Reiner Boll
Zur erhöhten biologischen Phosphorentfernung mit dem Belebungsverfahren
Zusammenfasssung
Der bisher übliche Weg Phosphor aus dem Abwasser zu entfernen, ist die chemische Fällung mit Metallsalzen oder Kalk. Die Fällmittel und die Behandlung des anfallenden Fällschlammes erfordern jedoch zusätzliche laufende Betriebskosten. Daneben führen die im Wasser zurückbleibenden Anionen zu einer Aufsalzung der Kläranlagenabläufe. Unter gewissen Randbedingungen kann es außerdem zu einer Beeinträchtigung biologischer Prozesse, wie z.B. der Nitrifikation, kommen. Vor diesem Hintergrund stellen die Verfahren der erhöhten biologischen Phosphorentfernung eine interessante Alternative dar.
Schon seit längerem ist bekannt, dass belebte Schlämme unter bestimmten Randbedingungen in der Lage sind, weit mehr Phosphat in ihre Zellen aufzunehmen, als sie für ihre normale Lebenstätigkeit benötigen. Notwendige Voraussetzung hierfür ist der ständige sequentielle Wechsel von aeroben und anaeroben Milieubedingungen. Während auf der Basis dieses Phänomens in den siebziger Jahren besonders in Südafrika und den USA eine Reihe von Abwasserreinigungsverfahren entwickelt und mit sehr widersprüchlichen Ergebnissen getestet wurden, lagen für die spezifischen Abwasserverhältnisse der Bundesrepublik praktisch keinerlei Erfahrungen vor.
Abgesehen von der Aufarbeitung der mikrobiologischen, biochemischen und verfahrenstechnischen Grundlagen basiert die vorliegende Arbeit im wesentlichen auf halbtechnischen Parallelversuchen, in denen die beiden grundsätzlichen Verfahrensmöglichkeiten der biologischen P-Elimination im Haupt- und im Nebenstrom systematisch in dem für die Betriebsweise deutscher Kläranlagen typischen Belastungsspektrum untersucht und miteinander verglichen wurden. Dabei zeigte sich, dass mit beiden Verfahren bei mittleren Zulaufgehalten von 10-16 mg G.P/L P-Eliminationsraten zwischen etwa 50 und 90% zu erzielen waren und in beiden Fällen die anaerobe P-Rücklösung den prozessbestimmenden Teilschritt der Verfahren darstellt. Während sich für den Erfolg des Hauptstromverfahrens der Anteil an leichtabbaubarem Substratkohlenstoff im Zulauf von besonderer Bedeutung erwies, war die Leistung des Nebenstromverfahrens sehr stark von der Betriebsweise des anaeroben Rücklösungsbeckens (Stripper) abhängig. Dabei kam es besonders darauf an, einen möglichst großen Anteil der im Stripper rückgelösten P-Fraktion in den Überlaufstrom zur Fällung zu überführen. Verschiedene verfahrenstechnische Möglichkeiten werden dazu aufgezeigt.
Eine bemerkenswerte Abhängigkeit vom Schlammalter zeigten beide Verfahren. Während bei sehr kurzen Schlammaltern von zwei Tagen und darunter keine nennenswert erhöhte biologische P-Elimination erzielt werden konnte, zeigte sich für beide Prozesse ein gewisses Optimum zwischen 4 und 13 Tagen. Bei Auftreten von Nitrifikation erwies sich eine weitgehende Denitrifikation bei beiden Verfahren als notwendige Voraussetzung für eine erhöhte biologische P-Elimination; insbesondere im Stripper der Nebenstromanlage bereitete eine durch unkontrollierte Denitrifikation bedingte Flotation von abgesetztem Schlamm erhebliche betriebliche Schwierigkeiten. Überwunden werden konnten diese durch eine Stripperbeschickung aus der vorgeschalteten Denitrifikationszone oder einer Kombination des NS-Verfahrens mit dem Konzept der simultanen Nitrifikation/Denitrifikation mit Belüftungsregelung nach dem NOX-Gehalt.
Zur Erhöhung der Prozessstabilität und Betriebssicherheit wurde ein Regelungsschema zur Kombination von biologischer P-Elimination und unterstützender Simultanfällung entwickelt und getestet. Es zeigte sich, dass dessen Hilfe vorrangig die Entnahmekapazität des biologischen Prozesses voll ausgeschöpft werden kann und nur im Bedarfsfalle der verbleibende Rest chemisch gebunden wird. Die erforderlichen Fällmittelmengen waren entsprechend gering und orientierten sich stöchiometrisch tatsächlich sehr genau an den nicht biologisch aufgenommenen P-Restgehalten. Ein ähnlicher Effekt konnte durch die Dosierung von 30 mg Essigsäure pro L Zulauf in die Anaerobreaktoren erzielt werden. Hierdurch wurde bei beiden Verfahren die biologische P-Elimination so erhöht, dass sich stabil P-Ablaufgehalte von weniger als 1 mg/L einstellten.
