Alternde Bauwerke stellen ein hohes Sicherheitsrisiko dar, wie die katastrophalen Folgen des Einsturzes eines Industriekomplexes 2013 in Bangladesch oder der Morandi-Brücke 2018 in Genua zeigen. Doch wie können diese Alterungsprozesse prognostiziert, überwacht und minimiert werden? Im Graduiertenkolleg 2075 „Modelle für die Beschreibung der Zustandsänderung bei Alterung von Baustoffen und Tragwerken“ des Forschungsschwerpunkts „Stadt der Zukunft“ erforschen und entwickeln Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler neue Methoden, um diese Prozesse an Bauwerken zu untersuchen. Wir haben mit Professor Manfred Krafczyk, Leiter des Instituts für rechnergestützte Modellierung im Bauingenieurwesen und Sprecher des Graduiertenkollegs, über die Arbeit des Forschungsverbunds gesprochen.
Auch wenn manche Bauwerke für die Ewigkeit gebaut zu sein scheinen, haben die meisten eine begrenzte Lebensdauer von rund 50 bis 80 Jahren. Brücken, aber auch Türme von Windkraftanlagen oder andere Infrastrukturbauwerke unterliegen einer intensiven Nutzung und sind Umwelteinflüssen und dynamischen Belastungen ausgesetzt. Sichtbar werden die Schäden rein äußerlich vor allem durch Risse oder abgeplatztes Material.
Aber wie entwickeln sich diese Schäden nach dem ersten Entdecken weiter? Welche Auswirkungen haben sie auf die Gebrauchsfähigkeit? Und wie können die Alterungsprozesse verlangsamt werden? „Zu wissen, wie und wann man sanieren muss, ist auch von volkswirtschaftlicher Bedeutung“, so Professor Manfred Krafczyk. So beträgt der Wiederbeschaffungswert der Verkehrsinfrastruktur im Bundesgebiet ca. 1200 Milliarden Euro. Bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von rund 60 Jahren bewirkt die Verlängerung der Nutzungsdauer um zehn Jahre immerhin eine potentielle Wertschöpfung von ca. 170 Milliarden Euro.
Ziel des Forschungsverbundes ist es, Konzepte zur Beschreibung und Bewertung der Zustandsänderung und damit der Qualität von Bauwerken des Konstruktiven Ingenieurbaus zu entwickeln.
Fachübergreifende Lösungsansätze
Auf kleinskaligen Modellen und in stark verkürzten Zeiträumen, also quasi im Zeitraffer, können Alterungsprozesse von Beton, Stahl und Holz in Bauwerken untersucht werden. Die Prognosemodelle, die die Forschenden im Graduiertenkolleg entwickeln, sollen die Phänomene jedoch nicht getrennt als „Insellösungen“ abbilden, sondern das Zusammenwirken unterschiedlicher Teilprozesse erfassen, um eine ganzheitliche Aussage über die Qualität eines Bauwerks zu ermöglichen. Dafür werden fachübergreifende Methoden und Lösungsansätze benötigt. So sind im Forschungsverbund nicht nur die Institute für Statik, Stahlbau oder Baustoffe, Massivbau und Brandschutz beteiligt, sondern auch das Fraunhofer-Institut für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut, das Institut für Dynamik und Schwingungen und das Institut für Akustik. „Ob ein Bauwerk Schäden hat, kann man nicht nur optisch, sondern auch akustisch nachweisen“, erklärt Professor Krafczyk. Für die Simulationen zur thermischen Ausbreitung von Feuer oder auch zu Untersuchungen, wie sich Schadstoffe in den winzigen Poren von Zement ausbreiten, kommt im Institut für rechnergestützte Modellierung im Bauingenieurwesen der TU-Hochleistungsrechner PHOENIX zum Einsatz.
Verschiedene Methoden von der experimentellen Untersuchung der Baustoffe bis hin zur Computersimulation werden im Graduiertenkolleg zusammengebracht und weiterentwickelt. „Wir spannen den Bogen von den klassischen Themen des Bauingenieurwesens bis zu den Methoden der Künstlichen Intelligenz“, sagt Professor Manfred Krafczyk. So können inzwischen beispielsweise Kraftwerkstürme mit Drohnen – ausgestattet mit hochauflösenden Kameras – abgeflogen werden. KI-basierte Verfahren können unter günstigen Umständen basierend auf dem Bildmaterial prognostizieren, wie tief die Risse im Bauwerk sind. An neuen Gebäuden geben oftmals schon Sensoren regelmäßig Auskunft über den Zustand eines Bauwerkes. „Diese werden schon vielfältig zum Beispiel bei Wolkenkratzern in arabischen Ländern eingesetzt.“ Intelligente Lebensdauermanagementsysteme (LMS) könnten eine kontinuierliche Überwachung der Bauwerke gewährleisten und Prognosen ermöglichen, um mit entsprechend spezifischen Instandsetzungsmaßnahmen einen langfristig wirtschaftlichen Betrieb zu unterstützen.
Wenn Brücken in die Jahre kommen
Wo ist es besonders wichtig, Untersuchungen zu Alterungsprozessen voranzutreiben? Professor Krafczyk nennt als erstes die Brücken. Zahlreiche dieser Bauwerke sind schon Jahrzehnte im Dienst, doch im Laufe der Jahre hat sich die Struktur des Verkehrs stark verändert. Mehr Autos und immer schwerere LKW fahren darüber, besonders in der Nähe großer Industrieanlagen. „Diese intensivere Nutzung konnten die Erbauer bei Ihren Entwürfen noch nicht berücksichtigen“, gibt Professor Krafczyk zu bedenken.
Auch in der Abwasserentsorgung müssen Schäden beobachtet werden: Chemikalien – beispielsweise aus Reinigungsmitteln – können die Oberflächen von Abwasseraufbereitungsanlagen und Abwasserkanälen schädigen, ohne dass jedoch die Tragfähigkeit zwangsläufig gefährdet wird. Offshore-Windkraftanlagen sind einerseits dem Salzwasser, aber auch dem Wellenschlag und natürlich dem Wind ausgesetzt. „Es sind dynamische Systeme, die ständigem Monitoring unterliegen, um belastbar zu erkennen, wann Instandsetzungsmaßnahmen erforderlich werden.“
Dissertationen als Tandemprojekte
Mehr als zwölf grundlagenorientierte Dissertationen sind bereits im Graduiertenkolleg entstanden. Zwölf neue Doktorandinnen und Doktoranden forschen jetzt in der zweiten Phase der Förderung.
Die Dissertationen befassen sich unter anderem mit der Zustandsänderung von Baustoffen, der Bewertung des Bauwerkzustandes und der Resttragfähigkeit von Tragwerken. So wird zum Beispiel die Tragsicherheit von bestehenden Betonbauwerken untersucht oder die Schädigung von Stahl bei Überbeanspruchung. In weiteren Dissertationen wird eine numerische Analyse der Tragfähigkeit von Stahlbetonteilen im Brandfall vorgenommen oder die biochemische Degradation von Holz modelliert.
Die Promovierenden im Graduiertenkolleg haben den Fokus sowohl in theoretisch-numerischer Modellbildung als auch im experimentellen Bereich. Möglich wird das durch eine Tandembetreuung. „Sie arbeiten in kleinen Teams und unterrichten sich wechselseitig“, so Professor Krafczyk. Impulse kommen von den PIs, den Principal Investigators, der unterschiedlichen Disziplinen. „Dabei lernen die Promovierenden, verschiedene Sichtweisen bei der Arbeit zu integrieren.“
Bianca Loschinski im MAGAZIN der TU Braunschweig