Hartmut Wicht
N2O-Emissionen durch den Betrieb biologischer Kläranlagen
Zusammenfasssung
Das atmosphärische Spurengas Distickstoffoxid (N2O) ist maßgeblich an der kontinuierlich steigenden Erwärmung der Erdatmosphäre und der Verringerung des stratosphärischen Ozons über den Polkappen beteiligt. Seine Konzentration steigt aufgrund menschlicher Einwirkungen seit dem Beginn der Industrialisierung beständig an.
Bei der mikrobiellen Denitrifikation ist N2O ein obligates Zwischenprodukt. Es war daher zu klären, ob die biologische Stickstoffelimination in Kläranlagen zu einer Erhöhung der N2O-Emissionen führt und welche Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden können, um Emissionen aus Kläranlagen zu verhindern.
Die Höhe der Konzentration eines Zwischenproduktes bei einer mikrobiologischen Reaktion ist abhängig von seiner Entstehungs- und Zerfallsgeschwindigkeit. Deshalb wurden die verschiedenen Einflüsse, die auf die Geschwindigkeit solcher Reaktionen einwirken und die formelmäßigen Zusammenhänge, mit denen sie mathematisch beschrieben werden können, zusammengestellt. In einer Literaturrecherche wurden anschließend die bisher veröffentlichen Arbeiten zur mikrobiologischen N2O-Bildung gesichtet. Da bisher nur wenige Untersuchungen zur N2O-Bildung in Belebtschlamm vorliegen, musste hierbei hauptsächlich auf Untersuchungen an Böden und Bakterienreinkulturen zurückgegriffen werden.
Aus dieser Zusammenstellung ergaben sich die für Belebtschlamm möglicherweise relevanten Einflüsse, die in Laborversuchen anschließend untersucht wurden. Da N2O nicht gelöst sondern nur als Gas gemessen werden kann, musste hierfür eine Versuchstechnik entwickelt und erprobt werden. Die Anwendbarkeitsgrenzen des Verfahrens wurden durch dynamische Simulationen überprüft.
Mit Hilfe von Laborversuchen konnten qualitative Modellvorstellungen der unterschiedlichen Einflüsse auf die N2O-Freisetzung bei der Denitrifikation entwickelt und die zur Quantifizierung erforderlichen kinetischen Parameter bestimmt werden. Die Denitrifikation wurde dabei durch die drei Teilschritte Nitrat-, Nitrit- und N2O-Reduktion beschrieben. Als Standardbedingung, auf die sich alle weiteren Untersuchungen bezogen, wurde ein kommunaler Belebtschlamm, eine Temperatur von 20 °C, ein pH-Wert von 7,5 und Natriumacetat als Elektronendonator in nicht-geschwindigkeitslimitierender Konzentration gewählt. Die kinetischen Parameter wurden in Batch-Experimenten durch Auswertung der Nitrat-, Nitrit- und N2O-Konzentrationsverläufe ermittelt.
Unter den gewählten Standardbedingungen stehen die maximalen Umsatzgeschwindigkeiten der Nitrat-, Nitrit- und N2O-Reduktion ungefähr im Verhältnis 1,0 : 0,84 : 4,0. Die MICHAELIS-MENTEN-Konstanten verringern sich von einem zum nächsten Reduktionsschritt. Die N2O-Reduktase wird durch Nitrit, bzw. seine undissoziierte Form HNO2, gehemmt.
Um die verschiedenen Einflüsse hinsichtlich der zu erwartenden N2O-Bildung bei der Denitrifikation zu untersuchen, wurden mit den kalibrierten Modellen statische und dynamische Berechnungen durchgeführt. Folgende Zusammenhänge wurden dabei ermittelt:
Bei 20 °C und pH 7,5 können -wenn keine Hemmstoffe vorliegen- unter den in kommunalen Kläranlagen üblicherweise vorherrschenden Verhältnissen (ca. 2 goTS/l, ca. 3 h Durchflusszeit im anoxischen Reaktor, Nitrat als Ausgangsstoff der Denitrifikation) in einem kontinuierlich durchströmten Denitrifikationsreaktor maximal N2O-Konzentrationen in der Größenordnung von 0,02 mgN2O-N/L auftreten. Bei einer Kohlenstofflimitierung, wie sie üblicherweise bei kommunalen Kläranlagen vorliegt, sind noch geringere N2O-Konzentrationen zu erwarten.
Liegen Hemmstoffe im Belebtschlamm vor, können auch deutlich höhere Konzentrationen auftreten. Neben Nitrit sind Sauerstoff und Schwefelwasserstoff die wichtigsten Hemmstoffe der N2O-Reduktion. Auf beide Stoffe reagiert die N2O-Reduktase wesentlich empfindlicher als die Nitrat- und Nitritreduktase. Nach den Modellrechnungen ergeben sich aufgrund einer Sauerstoffhemmung die höchsten N2O-Konzentrationen bei ca. 0,4 bis 0,6 mgO2/L. Bei höheren Sauerstoffkonzentrationen werden auch die Nitrat- und Nitritreduktasen stärker gehemmt, sodass wieder weniger N2O entsteht.