Nachdem die halbtechnischen Untersuchungen die Praktikabilität der biologischen P-Elimination gezeigt hatte, wurden die Erfahrungen und Ergebnisse für das Hauptstromverfahren unter großtechnischen Betriebsbedingungen in einer Pilotanwendung auf dem Klärwerk Berlin-Ruhleben abgesichert. Dabei konnten ebenfalls P-Eliminationsraten zwischen 65 und 95% erzielt werden. Das Beispiel zeigt, dass unter günstigen Randbedingungen und vor dem Hintergrund überall fallender P-Zulaufgehalte durchaus gute Chancen bestehen, auch im großtechnischen Betrieb die Einhaltung von Ablaufgrenzwerten von 1 - 2 mg G.P/L auf ausschließlich biologischem Wege zu gewährleisten.
Abschließend werden eine Reihe von Auslegungs- und Gestaltungshinweisen für Kläranlagen mit biologischer P-Elimination formuliert. Als Bemessungsgröße für die anaerobe Zone im Hauptstromverfahren wird dabei die auf Trockenwetterzufluss plus Rücklaufschlamm bezogene Kontaktzeit als zweckmäßig erachtet. Unter günstigen Randbedingungen erscheinen anaerobe Kontaktzeiten von 0,75 - 1,0 h ausreichend, bei weniger günstigen Voraussetzungen und sehr schwach belasteten Anlagen sind Kontaktzeiten von bis zu 2 h erforderlich. Es kann dann mit spezifischen Eliminationsraten zwischen 3 und 6 mg G.P pro 100 mg eliminiertem BSB5 gerechnet werden. Beim Nebenstromverfahren müssen für die Auslegung des Strippers, je nach Belastung, Aufenthaltszeiten zwischen 12 und 20 h bezogen auf eine Beschickungsmenge von ca. 0,3 QT zugrunde gelegt werden. Auch hier gelten die kürzeren Zeiten für höhere Schlammbelastungen und die längeren für Betriebseinstellungen mit Nitrifikation. Die aus der biologischen P-Elimination für die Schlammbehandlung erwachsenden Konsequenzen wurden in diesem Zusammenhang ebenfalls erörtert.
Auch wenn es heute noch nicht immer gelingen wird, Ablaufgrenzwerte von 1 oder 2 mg G.P/L sicher zu gewährleisten, so sollte die Möglichkeit der biologischen P-Elimination bei jeder Klärwerkserweiterung zumindest planerisch geprüft werden. Aufgrund der überall festzustellenden fallenden P-Zulaufgehalte im Rohabwasser und der auf eine verstärkte Kanalsanierung zurückzuführenden, zunehmenden Fernhaltung von Fremdwasser werden die Voraussetzungen für die biologische P-Elimination immer günstiger. Sofern bei einer Erweiterung die Möglichkeit besteht, einen Teil der bestehenden Anlage so umzurüsten, dass die biologische P-Elimination mit dem vorhandenen Abwasser erprobt werden kann, wird dies empfohlen. Vorhandene Vorklärbecken lassen sich oft zu Anaerobbecken umnutzen, in nicht ausgelasteten Anlagen können häufig mit relativ geringem Aufwand anoxische und anaerobe Zonen eingerichtet werden. Da ein entsprechendes Regelungsschema zur Verfügung steht, können Schwankungen in der biologischen P-Elimination leicht durch eine unterstützende Simultanfällung kompensiert werden.
Insbesondere beim Hauptstromverfahren ist in aller Regel aufgrund der Selektorwirkung der anaeroben Zone eine deutliche Verbesserung der Schlammeigenschaften (geringer Schlammindex) zu beobachten. Bei total durchmischten Becken z.B. für simultane Nitrifikation/Denitrifikation, insbesondere wenn sie mit vorgeklärtem Abwasser beschickt werden, ist daher die sonst zu befürchtende Gefahr der Blähschlammbildung ganz erheblich verringert.
Durch die besonderen Anforderungen der biologischen P-Elimination im Hauptstrom an die Abwasserzusammensetzung wird das alte Diktum der Abwassertechnik, das Abwasser auf dem Weg zur Kläranlage möglichst "frisch zu halten", das schon von Imhoff postuliert wurde, in Frage gestellt. Aufgrund der essentiellen Bedeutung niederer organischer Säuren für den Prozess sollte man sogar Endstränge des Kanalnetzes, wo es möglich ist, als Fermentationsreaktoren auffassen und gezielt zur Vorversäuerung des Abwassers nutzen.