Lars Keudel
Bestimmung des Absetzverhaltens von belebtem Schlamm zur Bemessung von Kläranlagen nach dem Sequencing Batch Reactor (SBR) - Verfahren
Zusammenfasssung
Bei dem SBR-Verfahren stellt das Absetzen des belebten Schlammes einen Prozessschritt dar, der auf das bei der Dimensionierung erhaltene Beckenvolumen einen hohen Einfluss ausübt. Je schneller das Absetzen vonstatten geht, umso geringer ist die biologisch nicht aktive Zeit (Totzeit) innerhalb des Zyklus. Aufgrund bestehender Wissensdefizite auf diesem ein-gegrenzten Gebiet wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit neben einer Auswertung der relevanten Literatur auch Experimente bis zum großtechnischen Maßstab durchgeführt.
Die Theorie zum Batchversuch des Absetzverhaltens besagt, dass der Schlammspiegel von oben her mit anfänglich konstanter Geschwindigkeit absinkt, während sich das Kompressionssediment unter Aufbau eines Partikelstützgerüstes von der Sohle des Absetzgefäßes ausgehend ausbildet. Diese Vorstellung wurde in dem ATV-Merkblatt M 210 zur Beschreibung des Absetzvorgangs in Kläranlagen nach dem Aufstauverfahren umgesetzt. Die Absetzkurve des Schlammspiegels wird über die gesamte Absetzzeit als linear angesetzt und die zugehörige Absetzgeschwindigkeit ermittelt sich in Anlehnung an das Modell von RESCH [1981]. Weiterhin endet die Betrachtung des Absetzvorgangs beim Eintritt des Schlammspiegels in den Kompressionsbereich; die zugehörige Schlammspiegelhöhe wird dabei aus dem Standzylinderversuch zur Ermittlung des Schlammvolumens nach 30 Minuten direkt auf die Absetzhöhe im großtechnischen Maßstab übertragen.
Ausgehend von den theoretischen Grundlagen und dem Modell des M 210 wurde eine davon abweichende Arbeitshypothese aufgestellt, nach der kein linearer, sondern ein gekrümmter zeitlicher Verlauf der Absetzkurven vorliegt, der zutreffend mit einer e-Funktion beschrieben werden kann. Zur Verifizierung dieser Arbeitshypothese und zur Bestimmung von Funktionsparametern in Abhängigkeit üblicher Messgrößen zum Absetzverhalten wurden Untersuchungen vom Labormaßstab bis zum großtechnischen Maßstab vorgenommen. Das Ziel der Untersuchungen bestand letztendlich darin, einen Bemessungsvorschlag des Absetzvorgangs unter Verwendung der verifizierten Arbeitshypothese zu entwickeln. Mit der Aufnahme von TS-Konzentrationsprofilen während des Absetzvorgangs sollte zusätzlich das Verhalten des Schlamms im Bereich der Kompression beobachtet und in einem Modell beschrieben werden.
Zur Verifizierung dieser Arbeitshypothese und zur Bestimmung von Funktionsparametern in Abhängigkeit üblicher Messgrößen zum Absetzverhalten wurden Untersuchungen vom Labormaßstab bis zum großtechnischen Maßstab vorgenommen. Das Ziel der Untersuchungen bestand letztendlich darin, einen Bemessungsvorschlag des Absetzvorgangs unter Verwendung der verifizierten Arbeitshypothese zu entwickeln. Mit der Aufnahme von TS-Konzentrationsprofilen während des Absetzvorgangs sollte zusätzlich das Verhalten des Schlamms im Bereich der Kompression beobachtet und in einem Modell beschrieben werden.
