn das nur cum grano salis für bare Münze zu nehmen ist: die Erfahrung, den Gang in die Landschaft mit dem Gang in die Geschichte zu verbinden und beim Gehen (Radfahren) und Schauen sogar ein Anderer zu werden, kann überaus beglückend und zudem noch bildsam sein.
Matthias Steinbach
1 Ich danke Christian Sielaff für tätige Mitarbeit an der Vor- und Nachbereitung.
2 Heinrich Scheermann, „Der Herzog August-Brunnen in Wolfenbüttel“. In: Neueste Nachrichten – unparteiisches Organ für Residenz und Herzogthum Braunschweig. 16. März 1902.
3 Nähere Erläuterungen auf der Website des Heimat- und Verkehrsvereins Asse (www.hva-asse.de).
4 Vgl. allgemein: Günter Kloss & Sieglinde Seele, Bismarcktürme und Bismarcksäulen. Eine Bestandsaufnahme, Petersberg 1997.
5 An den über der Asseburg wechselweise wehenden Panieren des Wolfes und des Löwen lässt sich der staufisch-welfische Thronkonflikt vergegenwärtigen. Vgl. Wolfgang Petke, Reichstruchseß Gunzelin (+ 1255) und die Ministerialen von Wolfenbüttel-Asseburg. In: Auf dem Weg zur herzoglichen Residenz Wolfenbüttel im Mittelalter. Hrsg. von Ulrich Schwarz, Braunschweig 2003, S.47-106
6 Was darf ich hoffen? Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch? Vgl. Friedrich Dessauer, Was ist der Mensch? Die vier Fragen des Immanuel Kant, Frankfurt a. M. 1959.