Weihnachtsbäume in einem Wellenkanal? Dieser ungewöhnliche Anblick bot sich tatsächlich vor einigen Wochen in der Versuchshalle des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI) in Braunschweig. Dort waren Nadelbäume in einem der Kanäle aufgestellt worden. Doch wer jetzt denkt, das LWI-Team feiere hier eine vorgezogene Weihnachtsparty, der irrt. Bei dem Szenario handelte es sich um eine Versuchsreihe. Die Wissenschaftler*innen untersuchten, inwiefern Kiefern die durch Wellen verursachte Abtragung von Dünen beeinflussen. Der Weihnachtsschmuck wurde dafür natürlich wieder entfernt.
Die Experimente im 90 Meter langen und zwei Meter breiten Wellenkanal sind Teil der Abschlussarbeiten von Johannes Schattmann und Malte Kumlehn. Die beiden Masterstudierenden des Bauingenieurwesens untersuchen den Einfluss der Bäume unter verschiedenen Sturmflutbedingungen – und zwar sowohl mit künstlichen Bäumen als auch mit echten Kiefern. Mit ihren studentischen Arbeiten unterstützen sie die Forschung der Wissenschaftler*innen des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau zur Anpassung der Küstenregionen an den Klimawandel und den beschleunigten Meeresspiegelanstieg.
Sandküste St. Peter-Ording
So haben sich die Wissenschaftler*innen im Projekt Sandküste St. Peter-Ording das Ziel gesetzt, einen langfristig wirksamen und naturverträglichen Küstenschutz zu entwickeln und umzusetzen. Durch verschiedene Maßnahmen sollen die biologische Natürlichkeit und die Artenvielfalt in den wertvollen Lebensräumen der einzigartigen Küstenlandschaft – bestehend aus den typischen Wattflächen, Dünen, Salzwiesen und Stränden – erhalten und gestärkt werden. Gleichzeitig soll ein nachhaltiges Konzept entwickelt werden, das die Sandküste zukünftig vor den Folgen des beschleunigten Meeresspiegelanstiegs schützt.
Dabei untersuchen die Wissenschaftler*innen des Forschungsverbunds auch die Rolle des Dünenwalds, der in St. Peter-Ording vor rund 200 Jahren zum Küstenschutz angepflanzt wurde und vor allem aus Berg- und Schwarzkiefern besteht. Im Rahmen des Projektes wird dieser ortsfremde Nadelwald durch Waldumbau sukzessive in einen Mischwald umgewandelt, der besser an den Klimawandel angepasst ist.
Künstliche Weihnachtsbäume als Modell
Für ihre studentischen Forschungsarbeiten erkundeten die beiden Studierenden den Dünenwald auch vor Ort, fotografierten das Wurzelsystem und entnahmen – mit Genehmigung des Nationalparks und Unterstützung des Revierförsters Patras Scheffler – einige der kleineren Bäume. Während Malte Kumlehn die jungen Schwarzkiefern aus den Dünen von St. Peter-Ording für seine Versuchsreihe verwendete, nahm Johannes Schattmann künstliche Weihnachtsbäume aus dem Baumarkt, die die Kiefern nachbilden sollten. „Der Modellbaum bietet mehr Flexibilität, die Versuche sind so mehrfach reproduzierbar“, sagt Johannes Schattmann.
Das Wurzelsystem der fünf Modelle besteht aus 3D-gedruckten Wurzelsträngen, die an einer stabilen Basis aus PVC, Holz und Gewindestangen befestigt und in die Düne eingegraben wurden. Als oberirdischer Teil diente ein herkömmlicher Weihnachtsbaum aus Kunststoff. Aufgrund der räumlichen Begrenzung des Wellenkanals fanden die Versuche im Maßstab 1:7 statt. Die Parameter für die Versuchsreihe basierten auf Daten aus früheren Untersuchungen in St. Peter-Ording.
8,5 Kubikmeter Sand für die Düne
Die Modellbäume wurden in zwei unterschiedlichen Konfigurationen in das Profil einer eigens konstruierten Sanddüne integriert, um ihre Wirkung unter verschiedenen Bedingungen zu betrachten. Als Referenz diente eine reine Sanddüne, um die Ergebnisse mit und ohne die Einbindung der Baum-Modelle vergleichen zu können. Rund 8,5 Kubikmeter Sand verteilte Johannes Schattmann mit Unterstützung von studentischen Hilfskräften des LWI im Kanal, um die Düne aufzubauen. „Zwei bis drei Stunden haben wir für die Vorbereitung eines Versuchs gebraucht“, erzählt er.
Verbesserte Widerstandsfähigkeit gegen Erosion
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass die Modellbäume das Erosionsvolumen im ersten Sturmflut-Szenario um bis zu 8,5 Prozent reduzieren konnten. In diesem Szenario wurden die Wellenparameter so gewählt, dass die Referenz-Düne der Sturmflut standhalten konnte. Das zweite, deutlich extremere Szenario war so gestaltet, dass die Referenz-Düne sicher zerstört wurde. Hier führten die Bäume zu einer Verdreifachung der Zeit bis zur vollständigen Abtragung der Düne.
Fazit: Diese Beobachtungen unterstreichen, dass die Bäume die Widerstandsfähigkeit von Dünen gegen Wellenangriffe deutlich erhöhen können – insbesondere unter extremen Bedingungen bieten sie einen stärkeren Schutz. Eine weitere Erkenntnis aus den Experimenten: Es ist nicht der Baum selbst, der die Düne schützt. Bei den Versuchen fielen beispielsweise die vorderen Baumreihen um, die dann wiederum als Wellenbrecher dienen können. Es ist vor allem das feine Wurzelgeflecht, das zum Erosionsschutz beiträgt.
„Die Untersuchung und realitätsnahe Modellierung solcher Küstenschutzsysteme ist äußerst wichtig, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Vegetation, Dünen und Welleneinwirkung besser zu verstehen“, so Johannes Schattmann.
Kontakt
Johannes Schattmann
E-Mail: j.schattmann(at)tu-braunschweig.de
Malte Kumlehn
E-Mail: malte.kumlehn(at)tu-braunschweig.de
Dr.-Ing. Oliver Lojek
Technische Universität Braunschweig
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-7923
E-Mail: o.lojek(at)tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku
Constantin Schweiger
E-Mail: c.schweiger(at)tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku
Arbeitsgruppe Dynamik der Küstengewässer
Die Dynamik natürlicher Küstensysteme ist durch Wechselwirkung zwischen Wellen, Sediment und Organismen geprägt. Mit der Erforschung dieser Wechelwirkungen befasst sich diese Arbeitsgruppe.
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abt. Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38100 Braunschweig
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku/arbeitsgruppen/dynamik-der-kuestengewaesser
Weihnachtsbeitrag von Bianca Loschinsky mit Fotos von Oliver Lojek, Heiko Jacobs und Johannes Schattmann im MAGAZIN der TU Braunschweig