Thomas Dockhorn
Stoffstrommanagement und Ressourcenökonomie in der kommunalen Abwasserwirtschaft
Zusammenfassung
Die Umsetzung der im Jahr 2000 in New York verabschiedeten UN Millennium Development Goals stellen die Menschheit vor eine große Aufgabe: so soll der Anteil der Weltbevölkerung ohne gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser bis zum Jahr 2015 auf die Hälfte reduziert werden und bis 2025 für alle Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht werden. In Ergänzung hierzu fordert der Nachhaltigkeitsgipfel von Johannesburg im Jahr 2002 ebenfalls bis zum Jahr 2015 eine Halbierung der Anzahl der Menschen ohne einen Zugang zu Sanitärtechnik. Das bedeutet unter Berücksichtigung des derzeitigen Wachstums der Weltbevölkerung letztlich, tagtäglich weltweit weiteren 370.000 Menschen Zugang zu sauberem Wasser sowie 550.000 Menschen Zugang zu Sanitärtechnik und in der Folge damit verbunden einer adäquaten Abwasserreinigung zu ermöglichen.
An diesem Punkt stellt sich mehr denn je die Frage, wie diese Ziele erreicht und möglichst effizient, kosten- und ressourcenschonend umgesetzt werden können. Eine zunächst naheliegende Lösungsmöglichkeit scheint darin zu bestehen, die auch bei uns zum Einsatz kommende Umweltschutztechnik in die Zielländer zu exportieren. Obwohl das Ergebnis zielführend und überzeugend ist, verursachen die erforderlichen Aufwendungen eine immense volkswirtschaftliche Anstrengung. Gleichzeitig werden die im Abwasser in Form energiereicher organischer Verbindungen sowie essentieller Pflanzennährstoffe enthaltenen Ressourcen im wahrsten Sinne des Wortes eliminiert. Würde die Weltbevölkerung flächendeckend mit Abwassertechnik unseren Standards versorgt, würden die resultierenden Aufwendungen hierfür voraussichtlich jährlich hunderte von Milliarden Euro betragen. Gleichzeitig würde dadurch ein Ressourcenäquivalent mit einem jährlichen Marktwert von mehreren zehn Milliarden Euro vernichtet. Diese Feststellung verlangt geradezu nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den vorhandenen Systemen und der Suche nach möglichen Alternativen, die ebenfalls geeignet sind, die Ziele zu erreichen, aber einen anderen, insgesamt nachhaltigeren als den bisherigen Weg beschreiten.
Einen sinnvollen Beitrag kann hier die Etablierung eines aktiven Stoffstrommanagements in der Abwasserwirtschaft leisten, was aus historischer Sicht - man denke u. a. an die Entwicklungen in der Abfallwirtschaft - letztlich die logische Weiterentwicklung der bisherigen Praxis der Abwasserreinigung darstellt. Konkret bedeutet das im Bereich der kommunalen Abwasserwirtschaft, die hochkonzentrierten Teilströme wie Urin und Faeces separat zu erfassen und anstelle der bisher praktizierten Entsorgung mit dem Gesamtabwasser zukünftig einer weitergehenden Verwertung zuzuführen.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Bogen angefangen von der zur Stoffstromseparation erforderlichen Sanitärtechnik über den Stoffstromtransport bis zur Verfahrenstechnik der Stoffstrombehandlung und Schaffung möglicher Wertschöpfungsketten gespannt. Darüber hinaus werden relevante Akzeptanzfragen wesentlicher Akteursgruppen diskutiert sowie die gesamtökonomische Dimension stoffstromseparierender und -verwertender Konzepte im Vergleich zu herkömmlichen Systemen betrachtet.
Die Betrachtung erfolgt überwiegend anhand des Fallbeispiels einer Großstadt mit 350.000 Einwohnerwerten, um einerseits eine plakative Größenordnung zu erreichen und andererseits darzustellen, dass stoffstromseparierende und -verwertende Konzepte nicht primär dafür erdacht sein sollten, "in anderen Ländern auf der grünen Wiese" errichtet zu werden, sondern, dass sie ebenso ihre Berechtigung innerhalb unserer bereits etablierten Strukturen haben können.
Als ein zentraler Punkt der Betrachtungen werden die in der Bewirtschaftung der hier zu Lande existierenden Systeme vorhandenen aber bisher ungenutzten ökonomischen Freiheitsgrade gezielt identifiziert, um diese als Lenkungsinstrument für einen sukzessiven Umbau der herkömmlichen in Richtung stoffstromseparierender und -verwertender Systeme konzeptionell zu nutzen.