Die Untersuchungen wurden an fünf großtechnischen Kläranlagen nach dem Aufstauverfahren (3 Kläranlagen mit SBR-Verfahren, jeweils eine Kläranlage nach dem Cyclazur- und Castverfahren) durchgeführt, wobei die Ausbaugrößen zwischen 300 und 140.000 Einwohnerwerten lagen und alle Kläranlagen mit weitergehender Nährstoffelimination betrieben wurden. Die ermittelten Absetzkurven zeigten in rund 80 Prozent der Fälle einen Verlauf, der von dem Bestimmtheitsmaß der Anpassung r2 her besser mit der exponentiellen Funktion aus der Arbeitshypothese als mit dem linearen Ansatz nach dem M 210 beschrieben werden konnte. Insbesondere für höhere anfängliche Absetzgeschwindigkeiten des Schlammspiegels traten deutlich gekrümmte Verläufe der Absetzkurven auf, die mit der linearen Funktion nicht zutreffend zu beschreiben waren. Lineare Absetzkurven ergaben hingegen bei geringen anfänglichen Absetzgeschwindigkeiten und zusätzlich bei kurzen Absetzzeiten z.T. bessere Anpassungen an die Messdaten der Schlammspiegelhöhen.
Aufgrund der mit 80% stark überwiegenden Anzahl der Versuche mit gekrümmten Absetzkurven wurde die aufgestellte Arbeitshypothese als bestätigt angesehen. Zusätzlich kann erwartet werden, dass auch für die weiteren Versuche bei einer zeitlichen Verlängerung der Absetzvorgänge Krümmungen der Absetzkurven aufgetreten wären. Die in der Realität auftretenden Absetzkurven weisen demzufolge über den gesamten Bereich einen gekrümmten Verlauf auf und können nur mit Einschränkungen linearisiert werden. Dabei besteht zudem die Gefahr, dass die berechneten Resultate unter Vernachlässigung der Krümmung der Absetzkurve eine zu schnelle Absenkung der Schlammspiegelhöhe ergeben. Die maximale Absetzgeschwindigkeit tritt als anfängliche Tangentensteigung der Absetzkurve des Schlammspiegels auf.
Der Parameter "b" im Exponenten der exponentiellen Absetzfunktion beschreibt den zeitlichen Verlauf der gekrümmten Absetzkurve hinsichtlich des asymptotischen Erreichens des Schlammspiegel-Endniveaus. Geringe Parameter b (b®0) ergeben Absetzkurven, die nahezu linear verlaufen, während Parameter im Wertebereich von 0,05 1/min eine ausgeprägte Krümmung aufweisen. Die ermittelten Parameter "b" zeigten eine lineare Abhängigkeit zur anfänglichen Absetzgeschwindigkeit. Hohe anfängliche Absetzgeschwindigkeiten traten im Zusammenhang mit großen Werten des Parameters "b" auf, so dass sich stark ausgeprägte Krümmungen der Absetzkurven mit einem schnellen Erreichen des asymptotischen Kurvenverlaufs gegen das Endniveau der Schlammspiegelhöhe ergaben.
Zusätzlich war der Parameter "b" von der Ausgangshöhe des Schlammspiegels im Absetzversuch abhängig. Es ergaben sich hyperbolische Verläufe in der Darstellung des Parameters "b" in Abhängigkeit der Ausgangshöhe H0. Somit kann erwartet werden, dass bei hohen Ausgangshöhen geringere Werte des Parameters "b" und damit schwächer gekrümmte Absetzkurven auftreten als bei Versuchen mit geringen Ausgangshöhen (z.B. Säulenversuche).
Die anfängliche Absetzgeschwindigkeit war in den Versuchsergebnissen im wesentlichen von dem Vergleichsschlammvolumen abhängig. Dieser Zusammenhang zeigte sich auch in mehreren Modellen aus der Literatur. Für Vergleichsschlammvolumina unterhalb von 400 mL/L steigt die Absetzgeschwindigkeit für sinkende Werte von VSV stark an. Für Vergleichsschlammvolumina oberhalb von 400 mL/L führen steigende Werte von VSV dagegen zu einem geringen Abfall der anfänglichen Absetzgeschwindigkeiten. Für den Bemessungsvorschlag wurde ein eigenes Modell des Zusammenhangs zwischen VSV und anfänglicher Absetzgeschwindigkeit ermittelt.
