Rayko Jordan
Vegetative Behandlung anaerob stabilisierter Klärschlämme
Zusammenfassung
Die vegetative Schlammbehandlung in Pflanzenbeeten ist eine verfahrenstechnische Weiterentwicklung herkömmlicher Schlammtrockenbeete. Die dem Verfahren zu Grunde liegende Idee ist die gegenüber den Trockenbeeten verbesserte Schlammentwässerung durch die Transpiration der Schilfpflanzen sowie der Auflockerung des Schlammbodens durch deren Wurzeln.
Aufbauend auf den ersten Versuchen von Bitmann et Seidel (1967) sowie Scholl et al. (1985) wurde dieses Schlammbehandlungsverfahren in zahlreichen Pilotprojekten hinsichtlich der Entwässerung und weitergehenden Mineralisierung kommunaler Klärschlamme sowie der Einsatz unterschiedlicher Verfahrenstechniken getestet. Basierend auf diesen umfangreichen Versuchen ist die vegetative Schlammbehandlung derzeit in einer Vielzahl großtechnischer Anlagen im In- und Ausland realisiert worden und ist in Deutschland als Stand der Technik anerkannt.
Die Analyse der bisherigen Erkenntnisse (Kap. 2.4) hat aber darüber hinaus deutlich gemacht, dass dieses naturnahe Behandlungsverfahren vorrangig auf Anlagen mit aerober Schlammstabilisierung zum Einsatz kommt. Demgegenüber beschränken sich die wenigen Angaben hinsichtlich der vegetativen Behandlung anaerober Klärschlämme ausschließlich auf die psychrophile Schlammstabilisa-tion. Hinsichtlich der Behandlung mesophil stabilisierter Faulschlämme, wie sie i.d.R. auf Kläranlagen >25.000 EW anfallen, fehlen jedoch bis dato wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse.
Wie die vergleichende Charakterisierung aerob und anaerob stabilisierter
Klärschlämme (Kap. 3) jedoch zeigt, unterscheiden sich diese sowohl in ihrer stofflichen Zusammensetzung (N, CSB, el. LF, Cl) als auch hinsichtlich ihrer Struktur- und Entwässerungskennwerte.
Ausgehend von dargelegten Forschungsdefiziten (Kap. 4.1) wurde die These aufgestellt, dass die vegetative Behandlung mesophil anaerob stabilisierter Klärschlämme prinzipiell möglich ist. Jedoch sind die verfahrenstechnischen Randbedingungen an die spezielle Art des Schlammes anzupassen. Entsprechend dem Arbeitsprogramm (Kap. 4.3) wurden Versuchsanlagen im labor- und halbtechnischen Maßstab betrieben.
Im Rahmen der labortechnischen Versuche stand die Untersuchung des Schilfwachstums im Vordergrund, da die Vitalität des Schilfbestandes als entscheidender Prozessfaktor innerhalb der vegetativen Schlammbehandlung angesehen wird.
Diesbezüglich wurde für mesophil anaerob stabilisierte Klärschlämme eine maximale Feststoffflächenbelastung von <20 kg/(m²·a) ermittelt (Kap. 6.2). Demgegenüber verringerte sich bei Belastungen >40 kg/(m²·a) die Vitalität des Schilfbestandes als auch die Entwässerungsleistung.
Die Untersuchung des Stickstoffeinflusses hat gezeigt, dass ab einer Zulaufkonzentration >200 mg N/L resp. N-Fracht >0,5 kg/(m²·a) eine Wachstumshemmung der Schilfpflanzen eintritt (Kap. 6.3). Dies gilt unabhängig von der Art des zugeführten Stickstoffs (Nitrat oder Ammonium). Von größerer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine möglichst ausgewogene Nährstoffversorgung (N:P-Verhältnis). Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass diese Hemmwirkung vegetationsbedingt im Sommer geringer ist.
Die in der Fachliteratur angegebene hohe Salzresistenz konnte durch eigene Kulturversuche eindeutig bestätigt werden (Kap. 6.4). Folglich haben die in Faulschlämmen üblichen Cl--Konzentrationen keinen Einfluss auf die Vitalität des Schilfbestandes. Demgegenüber führt eine hohe el. Leitfähigkeit (>3 mS/cm) zu signifikanten Beeinträchtigungen im Schilfwachstum.
