Illegale Märkte

Illegale Märkte

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Das Konzept „illegale Märkte“ erfasst das gleiche Phänomen wie das Konzept „transnational (organisierter) Kriminalität“. Letzteres lenkt die Aufmerksamkeit auf den Schaden der Aktivitäten, Motivationen und Lebensläufe von individuellen Straftätern und Gruppen, sowie rechtliche Maßnahmen der Strafverfolgung und Resozialisierung. Die Marktperspektive hingegen betont Bedingungen und Kontexte wiederholten Austauschs, welcher einer Angebots- und Nachfrage-Logik folgt und erwartet rationale Akteure, die Risiken der Strafverfolgung minimieren und Nutzen maximieren. Damit wird der Blick stärker auf globale Anreizstrukturen gelenkt, und darauf, wie diese durch Unterschiede in der Regulation, Rechtssystemen, sozialen und ökonomischen Bedingungen zwischen Ländern verstärkt werden. Anstatt der Kriminalisierung (auch ethnischer) Gruppen zeigt die Marktperspektive die komplexen Interdependenzen zwischen Ländern die hauptsächlich Produzenten- bzw. Konsumentenländer darstellen. Bei gleichbleibender Nachfrage und Anreizstrukturen wird zudem deutlich, wie schnell und flexibel illegale Aktivitäten an veränderte Verfolgungsstrategien angepasst werden. Die Perspektive zeigt darüber hinaus die persönlichen und strukturellen Verbindungen von legaler und illegaler Sphäre [1].

Cyber-Kriminalität, wie Täuschung und Betrug, wird nicht als illegaler Markt konzeptionalisiert, da dieser eine Angebots- und Nachfrageseite benötigt. Das Internet stellt vielmehr eine neue Infrastruktur, die Kriminalität erleichtert [2]. Geldwäsche und Korruption fungieren gleichermaßen als Ermöglicher von Kriminalität und bilden keinen eigenen illegalen Markt.

Beispiele Illegaler Märkte

Der bekannteste illegale Markt ist der für illegale Drogen. Er wurde durch die USA weitläufig und international kriminalisiert und erreichte dadurch ein hohes Maß an internationaler Aufmerksamkeit und Strafverfolgungsressourcen. Historisch betrachtet war das Verbot des Sklavenhandels das erste globale Verbots-Regime, welches trotz aktueller Verstöße gegen Arbeitsrechte und Menschenhandel ein starkes und erfolgreiches Regime darstellt. Ein weiterer Sektor, der breit diskutiert, aber aufgrund unterschiedlichster Sichtweisen auf die Definition der Tat und Festlegung von Opfern und Tätern bislang nicht institutionalisiert werden konnte, ist der der Prostitution [3]. Diese Fälle gehören zu den weit bekannten, teilweise aufgrund von mehr oder weniger effektiven Versuchen internationaler Verbote, wie auch das Engagement für diese durch einzelne Staaten oder NGOs als moralische Entrepreneure. Andere illegale Aktivitäten erhalten hingegen deutlich weniger Aufmerksamkeit und sind weit von einer geschlossenen internationalen Regulation entfernt.

In unserer Forschung am Institut für Internationale Beziehungen und im Lehrforschungsprojekt Illegale Märkte konzentrieren wir uns auf diese Märkte, deren Präsenz auf der nationalen und internationalen Agenda noch gering ausgeprägt ist, oder die genuin neuartig sind als „aufkommende illegale Märkte“.

Aufkommende Illegale Märkte

Aufkommende illegale Märkte werden hier als entweder genuin neue Arten des illegalen und illegitimen Handels von Gütern und Dienstleistungen, oder als Märkte mit gerade erst ansteigendem Wissen und Interesse an ihnen verstanden. Sie ‚entstehen‘ also in einem von zwei Sinnen. Erstens können sie genuin neu sein, entstanden durch neue Anreizstrukturen. Ein Beispiel ist der illegale Handel mit Sand, hervorgerufen durch den Bau-Boom mit einem erhöhten Bedarf an Zement und damit Anreizen, dafür geeigneten Sand beispielsweise von Stränden zu entwenden [4]. Auch die Verbreitung des Internets hat neue illegale Aktivitäten wie den Diebstahl von Identitäten, Betrug, aber auch Kinderpornographie und neue Arten der Koordination und des Verkaufs solcher Waren ermöglicht. Ein weiteres Beispiel sind seltener werdende Tierarten, die dadurch verstärkt auf Schutz angewiesen sind.

