Anaerobe Schlammstabilisierung bei Faultemperaturen unter 35 °C - Erweiterung deutscher Bemessungsregeln
Zusammenfassung
Klärschlamm stellt einen sachgerecht zu behandelnden Reststoff dar, der in Form einer Suspension bei der mechanisch-biologischen Abwasserreinigung aus Absetzvorgängen entsteht und einer weitergehenden Verwertung oder Entsorgung zugänglich zu machen ist. Die anaerobe Schlammstabilisierung (auch Schlammfaulung genannt) ist im Hinblick auf den Behandlungserfolg und die Wirtschaftlichkeit ab einer Kläranlagengröße von über 10.000 Einwohnerwerten ein etabliertes Verfahren zur Schlammstabilisierung. In den Ländern Mitteleuropas existiert für die anaerobe Schlammstabilisierung eine Vielzahl von Bemessungsregeln, jedoch gibt es kaum detaillierte Empfehlungen für die Bemessung und den Betrieb unter anderweitigen klimatischen Bedingungen.
Ziel der vorliegenden Arbeit war die Übertragung solcher bestehenden Bemessungspraktiken auf Länder, in denen andere klimatische und soziokulturelle Rahmenbedingungen vorherrschen. Dafür wurden über die Dauer von 20 Monaten Untersuchungen zur anaeroben Schlammstabilisierung im Technikumsmaßstab in fünf Versuchsfaulbehältern mit je 50 L Faulvolumen auf zwei Kläranlagen in der Türkei durchgeführt (Kayseri und Konya). Dabei wurden im quasi-kontinuierlichen Betrieb unterhalb der üblich betriebenen mesophilen Betriebstemperaturen von 35 °C bis 40 °C diverse Rohschlämme auf ihr Stabilisierungsverhalten bei verschiedenen Faulzeiten und Faultemperaturen ab 25 °C untersucht.
Anhand der Untersuchungsergebnisse, die mittels Massenbilanzen auf Plausibilität überprüft wurden, konnten die in der Literatur bestehenden Kennzahlen für den erweiterten Faultemperaturbereich von 20 °C bis 34 °C validiert werden. Die Einzelergebnisse wurden in einer Abbaukurve zusammengefasst, und aus der ermittelten Abbaufunktion wurden Empfehlungen für das anzusetzende temperaturabhängige Bemessungsschlammalter ermittelt.
Ein Schwerpunkt der Arbeit lag auf der Erarbeitung von Bemessungs- und Betriebshinweisen für warme und kalte Klimazonen unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern (ESTL). Beispielsweise kommen für Schlammfaulungsanlagen in ESTL warmer Klimazonen u. U. auch Low-Tech-Lösungen in Frage, wie etwa beheizte Faulbehälter ohne Wärmedämmung oder unbeheizte Faulbehälter. Für Kläranlagen in gemäßigten bis kalt-gemäßigten Regionen wurde empfohlen, die Faulbehälter-Beheizung an das aus der Faulgasnutzung zur Verfügung stehende Wärmeangebot (Abwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung ohne externe Energiequellen) anzupassen, also einen energieoptimierten saisonalen Sommer/Winter-Betrieb durchzuführen Abweichend von der üblicherweise vorgegebenen Solltemperatur von 35 bis 40 °C können die Faulraumtemperaturen entsprechend dem jeweils vorhandenen Wärmeangebot in einem dynamischen Faulbehälterbetrieb sukzessive angepasst werden.