In den letzten Jahren wurden vielfältige Anwendungen von Daten-getriebenen Modellen im Bereich der angewandten Informatik entwickelt. Hier sind insbesondere signifikante Fortschritte in den Bereichen der Musteridentifikation zu verzeichnen. Unklar ist bisher, inwieweit solche Methoden auch für die ingenieurrelevante Bauwerks- und Materialmodellierung adaptiert und erweitert werden können.
Darüber hinaus können Bauwerke, die nicht mit einem Lebensdauermanagementsystem systematisch dokumentiert sind, bisher nur visuell oder mit aufwändigen Probenentnahmen charakterisiert werden, um ein Prognosemodell der Bauwerkseigenschaften erstellen zu können. Die für Prognosemodelle erforderliche räumliche Verteilung der Materialeigenschaften kann mit einer inversen Modellierung durch moderne numerische Verfahren der Systemidentifikation ermittelt werden, ist in der Regel jedoch nicht eindeutig und erfordert umfangreiche in-situ Untersuchungen und Messdaten. Eine Alternative hierzu bieten moderne Methoden des Deep Learning, die mithilfe visueller oder anderer Daten eine entsprechende Prognose und damit Bewertung eines Prozesses ermöglichen. Mit den hier geplanten Dissertationsvorhaben soll das Potential von Deep-Learning-Ansätzen für die Analyse und Bewertung von Infrastrukturbauwerken untersucht und weiterentwickelt werden.
Weiterhin wurden in den letzten Jahren auch Methoden basierend auf Neuronalen Netzen publiziert, mit denen vorgegebene partielle Differentialgleichungen näherungsweise gelöst werden können. Besonders interessant sind hierbei Transportgleichungen in porösen Baustoffen, die mit inhärenten Unsicherheiten bzgl. ihrer Parametrisierung einhergehen. Daten-getriebene Ansätze haben hier das Potential, sowohl als Löser wie auch als Modellierungsansatz für Unschärfen zu fungieren. Diese Potentiale sollen im Rahmen von Dissertationen im Kontext der Material- und Prozessbeschreibung von alternden Baustoffen exemplarisch untersucht werden.
Dis-4.1) Modellierung des Schädigungsverhaltens von Baustahl mit Machine-Learning
(Prof. Thiele, Prof. Krafczyk)
Die Erstellung sicherer und wirtschaftlicher Bauwerke setzt eine realistische Prognose der Lebensdauer von Bauteilen voraus. Aufgrund der vielen Lastwechsel wird bei Verkehrsbauwerken aus Stahl oft der Ermüdungsnachweis maßgebend. In den letzten Jahrzehnten errichtete Bauwerke müssen immer wieder rechnerisch überprüft werden, ob sie den wachsenden Anforderungen aus einer deutlich erhöhten Verkehrsbelastung standhalten können. Oft sind jedoch die vorangegangene Belastungsgeschichte und die damit einhergehende Schädigung unbekannt. Dieser Umstand führt zu Ungenauigkeiten bei der Ermittlung der Restlebensdauer.
Mit Hilfe moderner Messtechnik (ESPI) können hochauflösende Dehnungsfelder aufgezeichnet werden. Ein Ergebnis des GRK 2075 Forschungsthemas Schädigung von Stahl bei Überbeanspruchung [w.120] ist, dass sich bei wiederholter Belastung eines Bauwerks die lokale Dehnungsverteilung verändern kann. Die Veränderung der Dehnungsverteilung charakterisiert die Veränderung der Materialstruktur unter HCF. Die lokale Konzentration der Dehnungen zeigt im Labor auch den Ort des ersten Anrisses.
Schädigung wird mit den Modellgleichungen der Kontinuumsschädigungsmechanik beschrieben. Die Gleichungen basieren auf Beobachtungen von Experimenten und daraus abgeleiteten phänomenologischen Modellvorstellungen. Neuere Untersuchungen mit im Bereich Machine- Learning entwickelten Methoden zielen darauf, die nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen mit neuronalen Netzen zu lösen. Dabei kommen unterschiedliche Methoden zur Anwendung: physics informed neural networks [w.114], [w.115], hidden physics models [w.116].
