Bernd Zacharias
Biologische Stickstoffelimination hemmstoffbelasteter Abwässer am Beispiel eines Eisenhüttenwerkes
Zusammenfasssung
An einem Abwasser aus der Eisenhüttenindustrie wurde exemplarisch für hemmstoffbelastete Industrieabwasser die biologische Stickstoffentfernung bei gleichzeitiger Entfernung der im Abwasser enthaltenen Hemmstoffe untersucht. Die Beschreibung der Zusammenhänge zwischen einzelnen Prouzessen der Hemmung und der Stoffentfernung erfolgte auf der Grundlage allgemeiner Prozessgleichungen, die nicht nur bei der Reinigung dieses Hüttenwerksabwassers, sondern auch bei der Reinigung anderer Industrieabwässer Anwendung finden können.
Vor der Untersuchung der eigentlichen Reinigungsprozesse wurden die bei einer Industriewasserbehandlung zu berücksichtigenden Fragen zur Abwasserherkunft und Abwasserzusammensetzung geklärt.
Das Abwasser des Eisenhüttenwerks Salzgitter beinhaltet neben Stickstoff im wesentlichen Phenole, freies Cyanid, Thiocyanat sowie einzelne Schwermetalle. Eine Analyse der Abwassersituation ergab, dass der Großteil der Schutz- und Hemmstoffe zwei Teilströmen entstammt: dem Abwasser aus der Gichtgaswäsche und dem Abwasser aus der Kokerei. Beide Teilströme wurden hinsichtlich ihrer Entstehung und ihrer dabei anfallenden Verschmutzung näher betrachtet. Eine Einflussnahme auf die abwasserrelevanten Produktionsprozesse oder eine Verbesserung der chemischen und physikalischen Vorbehandlung der beiden Teilströme war nicht möglich. Die Analyse der Abwassersituation ermöglichte eine Prognose der zukünftig anfallenden Abwassermengen und -inhaltsstoffe, die als Grundlage für die Untersuchungen zur biologischen Abwasserbehandlung diente.
Die Sichtung der Literatur zur Reinigung von Abwasser aus Hüttenwerken ergab, dass Phenole und Cyanide als wesentliche Inhaltsstoffe eine starke Hemmwirkung auf die Stickstoffentfernung, und zwar insbesondere auf die Nitrifikation, ausüben. Versuche zur Reinigung dieser Abwässer wurden überwiegend mit dem einstufigen Belebungsverfahren durchgeführt, in einzelnen Untersuchungen wurden auch mehrstufige Belebungsverfahren oder Festbettverfahren angewandt. Generell konnte nur dann eine stabile Oxidation der Stickstoffverbindungen erzielt werden, wenn die Biomasse sehr lange im System gehalten wurde. Die minimalen aeroben Schlammalter lagen bei über 20 Tagen. Eine Denitrifikation wurde nur in wenigen Fällen untersucht und erfolgte dann meist mit externen Kohlenstoffquellen. In einzelnen Fällen wurde eine Teildenitrifikation mit den im Abwasser enthaltenen Phenolverbindungen erreicht.
Im Rahmen dieser Arbeit sollte daher die Frage geklärt werden, ob und in welchem Umfang cyanid- und phenolhaltige Abwässer einer biologischen Stickstoffentfernung zugänglich sind. Dazu wurde der Zusammenhang zwischen Prozessen der Hemmstoff- und Stickstoffentfernung näher untersucht, da eine genaue Kenntnis der gegenseitigen Beeinflussung der Prozesse für die Dimensionierung und einen störungsfreien Betrieb einer biologischen Behandlungsanlage erforderlich ist.
Zur Beschreibung der einzelnen Abbau- und Hemmprozesse sowie auch der in einer Belebungsanlage ablaufenden nicht-biologischen Vorgänge wurden prozesskinetische Parameter in Batch-Versuchen bestimmt. Das Zusammenwirken aller Prozesse in einer Belebungsanlage wurde nach Ermittlung der kinetischen Parameter mit Hilfe von Simulationsrechnungen dargestellt. Darüber hinaus wurde über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren eine halbtechnische Versuchsanlage auf dem Werksgelände der Preussag Stahl AG Salzgitter betrieben, um das Verhalten der Reinigungsanlage unter Betriebsbedingungen zu untersuchen.