Im zweiten Sinne entstehen Märkte, wenn sie heute noch größtenteils ‚unter dem Radar‘ bleiben und für Politiker*innen und die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar sind. Der Handel mit ‚Blut‘-Diamanten zur Finanzierung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppierungen ist heute beispielsweise weit bekannt, während der illegale Markt Handel mit Coltan, einem Rohstoff für die Produktion von Mobiltelefonen, welcher ebenfalls im Verdacht steht Konflikte zu befördern und unter schädigenden Bedingungen abgebaut wird, deutlich unbekannter ist. Ähnliches gilt für den konfliktfördernden Effekt des Handels mit anderen wertvollen Mineralien oder Öl. Solche aufkommenden Märkte sind nicht zwangsläufig auch Schwarzmärkte. Als Schwarzmärkte gelten Märkte, die verboten sind und dennoch praktisch existieren. Einige aufkommenden Märkte sind hingegen nicht global verboten, auch wenn sie Aktivitäten beinhalten die von vielen als unmoralisch oder unerwünscht erachtet werden. Allerding können die Aktivitäten durchaus strittig sein; starke Interessen können gegen die Regulation des Marktes stehen, oder Regulation so neu sein, dass sie noch nicht verabschiedet oder effektiv implementiert wurde. Im Gegensatz zu Schwarzmärkten können diese Aktivitäten nicht strafverfolgt werden. Da die Konsensbildung für ein Verbots-Regime durchaus ein langwieriger Prozess sein kann, ist ein Markt möglicherweise nur noch nicht verboten, die Unterstützung für effektive Regulation kommt aber bereits auf [5]. Gleichermaßen zeigt die Diffusion internationaler Regulation von Kriminalität, dass die Verbreitung internationalen Rechts eine Frage der Zeit ist, mit zunehmenden Unterzeichnungen und Ratifikationen im zeitlichen Verlauf.

Transnationale Kriminalität und Regulation

Rechtlich gesehen ist kriminell, was durch das Rechtsprechung verboten ist. Das heißt, was gegen Gesetzgebung verstößt ist eine Straftat, und umgekehrt ist jede Aktivität, die keine Gesetze bricht, legal. Bei der Betrachtung transnationaler Kriminalität ist diese Perspektive nur begrenzt anwendbar, da bei der Überquerung von Grenzen unklar bleibt, wessen Rechtsprechung anzuwenden ist. Handelt es sich um eine Straftat, sobald sie in einem der Länder verboten ist? Muss die Aktivität in allen betroffenen Ländern verboten sein? Ist es nur dann globale Kriminalität, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen es verbietet? Oder braucht es eine bestimmte Norm, die über internationalen Abkommen steht und nicht einmal in einem rechtlichen Dokument verschriftlicht sein muss?

Vor diesem Hintergrund erscheint es hilfreicher, gesellschaftlich als schädlich und unerwünscht bewertete Aktivitäten als Kriminalität zu interpretieren. Üblicherweise ist die sozial-politische Reaktion darauf staatliche Regulation. Dies beinhaltet das Verbot bestimmter Handlungen, aber auch Entscheidungen darüber wie dies umzusetzen ist, was im Fall von Rechtsbrüchen geschieht und wer in solchen Fällen zu benachrichtigen ist und über die Regulation entscheidet. Allerdings ist der Prozess bis hin zu einer Entscheidung was schadhaft genug für ein Verbot ist und wer dafür zu bestrafen sei – Konsument, Produzent, Schmuggler? – kompliziert. Somit sind schädigende Aktivitäten nicht grundsätzlich gleichermaßen oder überhaupt reguliert.

Angesichts der zunehmenden Globalisierung ist nationale Rechtsprechung nicht länger eine Lösung für viele der unerwünschten Aktivitäten. Individuen und Unternehmen können ihre Aktivitäten in Länder mit geringer oder nicht umgesetzter Regulation verlagern. Staaten müssen also neben ihrer eigenen Rechtsprechung auch andere Staaten davon überzeugen, diese umzusetzen, um ‚sichere Häfen‘ zu vermeiden. Die Unterschiede im Umgang mit Kriminalität führen aus politikwissenschaftlicher Sicht zu Fragen der Existenz verschiedener Regulation, wer diese umsetzt und welche Themengebiete genug Aufmerksamkeit erlangen, um schnell reguliert zu werden.

Aus internationaler Perspektive entstehen Fragen der Überzeugung von Staaten zu einer bestimmten Art der Regulation, nach relevanten Akteuren und Organisationen auf internationaler Ebene und den Strukturen, die Kriminalität ermöglichen und intensivieren. Kriminalität ist eine Folge von, und reagiert stark auf, nationale und internationale Regulation. Sind Aktivitäten verboten und dies wird nur in einigen Regionen umgesetzt, sind viele Handelsketten in der Lage sich anzupassen, um Risiken zu minimieren und Gewinne zu maximieren. So können Länder die unwillig oder nicht in der Lage sind bestimmte Regulationen zu implementieren zu sicheren Häfen für kriminelle Aktivitäten werden.

