Für die zeitgenössische Politische Philosophie und Sozialphilosophie war die Beschäftigung mit Märkten (wie auch mit anderen wirtschaftlichen Institutionen) lange Zeit nur von untergeordnetem Interesse. Die Politische Philosophie hat sich bis vor Kurzem mit Märkten, wenn überhaupt, unter der Fragestellung befasst, welche Beiträge sie zu einer gerechten Verteilung von natürlichen und gesellschaftlichen Gütern leisten können; für diese thematische Ausrichtung zeichnete vor allem der starke Einfluss der Rawls'schen Theorie der Gerechtigkeit verantwortlich. Vom Standpunkt der Sozialphilosophie galten Märkte lange Zeit als "normfreie" soziale Systeme, deren Existenz allein unter Effizienzgesichtspunkten gerechtfertigt werden könne; dieser Standpunkt wurde im Wesentlichen von Jürgen Habermas ausgearbeitet. Fragen, welche die normativen Grundlagen und Gefahren von Märkten betreffen, kamen demgegenüber für die zeitgenössische Politische Philosophie und Sozialphilosophie so gut wie gar nicht in Betracht.
Diese Konstellation ist nicht länger aktuell. In der Tat lassen sich seit einigen Jahren Ansätze einer philosophischen Diskussion beobachten, welche die sozialtheoretischen Grundlagen und die sozialethischen Aspekte von Märkten betrifft. Gefragt wird beispielsweise: Werden marktwirtschaftliche Interaktionen durch spezifische Arten von Vertrauen, Anerkennung oder Wertschätzung konstituiert? Und welches Freiheits- und Gerechtigkeitsverständnis liegt ihnen zugrunde? Welche Chancen auf Wertschätzung eröffnen Märkte? Und welche Gefahren von Missachtung und Ausgrenzung bringen sie hervor? Welche Beiträge zu einem gelingenden Leben können Märkte leisten? Und welche Gefahren bergen sie für die normative Substanz von individuellen Lebensentwürfen und sozialen Praktiken? Das philosophische Interesse an diesen (und verwandten) Fragen wird sowohl durch theoriegeschichtliche Verschiebungen als auch durch realgeschichtliche Entwicklungen genährt. In jener Hinsicht spielt die Renaissance der Philosophie der Anerkennung eine wichtige Rolle, in dieser die Krisenanfälligkeit von Märkten, die seit 2008 offensichtlich ist.
Bemerkenswerterweise schließen die Politische Philosophie und Sozialphilosophie mit der skizzierten Entwicklung thematisch an die Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts an. Die deutschsprachigen Kameralisten, Adam Smith, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die französischen Frühsozialisten und die Linkshegelianer bis hin zu Karl Marx - sie alle haben sich eingehend mit den Fragen beschäftigt, was Märkte sind und welche normativen Potentiale und Gefahren sie bergen.
Betrachtet man die gegenwärtige Renaissance der Philosophie des Marktes in ihrem philosophiegeschichtlichen Kontext, dann fällt zweierlei auf: Erstens werden sozialtheoretische und sozialethische Fragen vielfach noch isoliert voneinander diskutiert, und zweitens wird das systematische Potential der Philosophien, welche die oben genannten 'klassischen' Autoren im vorliegenden Zusammenhang entwickelt haben, nicht angemessen genutzt. Dem möchte die Tagung entgegenwirken, indem sie dazu einlädt, (1) zusammenhängend über philosophisch relevante Fragen des Marktes nachzudenken und (2) die sozialtheoretischen und sozialethischen Überlegungen von Smith, Hegel, Marx und Anderen im Rahmen der Erörterung aktueller Fragen des Marktes fruchtbar zu machen. Es ist zu erwarten, dass ein solches Forum nicht nur in systematischer, sondern auch in philosophiegeschichtlicher Hinsicht aufschlussreich ist und neues Licht auf thematisch verwandte Überlegungen einiger der prominentesten Denker des 18. und 19. Jahrhunderts wirft.