Die Untersuchungen ergaben, dass eine Nitrifikation nur bei gleichzeitiger weitgehender Entfernung der Hemmstoffe aus dem Abwasser möglich ist, d.h. es konnte keine Adaption der Nitrifikanten an die Hemmstoffe beobachtet werden. Aus diesem Grund wurde zunächst die Entfernung der Phenole und des freien Cyanids aus dem Abwasser durch biologischen Abbau und durch nicht-biologische Prozesse wie Adsorption, Strippung oder im Fall von Cyanid durch Komplexbildung mit Eisen untersucht.
Die im Abwasser enthaltenen Phenolverbindungen, im Wesentlichen Phenol und Kresole, erwiesen sich als sehr gut biologisch abbaubar und wurden mit hohen Geschwindigkeiten umgesetzt. Der Abbau folgte einer von HALDANE beschriebenen Kinetik mit Substratüberschusshemmung. Die Umsetzung des Phenols wurde durch im Abwasser enthaltenes freies Cyanid stark gehemmt. Die für die Phenol-abbauenden Bakterien bestimmten Wachstumsparameter sowie die Beeinflussung der Umsatzraten durch pH-Werte und Temperaturen entsprechen im Wesentlichen den Werten, wie sie allgemein für heterotrophe Abwasserbakterien angegeben werden.
Im Gegensatz zum Phenol wurde freies Cyanid im betrachteten Konzentrationsbereich nach einer MICHAELIS-MENTEN-Kinetik abgebaut. Phenol hatte keinen nennenswerten Einfluss auf den biologischen Abbau des Cyanids. Die Stoffumsatz- und Wachstumsraten wie auch der Ertragskoeffizient waren sehr gering, die maximale Wachstumsrate bei 20 °C betrug nur 0,3 d-1. Die durchschnittlichen in der halbtechnischen Versuchsanlage erzielten Abbauraten waren aber dennoch ausreichend, um die Cyanidfracht des Zulaufs biologisch umzusetzen. Darüber hinaus wurde an einer Labor-Kläranlage gezeigt, dass bei einer Cyanidbelastung von 1,7 mg CN-/(g oTS · h) eine vollständige Entfernung des Cyanids erreicht werden kann.
Die nicht-biologischen Prozesse hatten mit Ausnahme der Strippung nur untergeordnete Bedeutung bei der Hemmstoffentfernung aus dem Abwasser. Die Adsorption von Phenol oder Cyanid an Belebtschlamm war nur gering. Eine mögliche Bildung von Eisen-Cyano-Komplexen, was einer weitgehenden Entgiftung des freien Cyanids entspricht, wurde unter Redox- und pH-Bedingungen, wie sie in einer Belebungsanlage herrschen, nicht beobachtet.
Die Strippung von Phenol konnte in allen Versuchsanlagen und Versuchsansätzen vernachlässigt werden. Im Gegensatz dazu ist Cyanid sehr viel leichter strippbar. Das Maß der Cyanidstrippung hängt wesentlich vom Verhältnis Strippgasmenge zum eingesetzten Wasservolumen ab, sodass bei Laborversuchen, in denen sehr hohe Verhältnisse QL/VWerreicht wurden, die Strippung des Cyanids berücksichtigt werden musste. Demgegenüber lagen beim Betrieb der halbtechnischen Versuchsanlage die Verhältnisse Luftmenge zu Wassermenge so niedrig, dass die maximal mögliche Cyanidstrippung < 3% der Zulauffracht betrug und daher weitgehend vernachlässigt werden konnte.
Die Nitrifikation wurde sehr stark durch im Abwasser anwesende Phenole oder freies Cyanid gehemmt. Die Hemmungen sind reversibel, d.h. nach einer Entfernung der Hemmstoffe aus dem Abwasser erreichten die Nitrifikationsraten ihre ursprünglich im ungehemmten Zustand gemessene Höhe.
