Was ist Mechanische Spektroskopie?
Im weitesten Sinne könnte man jede Messung der Zeitabhängigkeit mechanischen Verhaltens als Mechanische Spektroskopie bezeichnen, wobei von der Nanosekunde aufwärts mehr als 15 Zehnerpotenzen der Zeitskala experimentell zugänglich sind. In der Praxis zählt man hauptsächlich die elastischen Eigenschaften sowie Abweichungen von der idealen Elastizität (Anelastizität, Viskoelastizität, Mikroplastizität) zum Gegenstand der Mechanischen Spektroskopie, nicht jedoch bleibende Formänderungen oder Festigkeitsfragen. Im engeren Sinne beschäftigt sich die Mechanische Spektroskopie vorwiegend mit dem Materialverhalten unter periodischer mechanischer Beanspruchung (erzwungene bzw. freie Schwingung oder Ultraschall), wobei im Bereich akustischer Frequenzen den klassischen Resonanzmethoden die größte Bedeutung zukommt. Am Institut stehen hierzu Anlagen zur Messung von Resonanzfrequenz und Dämpfung freier Schwingungen über einen weiten Frequenz- und Temperaturbereich zur Verfügung.
Aufgaben der Mechanischen Spektroskopie
Die Mechanische Spektroskopie dient zunächst zur dynamischen Bestimmung elastischer Kenngrößen (Elastizitätsmodul, elastische Konstanten) und zur Charakterisierung des Dämpfungsverhaltens von Werkstoffen. Sie kann darüber hinaus aber für sehr viel weiter gehende Zielsetzungen genutzt werden: - Hochaufgelöste Relativmessungen des Elastizitätsmoduls (Resonanzfrequenz, z.B. als Funktion der Temperatur) sind ein sehr empfindlicher Indikator für Umwandlungen und Gefügeänderungen im Material. - Die Dämpfung beruht in der Regel auf der Bewegung von "Defekten" wie z.B. Fremdatome, Versetzungen oder Grenzflächen. Wenn es gelingt, die jeweiligen Mechanismen zu identifizieren, dann läßt sich dies zur empfindlichen Untersuchung einer großen Vielfalt von mikroskopischen Eigenschaften und Strukturen, bis hinunter zu atomaren Dimensionen, ausnutzen. Umgekehrt liefert die Kenntnis der mikroskopischen Vorgänge die Grundlage für die Entwicklung von Werkstoffen, beispielsweise mit besonders hoher oder auch besonders niedriger Dämpfung.
Versuchsmethodik
Messung von Eigenfrequenz und Dämpfung mechanischer Schwingungen, meist unter Vakuum, bei Temperaturen zwischen -190°C und 630°C.
Biegeschwingungstechnik
Torsionspendel
Elastische Messungen
Linkes Bild: Elastische Anisotropie einer einkristallinen Nickelbasis-Superlegierung (Absolutmessung des Elastizitätsmoduls bei genau definierter Probengeometrie). Rechtes Bild: Isotherme Rekristallisation von 90% gewalztem Kupfer (Textureffekt). Aus der gemessenen Resonanzfrequenz (oben) läßt sich der rekristallisierte Bruchteil bestimmen (unten).
Thermoelastische Dämpfung
Auch bei Abwesenheit von Defekten gibt es eine Grunddämpfung, die auf dem thermoelastischen Effekt beruht. Über der Frequenzachse äußert sich dieser als ein Relaxationsmaximum zwischen isothermer Biegung bei niedrigen und adiabatischer Biegung bei hohen Frequenzen. Das Bild zeigt am Beispiel der Wärmebehandlung eines metallischen Glases, wie die Lage dieses Maximums zur Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit (hier: Zunahme von 5 auf 17 W/mK) genutzt werden kann.
Dämpfung durch Wasserstoff
Durch interstitiell gelösten Wasserstoff lassen sich unter anderem in intermetallischen Verbindungen hohe Dämpfungen erzeugen. Als Ursachen kommen sowohl kurzreichweitige Atomsprünge (links) als auch weitreichende, z.B. transkristalline Diffusionsvorgänge (rechts) in Frage, die der Probenschwingung Energie entziehen. Die Aufklärung dieser Mechanismen, die ähnlich auch in amorphen und quasikristallinen Phasen auftreten, liefert Aufschlüsse nicht nur über Einbau und Diffusion des Wasserstoffs, sondern auch über die lokale Struktur der Matrix am Ort des Ereignisses (Wasserstoff als Sonde,
® Mechanische Wasserstoffspektroskopie).
H.-R. Sinning, G. Steckler and R. Scarfone, "Some Current Aspects of Anelastic Relaxation by Hydrogen Diffusion in Metals", Def. Diff. Forum 167-168 (1999) 1-15.
Leiter der Arbeitsgruppe Mechanische Spektroskopie: apl. Prof. Dr. Hans-Rainer Sinning.