Mit den Hemmkonstanten für Schwefelwasserstoff wurde in Modellrechnungen eine Grenzkonzentration von ca. 0,05 bis 0,15 mgH2S-S/L berechnet, ab der schlagartig höhere N2O-Konzentrationen auftreten. Schwefelwasserstoff kann dabei deutlich höhere N2O-Konzentrationen auslösen als Sauerstoff. Auch Nitrit bewirkt eine Hemmung der N2O-Reduktase. Dazu muss es im Zulauf enthalten sein, da es als Zwischenprodukt nicht in der für eine Hemmung erforderlichen Konzentration entsteht.
Durch den pH-Wert werden die drei untersuchten Reduktionsschritte ungefähr in gleicher Weise beeinflusst. Bei niedrigen pH-Werten verschiebt sich aber das Dissoziationsgleichgewicht zwischen Nitrit und salpetriger Säure. Da letztere ein Hemmstoff der N2O-Reduktase ist, steigen im sauren Milieu unter pH 7,0 die N2O-Konzentrationen deutlich an.
Der Einfluss der Temperatur auf die N2O-Bildung bei der Denitrifikation ist nach den Modellrechnungen im Bereich zwischen 10 und 25 °C unbedeutend.
Durch Messungen auf Kläranlagen wurden die unter Betriebsbedingungen tatsächlich auftretenden N2O-Konzentrationen ermittelt. Zur Interpretation der Ursachen, die dabei zu erhöhten N2O-Konzentrationen führen, konnten die Ergebnisse der Laboruntersuchungen herangezogen werden. Diese stimmten in der Größenordung mit den Messergebnissen der großtechnischen Kläranlagen überein.
In ungefähr der Hälfte der untersuchten kommunalen Kläranlagen lag die N2O-Konzentration unter 0,001 mgN2O-N/L. Die wichtigste Ursache für höhere Werte bis zu maximal 0,36 mgN2O-N/L war eine Hemmung durch Sauerstoff. Diese trat sowohl in Denitrifikations- wie auch in Nitrifikationsreaktoren und -zonen auf. Insbesondere Kläranlagen ohne zielgerichtete Denitrifikation produzierten überdurchschnittlich viel N2O.
In Einzelfällen trat auch eine Hemmung durch Schwefelwasserstoff auf. Diese wurde bei kommunalen Anlagen mit hohen Aufenthaltszeiten des Rohabwassers in anaeroben Zonen (Speicherbecken, Emscherbrunnen) und bei Industriekläranlagen mit sulfidhaltigem Abwasser oder einer anaeroben Vorbehandlungsstufe beobachtet. Auch in nachgeschalteten Schönungsteichen einer Industriekläranlage entstanden auf diese Weise hohe N2O-Konzentrationen, was auf eine Schwefelwasserstoffproduktion im anaeroben Bodenschlamm der Teiche zurückgeführt wurde. Eine Schwefelwasserstoffhemmung aufgrund der anaeroben Milieubedingungen in den Reaktoren zur biologischen Phosphatelimination oder der Prozessabwässer aus der anaeroben Schlammbehandlung wurde nicht festgestellt.
Nach den vorliegenden Literaturangaben kann N2O theoretisch auch bei der Nitrifikation gebildet werden. Inwieweit nitrifizierende Bakterien an der N2O-Produktion in Kläranlagen bei niedrigen Sauerstoffkonzentrationen beteiligt sind, konnte jedoch nicht untersucht werden. Die in der Praxis gemessenen Konzentrationen lassen sich in ihrer Größenordnung aber durch die in den Laborversuchen ermittelte Denitrifikationskinetik erklären. Der Anteil des in Kläranlagen durch Nitrifikanten gebildeten Distickstoffoxids ist demnach vermutlich gering gegenüber der N2O-Produktion durch Denitrifikanten.
Die N2O-Emissionen aus Kläranlagen wurden mit Hilfe der gemessenen Konzentrationen berechnet. Daraus ergab sich, dass von kommunalen Kläranlagen durchschnittlich 0,6 % des zugeführten Stickstoffs als N2O-N emittiert wird. Davon gelangt der größte Teil über die Oberflächen belüfteter Reaktoren in die Atmosphäre. Für die gesamte Bundesrepublik Deutschland ergibt sich eine jährliche N2O-Emission aus Kläranlagen von ca. 2320 tN2O-N/a. Die Kläranlagen sind damit zu weniger als 2 % an der Gesamt-N2O-Emission Deutschlands beteiligt.