Freies Cyanid zeigte eine sehr viel stärkere Hemmwirkung auf alle biologischen Abbauprozesse als Phenol. Im Vergleich der beiden Nitrifikationsschritte wurde die Ammoniumoxidation schon bei viel geringeren Hemmstoffkonzentrationen beeinträchtigt als die Nitritoxidation. Die KI - Werte für eine nicht-kompetitive Hemmung der Ammoniumoxidation durch Cyanid und Phenol betrugen 0,047 mg/L CN- und 2,07 mg/L Phenol, was die hohe Toxizität von freiem Canid belegt. Die KI - Werte für die Nitritoxidation lagen demgegenüber mit 0,12 mg/L CN-bzw. 242 mg/L Phenol deutlich höher, was einer sehr viel geringeren Hemmung entspricht. Versuche zur pH-Abhängigkeit zeigten, dass nur die undissozierte Form des Cyanids, die Blausäure, die eigentlich hemmende Substanz ist.
Trotz des sehr viel geringeren Einflusses der Hemmstoffe auf die Nitritoxidation traten in den belüfteten Kaskaden der halbtechnischen Versuchsanlage Nitritkonzentrationen bis zu 10 mg/L NO2-N auf. Diese Nitritkonzentrationen waren auf den gegenüber der Ammoniumoxidation sehr viel höheren KM- Wert von > 0,3 mg/L NO2-N sowie die gleichzeitig geringere maximale Umsatzrate der Nitritoxidation zurückzuführen. Die Wachstumsraten der beiden an der Nitrifikation beteiligten Bakteriengattungen Nitrosomas und Nitrobacter lagen in der gleichen Höhe, wie sie im Allgemeinen in der Literatur für kommunales Abwasser angegeben werden.
Beim Betrieb der halbtechnischen Versuchsanlage wurde eine stabile Nitrifikation mit einem aeroben Schlammalter > 7 Tagen bei 20 °C erzielt. Während konstant niedrige Ammoniumablaufwerte bereits bei einem aeroben Schlammalter von 5 Tagen erreicht wurden, konnten stabil niedrige Nitritkonzentrationen aufgrund der Größe des für die Nitritoxidation bestimmten KM- Wertes und der Höhe der maximalen Umsatzrate nicht unterhalb eines aeroben Schlammalters von 7 Tagen erzielt werden.
Eine Betrachtung der Stickstoffoxidation bei gleichzeitiger Entfernung der Hemmstoffe in der Belebungsanlage durch biologischen Abbau mit Hilfe einer dynamischen Simulation zeigte, dass bei den in der halbtechnischen Versuchsanlage durchschnittlich erzielten Abbauraten der Hemmstoffe auch hohe Phenolkonzentrationen keinen nennenswerten Einfluss auf die Nitrifikation ausübten. Demgegenüber führte unter diesen Bedingungen ein Anstieg der Cyanidkonzenrtationen im Zulauf über 1 mg/L CN- zu einer starken Hemmung der Ammoniumoxidation.
Mit den im Hüttenwerksabwasser enthaltenen Phenolen wäre aufgrund des sehr niedrigen BSB5/N-Verhältnisses des Zulaufs eine Denitrifikation des oxidierten Stickstoffs nur in einem geringen Umfang möglich gewesen. Eine vollständige Denitrifikation konnte nur unter Zudosierung eines externen Kohlenstoffs erreicht werden. Da für eine externe Kohlenstoffdosierung das Verfahren der nachgeschalteten Denitrifikation am günstigstens ist, wurde diese Verfahrensführung gewählt und auf eine Denitrifikation mit dem im Abwasser enthaltenen Kohlenstoff verzichtet.
