Anke Winter
Desintegrationsverfahren zur Intensivierung der Schlammfaulung - Großtechnische Vergleiche -
Zusammenfasssung
Die Desintegration von Klärschlamm führt zu einer Auflösung von Flocken- und Zellstrukturen. Durch die Zerstörung der Zellmembranen werden Zellinhaltstoffe freigesetzt, die sowohl einem aeroben als auch einem anaeroben Abbau leicht zugänglich sind. Auf diese Weise kann beispielsweise der die Geschwindigkeit limitierende Schritt des anaeroben Abbauprozesses von Klärschlamm, die Hydrolyse gezielt unterstützt werden. Dieser Effekt konnte bereits in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen werden. Zur Absicherung der positiven Ergebnisse, die zumeist im labor- oder im halbtechnischen Maßstab gewonnen wurden, sollten im Rahmen dieser Arbeit Erfahrungen unter großtechnischem kontinuierlichen Betrieb gesammelt werden. Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen in den letzten Jahren Desintegrationsverfahren unterschiedlicher Wirkungsmechanismen. Diese reichen von thermischen, mechanischen, chemischen und biologischen Methoden bis hin zu Kombinationsverfahren wie der chemisch-thermischen Desintegration. Da vor allem zu den mechanischen Desintegrationsverfahren und zur chemischen Desintegration durch Oxidation mit Ozon noch keine belastbaren groß-technischen Untersuchungen vorlagen, wurden auf einer kommunalen Kläranlage des Lippeverbandes zwei verschiedene Rührwerkskugelmühlen (Vollraummühle und Ringspaltmühle), ein Ultraschallhomogenisator, eine Lysatzentrifuge und eine Pilotanlage zur Ozonbehandlung getestet.
Während der einzelnen Versuchsphasen von zwei bis vier Monaten wurde Überschussschlamm im Zulauf zur Faulung aufgeschlossen und zusammen mit dem unbehandelten Primärschlamm in Faulzeiten zwischen 17 und 18 Tagen stabilisiert. Als Referenzanlage diente ein zweiter baugleicher Faulbehälter, der mit unbehandeltem Rohschlamm beschickt wurde. Die höchsten Aufschlussgrade von im Mittel 35 % ACSB wurden durch die chemische Oxidation mit Ozon erzielt. Der dazu notwendige elektrische Energieeintrag lag mit 21,8 kWh/m3 in ähnlichen Größenordnungen, wie der der Vollraummühle. Letztere erreichte jedoch etwas geringere Aufschlussgrade von im Mittel 23 % ACSB. Die Ringspaltmühle und der Ultraschallhomogenisator erzielten Aufschlussgrade in ähnlich niedrigen Größenordnungen (16 bzw. 17 ACSB). Die Ringspaltmühle benötigte deutlich weniger Energie als der Ultraschallhomogenisator. Bei einem Vergleich muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich das Aufschlussergebnis und der Energieeintrag des Ultraschallhomogenisators auf einen Teilstrom des Überschussschlammes bezog. Denn während dieser Versuchsphase beschränkte sich der Aufschluss auf ein Drittel des anfallenden Überschussschlammes. Die Lysatzentrifuge erzielte auf Grund der geringen Effektivität des Energieeintrages die niedrigsten Aufschlussgrade von im Mittel 5 % ACSB.
Die Verbesserung der anaeroben Abbaubarkeit wurde anhand der Steigerung des Abbaugrades der organischen Substanz beurteilt. In drei der fünf untersuchten Fälle konnte bestätigt werden, dass mit zunehmendem Aufschlussgrad, der Effekt der Desintegration gesteigert wird. So wurde durch die chemische Oxidation mit Ozon der Abbaugrad um rund 20 % erhöht. Durch die Vollraummühle ergab sich eine Verbesserung um rund 14 % und im Fall der Teilstromdesintegration mit Ultraschall eine Steigerung um 10 %. Vermutlich konnte auf Grund von Messwertungenauigkeiten während des Einsatzes der Ringspaltmühle und der Lysatzentrifuge keine Verbesserung des Abbaugrades nachgewiesen werden. Die Verbesserung des Abbaugrades der organischen Substanz hatte eine Erhöhung der Konzentration von Ammonium-Stickstoff im Schlammwasser der Faulschlämme in ähnlichen Größenordnungen zur Folge. Darüber hinaus wurden die durch den Aufschluss freigesetzten Substanzen offenbar nur teilweise in der Faulung abgebaut, denn auch der chemische Sauerstoffbedarf stieg durch die Desintegration an. Während die mechanischen Desintegrationsverfahren relativ niedrige Steigerungen zwischen 2,2 und 19 % verursachten, wurde der chemische Sauerstoffbedarf durch die Ozonbehandlung um 60 % gesteigert. Vermutlich werden hier durch die chemische Veränderung der Schlamminhaltstoffe auch anaerob schwer abbaubare Substanzen gebildet.