Basierend auf den überwiegend positiven Behandlungsergebnissen mit aerob stabilisierten Klärschlämmen war die Untersuchung des Einflusses einer aeroben Nachbehandlung der mesophilen Faulschlämme und deren Auswirkung auf die stoffliche Zusammensetzung und Entwässerungskennwerte ein weiterer Bestandteil des Arbeitsprogramms (Kap. 4.3). Anhand der labortechnischen Untersuchungsergebnisse wurde deutlich, dass die Nachbelüftung des Faulschlammes die natürlichen Entwässerungseigenschaften negativ beeinflusst. Da eine möglichst umfangreiche Wasserabgabe für das Verfahren von grundlegender Bedeutung ist, wird die aerobe Nachbehandlung als nicht zielführend erachtet (Kap. 6.1)
Im halbtechnischen Maßstab wurde eine vegetative Behandlungsanlage mit dem auf dem Verbandsklärwerk Erdinger Moos in Eitting anfallenden Faulschlamm über einen Zeitraum von zwei Jahren betrieben und systematisch untersucht. Anhand der aufgenommenen Messdaten wurden stoffliche Massenbilanzen für den Bilanzraum Bodenkörper aufgestellt (Kap. 7). Übereinstimmend zeigten die Massenbilanzen, dass der stoffliche Input aus Deposition sowie der Output in die oberirdische Schilfmasse ungeachtet der untersuchten Stoffgruppe (mit Ausnahme des Wassers) von untergeordneter Bedeutung sind.
Anhand der Massenbilanz des Wassers lässt sich feststellen, dass rund 73 % des eingetragenen Wassers das Pflanzenbeet über das Sickerwasser verlässt und etwa 22 % durch Evapotranspiration entweicht. Damit konnten die Erkenntnisse der Literatur bestätigt werden.
Die bei der Bilanzierung der Massen an Feststoff (Kap. <7.2) und organischem Material (Kap. 7.3) ermittelten Fehlbeträge von 7 % (TR) respektive 9 % (oTR) belegen einen weitergehenden mikrobiologischen Umsetzungsprozess innerhalb des Pflanzenbeetes.
Der N-Bilanz ist zu entnehmen, dass sich die Stickstoffmasse im Sickerwasser fast ausschließlich aus Ammonium und organisch gebundenem Stickstoff zusammensetzt und somit der Charakteristik eines maschinell abgetrennten Faulschlammwassers entspricht. Diese Erkenntnis konnte zudem durch Daten der großtechnischen Anlagen in Aurich und Emden bestätigt werden. Anhand der Bilanz wird aber ebenfalls deutlich, dass eine Nitrifikation und Denitrifikation im Schlammboden stattgefunden haben muss. Insgesamt sind mutmaßlich rund 15 % des zugeführten Stickstoffs denitrifiziert worden.
Der überwiegende Massenanteil des zugeführten Phosphors wird im Schlammboden fixiert (Kap. 7.5). Dennoch ist die mittlere P-Konzentration im Sickerwasser der vegetativen Schlammbehandlung im Vergleich zum Schlammwasser aus der maschinellen Entwässerung höher. Dies bestätigen auch die Konzentrationen im Sickerwasser der großtechnischen vegetativen Schlammbehandlungsanlagen.
Hinsichtlich der späteren Verwertung des Schlammbodens ist die Bilanz der Schwermetalle von grundlegender Bedeutung (Kap. 7.6). Der Schwermetallaustrag über das Sickerwasser beschränkte sich mit Ausnahme von Nickel auf Werte <5 %. Die Berechnung des Transferfaktors machte zudem deutlich, dass eine vermehrte Schwermetallaufnahme durch die Schilfpflanzen nicht stattfindet. Insgesamt konnte in Abhängigkeit des Schwermetalls eine Akkumulation zwischen 3-46 % nachgewiesen werden. Die bei der Bilanzierung der Schwermetalle ermittelten Fehlbeträge sind vorrang auf die Schwierigkeiten bei der Probenahme sowie die Unschärfe der Analytik zurückzuführen, wie die durchgeführte Sensitivitätsanalyse (Kap. 7.7) belegt.