Aus der theoretischen Modellvorstellung zum Absetzvorgang im Kugelmodell (Stokes-Gesetz) kann ein wesentlicher Einfluss der Partikeldurchmesser auf die erreichbare Absetzgeschwindigkeit abgeleitet werden. Daher wurden Kennwerte aus der mit Laserscannern ermittelten Partikelgrößenverteilung auf Korrelationen zu den anfänglichen Absetzgeschwindigkeiten untersucht. Dabei ergab sich dabei keine Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen der anfänglichen Absetzgeschwindigkeit und dem Vergleichsschlammvolumen mit Hilfe der Kenngrößen aus der Partikelgrößenverteilung zu verbessern. Aus den vorliegenden Versuchsergebnissen kann kein zwingender Einsatz der Partikelmesstechnik für den Bereich des Absetzens belebter Schlämme gesehen werden.
Hinsichtlich der sich einstellenden Schlammspiegelhöhen im Endzustand des Absetzversuchs konnte eine Übereinstimmung des großtechnischen Absetzerfolgs mit dem Schlammvolumen im parallel durchgeführten Versuch zur Ermittlung des Vergleichsschlammvolumens nach dem Verdünnungsverfahren (1 L-Standzylinder) gezeigt werden. Dabei verringerten möglichst weitgehende Verdünnungen (SV << 250 mL/L) die in den Versuchsdaten auftretende Streuung des Zusammenhangs.
Beim Vergleich der erreichten relativen Klarwasserhöhe in Abhängigkeit der Ausgangshöhe des Schlammspiegels (Säulenversuche) trat bei höheren Vergleichsschlammvolumina ein Absinken der relativen Klarwasserhöhe bei höheren Ausgangshöhen auf. Bei einem weiteren Versuchsset mit geringen Vergleichsschlammvolumina zeigte sich dagegen keine Abhängigkeit. Offensichtlich sind demnach bei geringen anfänglichen Absetzgeschwindigkeiten (hohe VSV) flache Behälter durch die geringeren zu überwindenden Wegstrecken des Schlammspiegels geeigneter, wenn eine schnelle Verringerung der relativen Schlammspiegelhöhe erreicht werden soll.
Der aufgestellte Bemessungsvorschlag verwendet als zeitlichen Verlauf der Schlammspiegelhöhe die Absetzfunktion entsprechend der Arbeitshypothese. Für die Ermittlung und Abschätzung der erforderlichen Parameter wird nach der Datenbasis unterschieden in Bemessungsvorgänge, die auf einem angenommenen Vergleichsschlammvolumen VSV basieren, und solche, in denen Säulenversuche zur Aufnahme der Absetzkurven durchgeführt werden können.
Mit den Ergebnissen der gemessenen TS-Konzentrationsprofile konnte ein Schichtenmodell unter Berücksichtigung des Zonen-Absetzverhaltens und der Kompression aufgestellt und über Variation der Modellparameter an die Versuchsdaten angepasst werden. Es zeigte sich in den vorliegenden Resultaten der Modellparameter, dass das Vergleichsschlammvolumen VSV am Kompressionspunkt im Unterschied zu den Vorstellungen von MERKEL [1971a]- offensichtlich keinen konstanten Wert annimmt. Für weitergehende Auswertungen war das Datenkollektiv zu gering.
