15. Juni 2023 | Magazin: Studium und Lehre
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„Warum müssen wir im Maschinenbau-Studium ein so großes Informatikmodul besuchen!?“ Das ist eine Frage, die die Betreuer der Veranstaltung „Anwendungsorientierte Programmierung für Ingenieur*innen (API)“, Jan Backhaus, Andreas Dekiert und Finn Hübner, regelmäßig hören. Die Antwort darauf ist einfach: Die meisten Produkte – ob Avioniksystem, selbstfahrendes Auto oder Windkraftanlage – bestehen zu einem Großteil aus Software, die damit ein wichtiges Arbeitsergebnis von Ingenieur*innen darstellt. Darüber hinaus ist Software ein wichtiges Arbeitsmittel in ihrem Alltag: CAD-Programme, Simulationstools, Messdatenaufzeichnung und -auswertung sind unverzichtbare Tools.
Häufig sind Ingenieur*innen auch in den Softwareentwicklungsprozess eingebunden. Das Beherrschen einer Programmiersprache kann helfen, sich das Leben durch Automatisierung vieler wiederkehrender Aufgaben zu erleichtern. Doch das effiziente Planen und Durchführen eines Entwicklungsprojektes im Team – große Projekte schafft man nur gemeinsam und erfordern eine besondere Absprache und Zusammenarbeit – will gelernt sein. Und selbst wenn man später nicht selbst programmieren möchte: Es ist wichtig, die Sprache der Programmierer*innen zu sprechen, um Anforderungen definieren zu können, damit andere diese Anforderungen umsetzen können.
Warum dann nicht gleich Informatik studieren? „Aus meiner Sicht kombiniert das Maschinenbaustudium das Beste aus beiden Welten. Zum einen können wir uns durch besondere Kenntnis der Systemumgebung, zum Beispiel von Luft- und Raumfahrzeugen, abheben, die Anforderungen sehr genau definieren und zugleich mit IT ein greifbares physisches Produkt erzeugen“, sagt Finn Hübner.
Lernen durch eigene selbständige Projekte
Die theoretischen Grundlagen sind zwar zwingende Voraussetzung, doch die benötigten Fertigkeiten lernt man nur durch Ausprobieren und Selbermachen. „Die Studierenden schauen einen erst panisch an, wenn wir ihnen erzählen, dass sie bei der semesterbegleitenden Projektmappe jedes Projekt umsetzen können, was sie möchten“, berichtet Jan Backhaus.
„Wir sind der festen Überzeugung, dass es am meisten Spaß macht und man am meisten lernt, wenn man frei seine eigenen Ideen umsetzen kann, die vielleicht sogar Probleme aus dem eigenen Alltag lösen. Und die kreativen Ideen und Rückmeldungen am Ende des Semesters geben uns recht. Außerdem lassen wir niemanden alleine.“
So hatte ein Gruppenmitglied des „Projekt AutoChick“ im elterlichen Hühnerstall das Problem, dass täglich großer Aufwand nötig ist, um die Hühner gut zu versorgen. Das Projektteam um Kilian Müske, Lukas Kauschmann, Marten Büttner und Töbe Bischoff hat dies kurzerhand zum Anlass genommen, eine automatische Überwachungs- und Steuerungsanlage für das Federvieh zu entwickeln. So kann die Klappe ins Außengehege zeitgesteuert geöffnet und geschlossen, der Futterstand live beobachtet, die Eierproduktion protokolliert und die Hühner mit einem sanften Ausstoßgerät (kein Tier ist während des Projektes zu Schaden gekommen) aus dem Stall geworfen werden.
„Als absolute Anfänger ein so großes Projekt zu bearbeiten und zusammen zu coden, hat Freude und Verzweiflung so nah beieinander geführt, wie wir es nicht erwartet hätten. Zusammen eine Aufgabe anzugehen, zu scheitern und immer weiter daran zu arbeiten – bis schlussendlich alle Bugs behoben sind, hat uns als Gruppe definitiv am meisten motiviert und wenn es nur eine blinkende LED war“, so beschreiben die Studierenden ihre Arbeit am Projekt.
„Vor dem Programmieren sollte man sich selbst als Maschinenbauer nicht fürchten. Denn das API-Projekt erlaubt es uns, sacht in die Thematik einzusteigen. Später, im Berufsalltag, wird man sicher leichter mit den Informatiker*innen zusammenarbeiten.“
Das vorgestellte Projekt ist nur ein Beispiel der kreativen Vielfalt der Projektideen. Von kleinen Computerspielen, Cocktailautomaten bis hin zu Programmen zum Auslegen von Schraubverbindungen und Flugsteuerungssoftware für eine selbstgebaute Drohne war schon alles dabei. Dabei wird meist ein Arduino, ein kleiner Mikrocontroller, verwendet. Mit diesem kann spielerisch besonders gut die Verzahnung von Software und Hardware erfahren werden, wenn beispielsweise durch Programmcode ein Motor angesteuert oder Text auf einem Display angezeigt wird.
Gut für die Arbeitswelt vorbereitet
Die anwendungsorientierte und praxisnahe Vermittlung von Fähigkeiten steht auch in der Saalübung im Vordergrund. Gemeinsam werden Werkzeuge und Methoden ausprobiert, die die Arbeit erleichtern. So werden im „Live-Coding“ Nachrichten per Morsecode ausgetauscht, Messwerte protokolliert und grafische Benutzeroberflächen erstellt. Die hardwarenahe Programmiersprache C++ wird vermittelt und die Vorzüge eines Versionskontrollsystems wie Git werden demonstriert. Das agile, selbstbestimmte Arbeiten, wie es in der Wirtschaft zunehmend üblich ist, wird gefördert.
Noch zukunftsfähiger durch die neue Prüfungsordnung
Durch die Umstellung auf die neue Prüfungsordnung werden die Studiengänge in Bezug auf die Digitalisierung noch zukunftsfähiger aufgestellt. Die theoretischen Grundlagen der Informatik und ihrer Werkzeuge werden aufgeteilt über zwei Semester direkt zu Beginn des Studiums vermittelt. Die Veranstaltung „Anwendungsorientierte Programmierung für Ingenieure“ wird künftig neben einer Vortragsreihe zu Digitalisierungsthemen der Fachrichtungen den Vertiefungsrichtungen zugeordnet. So können noch besser praxisbezogene Projekte umgesetzt werden. Beispielsweise werden programmierbare Quadrocopter (Fachrichtung Luft- und Raumfahrttechnik) oder Modellfahrzeuge (Fachrichtung Fahrzeugtechnik) zur Verfügung stehen.
Informatik ist aus den Ingenieurswissenschaften nicht mehr wegzudenken. Das Maschinenbaustudium bereitet auf die zukünftige Arbeitswelt vor. Mit der Umsetzung eigener Projektideen in der Lehre, etwa in der Veranstaltung „Anwendungsorientierten Programmierung für Ingenieur*innen“, kann besonders praxisbezogen gelernt werden.
Text: Finn Hübner