Als externe Substrate kamen Methanol, Essigsäure und Acetol-100, ein industrielles Produkt auf Ethanolbasis, zum Einsatz. Die maximalen Denitrifikationsraten waren unabhängig von den eingesetzten C-Substraten, hingen aber von der Stickstoffbelastung ab und erreichten Werte bis zu 0,45 g N(g o TS · d).
Die erforderlichen CSB/NO3-ND-Verhältnisse lagen für alle Substrate bei 5,0. Bei Einrechnung der endogenen Atmung reduzierten sich diese Werte auf 4,1 oder niedriger. Die Ertragskoeffizienten bei Wachstum auf den einzelnen Substraten lagen zwischen 0,42 und 0,45 g CSB/g CSB.
Die Dosierung der Kohlenstoffsubstrate erfolgte nach unterschiedlichen Regelstrategien. Mit einer analogen Regelung nach den Nitratablaufkonzentrationen konnten die besten Ergebnisse erzielt werden gegenüber einer digitalen Regelung oder einer Steuerung nach den Nitratkonzentrationen im Zulauf zur anoxischen Zone.
Der Einfluss der Hemmstoffe Phenol und Cyanid auf die Denitrifikation war vernachlässigbar im Vergleich zur Hemmung der Nitrifikation. Der optimale pH-Wert für die Denitrifikation lag bei 7,0, die Temperaturabhängigkeit der Umsatzraten war schwächer ausgeprägt, als es von anderen Autoren berichtet wird.
Die Zusammensetzung des Belebtschlamms hing stark von dem dosierten Kohlenstoffsubstrat ab. Die Dosierung von Methanol bewirkte eine auch in der Literatur beschriebene starke Anreicherung der Bakteriengattung Hypomicrobium. Eine Folge davon war ein sehr guter Schlammindex von meist unter 100 mL/g, der sich bei Dosierung von Acetat oder Acetol-100 deutlich erhöhte. Die Zusammensetzung des Belebtschlamms aus Hypomicrobien und weiteren heterotrophen Bakterien war auch die Ursache für eine 30 bis 50%-ige Steigerung der Denitrifikationsraten bei Dosierung von Ethanol und Acetat zusätzlich zum Grundsubstrat Methanol, da die zusätzlichen C-Substrate auch von den übrigen heterotrophen Bakterien zur Denitrifikation genutzt werden konnten.
Auf Grundlage der hier gefundenen Ergebnisse wurde ein Bemessungsvorschlag für eine einstufige Belebungsanlage zur Reinigung von Hüttenwerksabwasser erarbeitet. Abweichend von den in der Literatur berichteten Untersuchungen ist ein aerobes Schlammalter von 12 Tagen bei einer Temperatur von 15 °C ausreichend für eine stabile biologische Stickstoff- und Cyanidentfernung. Das für die Denitrifikation erforderliche Volumen hängt von den maximalen Denitrifikationsraten ab. Im Vergleich zu einer Bemessung des Denitrifikationsvolumens über den Sauerstoffverbrauch, wie es für häusliches Abwasser üblich ist, würde das Volumen für die Dosierung von leicht abbaubarem CSB bei der Bemessung über die Umsatzraten sehr viel kleiner ausfallen. Für das Hüttenwerksabwasser in Salzgitter wurde das Verhältnis aus Denitrifikations- zu Gesamtvolumen zu 0,11 bestimmt. Aufbauend auf den hier vorgestellten Untersuchungen wurde eine großtechnische Anlage gebaut, die Anfang 1996 fertiggestellt wurde und zur Zeit in Betrieb genommen wird.
Am Beispiel eines Hüttenwerksabwassers wurde die grundsätzliche Eignung einer biologischen Stickstoffentfernung in Anwesenheit von Hemmstoffen nachgewiesen. Es wurde gezeigt, dass sich die Abbau- und Hemmprozesse mit allgemeingültigen Gleichungen beschreiben lassen, in die die für den konkreten Einzelfall ermittelten kinetischen Parameter einzusetzen sind. Mit der hier vorgestellten Vorgehensweise kann somit auch in ähnlich gelagerten Fällen die Hemmstoff- und Stickstoffentfernung beurteilt werden.