Hinsichtlich der Mechanismen und Möglichkeiten zur Optimierung der Flockung von belebtem Schlamm kann ein weiterer Forschungsbedarf gesehen werden, der nicht alleine auf Kläranlagen nach dem SBR-Verfahren beschränkt ist. Es wurde aufgezeigt, dass es für die Ausbildung von Einlaufbauwerken kontinuierlich durchflossener Nachklärbecken Ansätze in der Literatur gibt, die eine Optimierung der Flockung direkt vor dem Absetzen zum Ziel haben. Diese Art der Optimierung müsste für Kläranlagen nach dem SBR-Verfahren z.B. mit regelbaren Druckbelüftungssystemen oder bereits mit den vorhandenen Rührwerken recht einfach zu realisieren sein. Zusätzlich könnten mit einem Flockungsmodell die auch in dieser Untersuchung aufgetretenen Verzögerungsphasen vor dem Beginn der Schlammspiegelbewegung gezielt untersucht und deren Auswirkung auf die Totzeit innerhalb des SBR-Zyklus reduziert werden. Die komplexen Einflüsse aus dem Bereich der Zulaufbelastung hinsichtlich der Selektion flockenbildender Bakterien und damit zusammenhängende Möglichkeiten zur Förderung der Produktion von EPS werden sich vermutlich erst in Zukunft näher quantifizieren lassen.
Unklar ist bisher die bei SBR-Anlagen erforderliche Klarwasserhöhe, um ein Mitreißen des abgesetzten Schlamms in der Dekantierphase zu verhindern. Üblicherweise werden im Vergleich zu kontinuierlich durchflossenen Nachklärbecken bedeutend höhere Kantenbeschickungen eingesetzt, ohne dass in der Praxis Probleme auftreten. Andererseits gibt es nur wenige Hersteller von dauerhaft betriebssicheren und damit praxistauglichen Abzugseinrichtungen. Weitere Erkenntnisse in diesem Bereich könnten mit dem Instrument der Strömungssimulation für das Mehrphasensystem in zwei- oder dreidimensionalen Betrachtungen erarbeitet werden.
Es wurde bereits herausgestellt, dass ein Anwendungspotential der Verwendung rheologischer Schlammparameter zur Beschreibung der Kompression zu erwarten ist. Auch wenn SBR-Kläranlagen keinen bevorzugten Anwendungsfall dafür darstellen, wäre eine Etablierung physikalischer Messparameter in diesem Bereich des Absetzvorgangs wünschenswert.
Weiterer Forschungsbedarf wird ebenfalls in der Absicherung der gefundenen Beziehungen gesehen, v.a. hinsichtlich des Parameters "b" aus der exponentiellen Absetzkurve für weitere Bereiche der Vergleichsschlammvolumina und weitere Kläranlagen. Hierzu konnte in der Darstellung des Bemessungsvorschlags eine Gleichung aufgestellt werden, die eine Übertragbarkeit des Parameters "b" auf andere Anfangshöhen des Absetzvorgangs ermöglicht. Das nötige Ausmaß für Laborversuche zum Absetzverhalten kann damit reduziert werden, ohne dass die wichtige Information des tatsächlich exponentiellen Verlaufs der Absetzkurve verloren geht.
Das verwendete Schichtenmodell zur Nachbildung der zeitlichen Entwicklung der Profile der TS-Konzentrationen konnte an die Versuchsdaten angepasst werden. Für eine generalisierbare Aussage v.a. hinsichtlich der Beziehungen der Parameter des Kompressionsverhaltens zu einfachen Labormessparametern (z.B. Schlammvolumen, Partikelgrößen, Rheologie) war die ermittelte Datengrundlage zu gering, so dass in diesem Bereich eine Fortführung der Untersuchungen auf weiteren Kläranlagen wünschenswert ist. Die aufgezeigten Probleme beim Einsatz des Modells auf Basis der Solid-Flux-Theorie und die nicht immer zufriedenstellenden Anpassungen der Messdaten an die Ergebnisse des Schichtenmodells deuten darauf hin, dass für einen verbreiteten Einsatz des Modells auf das Absetzen von belebtem Schlamm noch weitere Arbeiten aus dem wissenschaftlichen Bereich nötig sind. In diesem Zusammenhang kann die vorliegende Arbeit als vielversprechender Einstieg angesehen werden, da die Anwendung und Weiterentwicklung der Solid-Flux-Theorie auf das Absetzen von belebtem Schlamm hierzulande bislang nur geringe Berücksichtigung findet.