Hinsichtlich der Entwässerungseigenschaften konnte festgestellt werden, dass das theoretische, maximal erreichbare Entwässerungsergebnis, welches über die thermogravimetrischen Untersuchungen ermittelt wurde, nur wenig durch die Desintegration beeinflusst wird. Mit Ausnahme der Lysatzentrifuge, durch deren Einsatz das Entwässerungsergebnis leicht verschlechtert wurde, führte die Desintegration in der Regel zu einer leichten Verbesserung des Entwässerungsergebnisses. Im Extremfall, der bei Einsatz der Ringspaltmühle eintrat, erhöhte sich der prognostizierte Trockenrückstand um 2,1 % TR. Jedoch wurde in Filtrationsversuchen auf einer halbtechnischen Kammerfilterpresse eine leichte Verschlechterung des Entwässerungsergebnisses nachgewiesen. Einzig im Fall der Ozonbehandlung konnte das Entwässerungsergebnis verbessert werden. Dafür war jedoch auch eine Steigerung der Polymermittelmenge um 29 % notwendig, während alle anderen Verfahren einen um 6 bis 10 % erhöhten Polymerbedarf verursachten.
Ein Vergleich der untersuchten Desintegrationsverfahren wurde unter personellen und technischen, wie auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten durchgeführt. Um die Desintegration wirtschaftlich einsetzen zu können, müssen sowohl die Investitionen als auch die Kosten für elektrische Energie gedeckt werden. Darüber hinaus müssen Kosten für Personal, Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie zusätzliche Belüftungsenergie zum Abbau der erhöhten Rückbelastung und Kosten infolge eines erhöhten Polymerbedarfes berücksichtigt werden. Dem gegenüber stehen Einsparungen auf Grund der Gewinnung zusätzlicher thermischer und elektrischer Energie und durch eine Reduzierung der Entsorgungskosten.
Es wurde deutlich, dass sich die größten Einsparungen aus der Verringerung der Entsorgungskosten durch die Reduzierung der zu entsorgenden Faulschlammtrockenmassen ergeben. Da die spezifischen Entsorgungskosten in Abhängigkeit des Entsorgungsweges stark variieren können, fallen diese Einsparungen unterschiedlich hoch aus. Großen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens hat auch die Anlagengröße. Denn die Investitionen für die Desintegrationsaggregate vervielfachen sich in der Regel nicht linear zum Schlammdurchsatz. Damit kann bei größeren Anlagen der relative Anteil der Investitionen verringert werden. Besonders geringe Investitionen müssen im Fall der Lysatzentrifuge gedeckt werden, wenn bereits eine konventionelle Zentrifuge vorhanden ist und sich die Kosten auf eine Nachrüstung mit dem Lysatgeschirr beschränken. Auch der zusätzliche Energiebedarf zum Betrieb des Lysatgeschirrs fällt verglichen mit den anderen Desintegrationsverfahren deutlich niedriger aus. Unter Annahme einer Verbesserung des organischen Abbaugrades um 11 % kann hier bereits auf kleinen Kläranlagen (8.000 Einwohnerwerte) Gewinn erwirtschaftet werden.
Weiteren Einfluss hat die durch die Desintegration erreichbare Verbesserung der anaeroben Abbaubarkeit. Auf Grund schlammspezifischer Eigenschaften und verfahrenstechnischer Randbedingungen kann sich die Desintegration auf unterschiedlichen Kläranlagen sehr verschieden auswirken. Unter der Annahme der im Rahmen dieser Arbeit ermittelten Steigerungen des organischen Abbaugrades, ergab sich hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der untersuchten Desintegrationsverfahren eine Rangfolge. So ist ein gewinnbringender Betrieb am ehesten mit einer Rührwerkskugelmühle zu erreichen. Darauf folgt die Desintegration durch Ultraschall sowie im Anschluss daran die Desintegration durch chemische Oxidation mit Ozon. Durch Variation der Faktoren "spezifische Entsorgungskosten" und "Anlagengröße" sowie der möglichen "Steigerung des Abbaugrades der organischen Substanz" wurden für die Vollraummühle, den Ultraschallhomogenisator und die Ozonbehandlung Randbedingungen ermittelt, unter denen ein Überschreiten der Gewinnschwelle möglich wird. Auf diese Weise ist eine erste überschlägige Abschätzung möglich, ob das angedachte Desintegrationsverfahren auf einer Kläranlage gewinnbringend eingesetzt werden kann. Eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse, in der die speziellen Randbedingungen des Einsatzortes berücksichtigt werden, kann jedoch hierdurch nicht ersetzt werden.