Bereits am 29. Juli hatte die Menschheit 2019 so viele natürliche Ressourcen verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr erneuern kann. Dabei sind Städte für bis zu 70 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Mit Ressourcen in der Stadt setzt sich Professorin Folke Köbberling, Leiterin des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK) der Technischen Universität Braunschweig, auseinander. Sie ist der festen Überzeugung, dass es in Städten erhebliche Ressourcen zu finden gibt, sei es ungenutzter Raum oder in dem, was die meisten als Abfall betrachten.
Frau Professorin Köbberling, Sie arbeiten als Künstlerin und als Professorin und Leiterin des Instituts für Architekturbezogene Kunst mit Ressourcen. Was ist für Sie eine Ressource?
Für mich bedeutet Ressource etwas, das wir in großem Stil haben, überall erhältlich und kostenlos in der Stadt vorhanden ist, aber andere Menschen nicht als Ressource ansehen. Die Ressourcen, von denen ich spreche, sind Konsum-Ressourcen. Sie sind durch unser Konsum-Verhalten entstanden. Es sind Materialien, die niemand mehr haben möchte, aber die immer noch einen Wert haben, so dass sie wieder genutzt werden können. Kurz und knapp gesagt: „One man’s trash is another man’s treasure.“
Welche städtischen Ressourcen nutzen Sie?
Ich sehe zum Beispiel Brachen in der Stadt als Ressource, als räumliche Ressource, die einen großen Möglichkeitsraum eröffnen. Aber auch Infrastrukturen, die nicht genutzt werden, sind Ressourcen. So können dort andere Architekturen andocken. In einem Projekt in Köln haben Martin Kaltwasser und ich zum Beispiel ein Gerüst mit Materialien eingekleidet, um einen Schutzraum für die Bevölkerung zu bauen. Das führte zu einer sehr großen Akzeptanz in der Bevölkerung.
Außerdem stoße ich immer auf Material, das irgendwo anfällt, beispielsweise auf Messen, in Theatern, auf Baustellen. Unser Verhalten führt dazu, dass wir vieles wegwerfen und lieber neu kaufen. Meine Devise ist jedoch: Wir haben eigentlich alles, wir müssen nichts mehr kaufen.
In Ihrem Projekt „ifa“ haben Sie Messebauer auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin interviewt und herausgefunden, dass die meisten Materialien, die dort für die Messestände verwendet werden, im Müll landen.
Einer der Messevertreter sagte: Wenn der Kunde nicht jedes Jahr einen neuen Stand sieht, wird vermutet, dass es der Firma schlecht geht. Das finde ich dramatisch. Ich glaube, bis in die 90er Jahre war es ganz selbstverständlich, dass man im Messebau Modular-Architektur benutzte. Inzwischen hat sich daraus eine große Eventkultur entwickelt, so dass man immer größere Stände zu immer höheren Preisen baut. Und das für fünf Tage Messe. Danach landet alles im Müll. In meiner Arbeit geht es darum, zu hinterfragen, ob das sein muss. Der Film zum Projekt „ifa “zeigt, dass der Transport und die Benutzung von neuen Materialen immer noch preiswerter ist, als die Lagerung und die Bearbeitung der alten Materialien.
In der Ringvorlesung „Kernbegriffe für die Stadt der Zukunft“ wollte ich deshalb gerade den Architektur-Studierenden meinen Film zum Messebau zeigen, da sie später auch einen großen Anteil daran haben werden, was und wie sie planen. Der Bausektor gehört schließlich zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren.
Konnten Sie mit Ihren Projekten bereits ein Umdenken anstoßen?
Der Film zum Projekt „ifa“ ist bereits vor einigen Jahren entstanden. Da gab es noch nicht das Bewusstsein zur Müllvermeidung wie jetzt. Mittlerweile setzen einige Unternehmen auf Nachhaltigkeit. Auch wenn viele gar nicht wissen, was das wirklich heißt.
Auf den Messen sind inzwischen einige glücklich, wenn man das Material mitnimmt. Das Gewissen wird beruhigt, dass nicht alles im Müll landet. Doch teilweise sind diese Materialien so schlecht, dass man sie nicht verwenden kann. Es wäre viel besser, wenn die Messepavillons aus Vollholz oder Schichtholz konstruiert werden, die als Module einfach ab-und aufgebaut werden können.
Mit meinen künstlerischen Projekten kann ich Denkanstöße geben oder Prozesse in Gang setzen, wie mit „The Games are open“, eine Arbeit von Martin Kaltwasser und mir aus dem Jahr 2010. Direkt neben dem olympischen Dorf in Vancouver haben wir einen gigantischen Bulldozer aufgestellt – aus 1.000 sogenannten Wheatboards, Bauplatten aus hochverdichtetem Weizenstroh. Diese waren vorher in den Apartments des olympischen Dorfs eingebaut. Diese Platten zersetzten sich nach und nach und gaben Pflanzen und Tieren Platz, sich einzunisten. Aus einem Bulldozer entstand im Laufe der Zeit ein Biotop. Es kann aber auch als „bottom up“ Projekt gelesen werden.
Das IAK ist auch am Leibniz-Wissenschaftscampus „Postdigitale Partizipation“ beteiligt. Es soll eine nutzerfreundliche Plattform in Zusammenarbeit vieler Akteure entwickelt werden, um lokale weggeworfene Ressourcen im öffentlichen und privaten Raum zu lokalisieren, kategorisieren und einer freien Nutzung zuzuführen. Wie genau soll diese Plattform aussehen und was ist die Aufgabe des IAK?
