Das komplexer werdende Entwicklungsumfeld erschwert zunehmend ein aus struktureller Perspektive optimales Bauteil zu entwickeln. Eine immer höhere Anzahl unterschiedlicher Werkstoffe mit steigender Komplexität sowie zahlreiche Gesetzes- und Produktanforderungen sind zu berücksichtigen und unterschiedlichste Fertigungsverfahren gegeneinander abzuwägen. Im heutigen Entwicklungsprozess werden hierzu virtuelle Methoden eingesetzt, welche allerdings angesichts der steigenden Komplexität in der Praxis vor zahlreiche Herausforderungen wie hohe Zeitaufwände, erforderliche manuelle Arbeitsschritte und notwendiges Expertenwissen gestellt werden. Für weitere Effizienzsteigerung in diesen Bereichen sowie zur Ermöglichung neuer Entwicklungsmethoden werden in der AG Digital Engineering Machine Learning Methoden eingesetzt, erforscht und in CAX-Prozessketten integriert.
Beispielhaft sei hierbei der Einsatz von Machine Learning zur Materialkartenkalibrierung genannt, um notwendige Berechnungszeiten drastisch zu reduzieren und somit den Produktentwicklungsprozess maßgeblich zu beschleunigen. Im Rahmen dieser Methode werden künstliche neuronale Netze (KNN) mit Daten aus der numerischen Simulation trainiert, sodass die KNN den Zusammenhang zwischen dem Simulationsergebnis und den Materialparametern erlernen. Ziel ist diese Methoden für komplexe Werkstoffe zu entwickeln und in CAX-Prozessketten zu integrieren, um somit den Produktentwicklungsprozess insbesondere in frühen Phasen maßgeblich zu beschleunigen.
Links: Vergleich der Simulationsergebnisse mit vorgegebenen und vorhergesagten Parametern aus neuronalen Netzen. Rechts: Workflow der Methode zur Vorhersage geeigneter Materialparameter für die Struktursimulation:
Ein weiteres Anwendungsszenario besteht in dem Einsatz von ML zur automatisierten Analyse von 3D-Produktmodellen im Rahmen von Bauteilneuentwicklungen oder -umgestaltungen. Durch den Einsatz von ML-Ansätzen können bereits in der frühen Entwicklungsphase, in Abhängigkeit der Zielsetzung, große Lösungsräume für einen Entwurf schnell analysiert und der Produktentwickler in seinen Tätigkeiten gezielt unterstütz werden. Hierdurch können zum einen die Entwicklungszeiten erheblich reduziert, als auch die Entwurfsqualität gesteigert werden. Vor diesem Hintergrund wird in der Arbeitsgruppe Digital Engineering eine Methode erforscht, um automatisiert CAD-Modelle in Sub-Komponenten, bspw. nach spezifischen Kriterien eines Fertigungsansatzes, zu segmentieren und in Produktarchitekturmodelle (physische und funktionale Beschreibung des Produktes) zu überführen. Hierfür kommen Ansätze aus dem Bereich der 3D Geometrieklassifikation und -segmentierung zum Einsatz. Die somit gewonnenen abstrakten Produktmodelle (mathematische Graphen) stellen die Ausgangsbasis für nachgelagerte Analyseschritte dar. Beispielsweise können die aktuellen Entwürfe durch den Einsatz von 3D-Formdeskriptoren und Ansätzen zur Bestimmung von Ähnlichkeiten in Graphen mit vorhandenen Konstruktionen in einer Datenbank abgeglichen werden, um dem Anwender bereits frühzeitig ähnliche bzw. vorhandene Lösungen aufzuzeigen. Durch die zusätzlichen Informationen der Topologie (Produktstruktur) kann in dem „Matching Prozess“ zusätzlich der Kontext des Bauteils und somit eine Semantik berücksichtigt werden was zu einer verbesserten Ähnlichkeitsanalyse beiträgt. Durch den entwickelten Ansatz kann zum einen vorhandenes Konstruktionswissen (bspw. frühzeitige Kostenprognose oder aufzeigen relevanter Gestaltungsrichtlinien) effizient zugänglich gemacht werden und Parallelentwicklungen vermieden werden. Übertragen auf Problemstellungen der variantengerechten Produktgestaltung kann der Ansatz beispielsweise zur Identifizierung von Standardisierungspotentialen innerhalb von Bauteilfamilien dienen.