Ähnliches gilt für kulturell akzeptierte Praktiken, wie der Konsum von Alkohol und anderen Substanzen. Deren Verbot ist oft mit extremen Kosten verbunden und daher letztlich unausführbar, wie beispielsweise die Prohibition in den USA von 1920-1933 zeigte. Viele Vorteile der Legalisierung, wie größere Transparenz und damit reduzierte Risiken der Produktqualität, aber auch Schadensersatz bei Verstößen, werden für einzelne Drogen debattiert. Zwischen Legalisierung und Verbot sind jedoch noch weitere Formen der Regulation möglich, beispielsweise die Erzeugung von Aufmerksamkeit, hohe Besteuerung, Konsultationen und Sozialleistungen, die darauf zielen die Nachfrage zu reduzieren. Andere Ansätze beziehen Unternehmen in die Datensammlung und Verteilung verdächtiger Aktivitäten und persönlicher Daten für die Strafverfolgung ein. Auch eine aktive Rolle der Unternehmen bei der Bekämpfung illegaler Aktivitäten ist möglich, beispielsweise über die Zertifizierung legaler Produkte. Nicht-Regierungs-Organisationen wirken in der Bewusstseinsbildung, überprüfen Zertifizierungen und unterstützen Opfer. Die Regulation transnationaler Kriminalität geht also über die Aktivitäten von Polizei und Strafverfolgung aus top-down Rechtsprechung hinaus. Bottom-up Regulation durch betroffene Akteure (Lobbygruppen, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Opfer-Vereinigungen) füllt die Lücken zwischen Legalisierung und Verbot. Nicht-staatliche Akteure spielen somit eine zentrale Rolle bei der Gestaltung legaler und illegaler Transaktionen. Eine Masse an „sanften“ und „harten“ Mechanismen besteht also zwischen Verbot und Legalisierung, aufbauend und profitierend von nicht-staatlichen Akteuren.

Transnationale Kriminalität und Organisierte Kriminalität

Verbotene Güter und Dienstleistungen wie Drogen, Konfliktdiamanten, Menschenhandel und Prostitution erhalten breite mediale Aufmerksamkeit. Die Berichte konzentrieren sich allerdings häufig auf spezifische Güter und Dienstleistungen, auf organisierte Gruppierungen oder individuelle Opfer. Verbindungen dieser Gruppierungen werden oft angedeutet, inklusive eines stark hierarchisch geprägten Bildes, indem diese den Staat untergraben und dessen Legitimität gefährden.

Die Berichte beinhalten häufig Wiedersprüche und wissenschaftliche Forschung konnte vielfach zeigen, dass kriminelle Handlungen auf eine Weise organisiert, ausgeführt und wahrgenommen werden, die den verbreiteten Annahmen widerspricht. Transnationale Kriminalität ist aufgrund der logistischen Anforderungen an die Bewegung von Gütern und Menschen über Grenzen hinweg üblicherweise auf die Kooperation mehrerer Individuen angewiesen. Auch wenn Mafia-ähnliche hierarchische Strukturen in einigen Märkten existieren und teilweise versuchen Regierungen zu beeinflussen, ist der Großteil transnationaler Kriminalität wahrscheinlich durch weniger hierarchische und stärker ökonomisch orientierte Individuen in losen Netzwerken geprägt. Diese sind deutlich flexibler und weniger angreifbar für Strafverfolgung [6]. Die eingeführte Markt-zentrierte Perspektive erscheint daher angemessener für das Verständnis und die Untersuchung transnationaler Kriminalität.

Das Lehrforschungsprojekt

Diese Seite präsentiert folglich weniger gut erforschte transnationale kriminelle Aktivitäten aus einer Markt- und Governancen-Perspektive, welche nach top-down und bottom-up Regulation von Kriminalität fragt. Die Ergebnisse stammen aus einem Lehrforschungsprojekt, in dem die Forschung am Institut und Forschung von Studierenden verbunden werden. Die Analysen verbessern das Verständnis für illegale Märkte, zu denen Daten in der Regel schwer zu erhalten und verifizieren sind, und kann letztlich dazu beitragen, Regulationsmechanismen zu entwickeln, die illegale Aktivitäten unterbinden und legale Produktion und Konsum anregen. Darüber hinaus existiert zum Teil wenig wissen über einige Märkte mit hohen Schadensrisiken – wie die Fälschung von Medikamenten; mit Beitrag zu Konflikten und deren Finanzierung – wie Koltan; oder mit gleichermaßen unerwünschten Effekten für Arbeitnehmer*innen in den Märkte – wie die Produktion in Sweatshops. Daher konzentriert sich die Forschung auf aufkommende Märkte, zu denen bislang wenig Wissen besteht.

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[1] Greenhill, Kelly M. / Peter, Andreas (2010): Sex, Drugs, and body counts: The politics of numbers in global crime and conflict. Ithaca, New York: Cornell University Press.

[2] Hall, Tim (2010): Where the money is: the geographies of organised crime. Geography, 95(1), p. 4-13.

[3] Hall, Tim (2012): Geographies of the illicit: Globalization and organized crime. Progress in Human Geography 37(3), p. 366-385. Available at: Link

[4] Masalu, Desiderius C. (2002): Coastal erosion and its social and environmental aspects in Tanzania: a case study in illegal sand mining. Coastal Management, 30(4),p. 347-359.

[5] Jakobi, Anja P. (2013): Common goods and evils? The formation of global crime governance. Oxford: Oxford University Press.

[6] Lampe, Klaus von (2012): Transnational organized crime challenges for future research. Crime Law and Social Change, 58(2), p. 179-194.