Das Projekt im Rahmen des Leibniz-Wissenschaftscampus ist eine Kooperation des IAK mit dem Institut für Informationssysteme , dem Institut für Wirtschaftsinformatik und dem Sandkasten – selfmade campus, in dem Promovierende gemeinsame diese Plattform entwickeln. Dazu gibt es in diesem Semester in unserem Institut auch ein Seminar von Alexa Kreissl und mir mit dem Titel „The shape of things to come – R4 – The Recycling and Reuse of Refuse Resources”. Das IAK wird die gebrauchten Materialien von Firmen eruieren, die im Umkreis von Braunschweig anfallen. Es gibt verschiedene Unternehmen, die aufgrund von Planungsfehlern etliche hochwertige Materialien haben, die sie dann entsorgen . Diese Materialien untersuchen wir und überprüfen, um wie viel Material es sich handelt, so dass eine „Enzyklopädie der weggeworfenen Materialien“ entsteht. Das Sandkasten-Team wird schließlich die Ressourcen nutzen, um daraus partizipative Projekte zu entwickeln.
Um welche Materialien handelt es sich dabei?
Das sind unter anderem Aluminiumabfälle oder Werkstoffe aus Abbruchhäusern, wie alte Türen oder Fenster. Wir untersuchen die Möglichkeiten, was man mit diesem Material alles machen kann.
Im IAK beschäftigen Sie sich viel mit dem Recycling und neuen Nutzungen von Ressourcen, wie auch in den verschiedenen Motivwagen zum Schoduvel zu sehen war. Wie vermitteln Sie Ihren Studierenden einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen?
Ich möchte, dass die Studierenden Ideen mit dem Vorhandenen entwickeln. Das Material führt zur Form. Zum Beispiel haben wir in einem Stegreif alle Materialien, die im IAK zu finden waren, aufgenommen, dokumentiert und den Studierenden zur Verfügung gestellt. Aus diesen Materialien haben sie einen Fahrradstand entwickelt. Das Angebot ist also sehr limitiert und der Designvorgang ist ganz anders. Normalerweise entwickelt man frei und überlegt, wie die Form gestaltet werden kann. Bei uns entwickelt sich dagegen die Form aus dem Material, das vorhanden ist.
In der letzten Zeit haben Sie im Institut vor allem mit Rohwolle gearbeitet. Wie wichtig ist Wolle als Ressource?
Erst einmal ist es ein nachwachsender Rohstoff. Und solange es Schafe gibt, ist dieser Rohstoff verfügbar. Jedoch hat die Wolle in Deutschland keinen Marktwert mehr. Dadurch wurde sie leider zu einem Abfallprodukt. Die Schäfer müssen die Wolle also kostenpflichtig entsorgen. Rohwolle ist für mich genauso eine Ressource wie das Abfallmaterial der Messe, weil sie in monetärer Hinsicht keinen Wert mehr hat. In unserem Institut hatten wir zwischenzeitlich mehr als zwei Tonnen Rohwolle.
Es ermöglicht allen Beteiligten, die sich damit beschäftigen, einen sehr experimentellen Zugang, da wir Wolle in großen Mengen nutzen können, um damit zu experimentieren und Untersuchungen vorzunehmen.
Benedikt Bratz hat in seiner Studienarbeit bewiesen, dass Rohwolle gut akustisch filtert. Entstanden ist diese Untersuchung wiederum aus einer Seminararbeit von Victoria Hermesmann, die jetzt ihre Masterthesis bei uns zum Thema Rohwolle macht. Sie untersucht unterschiedlichste Eigenschaften und verschiedene Wollqualitäten je nach Schafssorte und entwickelt ein Konzept für eine ganzheitliche Raumakustik aus Rohwolle.
Momentan überprüfen wir, wie man die Wolle mit wenig Aufwand und ohne große Wollwaschstraßen säubern kann. Ich habe bei mir zu Hause eine „Naturwaschmaschine“, mit der ich den Regen auffange und die Wolle dem Regen aussetze und sie dadurch bleiche, aber auch Mottensicher mache. Anschließend können wir untersuchen, ob der akustische Filter der Wolle nach der Reinigung noch genauso gut funktioniert oder vielleicht sogar besser.
Welche Ressourcen in der Stadt könnten besser genutzt werden?
Da gibt es sehr viele, zum Beispiel die ganze Infrastruktur die mit Mobilität zu tun hat. Straßen, Parkhäuser, Parkplätze. In meinem Projekt „Stilllegung“ habe ich eine Straße durch ein Parkhaus umgeleitet und die Straße wieder erlebbar gemacht. Eine andere Idee könnte sein, dass wir die Straßen entsiegeln, also den Asphalt aufbrechen und so den Stadtraum wieder attraktiver machen.
Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?
Ich würde mir wünschen, dass man in der Stadt der Zukunft, den Individualverkehr eindämmt und die Straßen und Parkplätze nicht mehr den Autos überlässt. Die Entsiegelung der Straßen und die Schaffung von Kleingärten schafft einen menschen- und tiergerechten Raum.
Interview: Bianca Loschinski im MAGAZIN der TU Braunschweig