Es war ein besonderes Anliegen dieser Arbeit, die anfallenden Endprodukte der vegetativen Schlammbehandlung nach Beendigung der zweijährigen Versuchsphase ausführlich zu charakterisieren und anhand dieser Erkenntnisse, dieses Schlammbehandlungsverfahren zu beurteilen. Der sich im ersten Versuchsjahr gut entwickelnde Pflanzenbestand starb im Sommer 2004 flächendeckend ab. Der insgesamt als schlecht zu beurteilende, optische Eindruck des Schilfbestandes im Sommer 2005 ist vorrangig auf die Schädigung im Vorjahr zurückzuführen (Kap. 8.1). Als Schadensursache wurde neben einer allgemeinen Stresssituation der Pflanzen infolge hoher Stoffkonzentrationen (TR, Stickstoff, Salz) im Zulauf ein Wassermangel im Rhizombereich vermutet.
Mit einem Feststoffgehalt von rund 15 % TR liegt nach zweijähriger Behandlung ein teilentwässerter Klärschlamm vor (Kap. 8.2). Die Ergebnisse großtechnischer Anlagen in Emden und Aurich belegen zudem die Vermutung, dass mesophil anaerob stabilisierte Faulschlämme auch nach Abschluss der 8-10jährigen vegetativen Behandlung lediglich Feststoffgehalte von etwa 20 % TR erreichen können.
Hinsichtlich der Charakterisierung des vegetativ behandelten Schlammes sind neben abwassertechnischen auch bodenmechanische und geoökologische Kennwerte herangezogen worden. Auf der Grundlage dieser Kennwerte ist der vegetativ behandelte Schlamm als Anthrosol AT zu bezeichnen.
Die vegetative Schlammbehandlung anaerob stabilisierter Klärschlämme führt im Gegensatz zur maschinellen Entwässerung zu keiner Verminderung der stofflichen Rückbelastung (Kap. 9.1). Die hydraulische Belastung der Kläranlage kann aufgrund der mitzubehandelnden Niederschläge u.U. geringfügig zunehmen.
Die zielgerichtete Verwertung des Schilfmaterials erscheint aufgrund des nachweislich geringen Stofftransfers in die oberirdische Biomasse sowie der tech-nischen Schwierigkeiten der Schilfernte weder zweckmäßig noch wirtschaftlich sinnvoll.
Die von den Herstellern und der Mehrzahl der Autoren angegebenen Verwertungs- und Entsorgungsoptionen für den vegetativ behandelten Klärschlamm entsprechen im Wesentlichen denen herkömmlicher Klärschlämme. Die kritische Überprüfung der praktischen Anwendbarkeit möglicher Verwertungswege hat gezeigt, dass eine direkte Verwertung des anfallenden Materials ohne weitergehende Behandlungsmaßnahmen (Kompostierung, Siebung, etc.) i.d.R. unrealistisch ist (Kap. 9.3).
Basierend auf den Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit wurden abschließend planerische, bau- und betriebstechnische Konsequenzen zusammengetragen (Kap. 10). Diese bieten sowohl dem Planer, dem Hersteller als auch dem zukünftigen Betreiber eine orientierende Hilfestellung für die Entscheidungsfindung resp. Realisierung einer vegetativen Schlammbehandlungsanlage.
Der Erfolg dieses Schlammbehandlungsverfahrens wird sich mitnichten an einer entscheidenden Einflussgröße messen lassen. Dies haben sowohl die Erkenntnisse der Fachliteratur als auch die eigenen Ergebnisse gezeigt. Es ist vielmehr von grundlegender Bedeutung, die möglichen Einflussfaktoren und ihre Wechselwirkungen zu kennen und daraus ableitend die Planung, den Bau und insbesondere den Betrieb der Schlammbehandlungsanlagen an die ökologischen Bedürfnisse der Schilfpflanzen anzupassen.
Die Frage der organischen Schadstoffe im Klärschlamm gewinnt in der fachlichen Diskussion zunehmend an Bedeutung. Es lässt sich vermuten, dass diese aufgrund des langjährigen Aufenthaltes im Schlammbeet reduziert werden könnten. Inwieweit ein Abbau der persistenten organischen Schadstoffe im Rahmen der vegetativen Schlammbehandlung möglich ist, lässt sich aufgrund fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse derzeit nicht prognostizieren. Diesbezüglich sind weitere Forschungen erforderlich.
Allen Beteiligten sollte stets bewusst sein, dass es sich bei der vegetativen Schlammbehandlung prinzipiell um ein ökologisches System handelt, welches der Kenntnis grundlegender biologischer Zusammenhänge bedarf.