Ziel des Forschungsvorhabens ist die Modellierung der Schädigung von Baustahl mit physics informed neural networks und hidden physics models. Datengrundlage sind hochauflösende Dehnungsfeldmessungen und In-Situ Mikroskopaufnahmen. Bei dem Projekt steht der Grundlagenansatz zur Anwendung von neuen Methoden im Vordergrund, der zu einem neuen Verständnis von Schädigungsmechanismen führen kann.
Dis-4.2) Zustandserfassung gealterter Stahlbetonbauwerke mit intelligenter CFKLamellenverstärkung
(Prof. Lowke, Prof. Krafczyk, Prof. Römer)
Ziel des Projekts sind Grundlagenuntersuchungen zur Zustandserfassung gealterter Stahlbetonbauwerke mit intelligenter CFK-Lamellenverstärkung auf Basis faseroptischer Sensoren und Deep Learning Modellen, die zur Musteridentifikation adaptiert und eingesetzt werden sollen.
Bauwerksstrukturen sind einer durchgängigen Beanspruchung und einer damit einhergehenden Schädigung durch Umwelteinflüsse, Materialermüdung und Alterung ausgesetzt. Zur Instandsetzung gealterter Stahlbetonbauteile kommen häufig extern aufgeklebte Lamellen aus Kohlefaserkunststoff (CFK) zum Einsatz. Die Integration von faseroptischen Sensoren in auf diese Weise verstärkte Betonbauwerksstrukturen ermöglicht eine neue Form der integrierten Zustandsüberwachung. Die entlang der Bauteilachse auf den CFK-Lamellen applizierten Sensoren ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung von Längenänderungen in der Faser. Auf diese Weise ist es möglich die Rissbildung im Stahlbetonbauteil in einem sehr frühen Stadium zu erkennen und die Rissentwicklung weiter zu verfolgen. Anders als unter kontrollierten Umweltbedingungen im Labor und bei einer direkten Applikation der faseroptischen Sensoren auf dem Betonbauteil, kann die Einschätzung des Bauwerkszustandes anhand der Messdaten bei Integration in die CFK-Lamelle jedoch nur über geeignete Modelle erfolgen. Zum einen müssen Umwelteinflüsse berücksichtigt werden. So sind z.B. Temperatur- von Bauteildehnungen zu unterscheiden. Zum anderen ist bei mit aufgeklebten CFK-Lamellen verstärkten Betonbauteilen die richtige Einschätzung des Verbundtragverhaltens für die Beurteilung des Bauteilzustandes von entscheidender Bedeutung.
Die Eignung des intelligenten faseroptischen Messsystems für das Bauwerksmonitoring wird innerhalb eines Monitoringkonzeptes in Kombination mit weiteren Sensoren in statischen, zyklischen und Dauerstandversuchen im Labor und bei natürlicher Bewitterung getestet. Zur Ableitung des Dehnungsverlaufes in den aufgeklebten CFK-Lamellen und weiteren wichtigen Bauteilparametern wie Anzahl, Abstand und Öffnungsweite von Rissen ist eine Abwandlung bzw. Abstraktion der Eingangssignale aus den Sensoren notwendig. Diese Aufgabe wird mit Architekturen
von neuronalen Netzen, die über mehr als einen Hidden Layer verfügen, sogenannten Deep Learning Modellen gelöst.
Die Ergebnisse werden zur Weiterentwicklung von bestehenden Modellen zur Verbundschädigung auf Beton geklebter CFK-Lamellen unter Dauerlast und unter zyklischer Belastung auf der Mesoskala und der Makroskala herangezogen. Die weiterentwickelten Methoden sollen genutzt werden, um aus Sensordaten auf den Dehnungsverlauf der CFK-Lamelle und den Risszustand des Bauteils schließen zu können. Ziel ist es den Bauteilzustand realistisch einschätzen zu können und einen evtl. Kollaps des Bauteils rechtzeitig vorhersagen zu können.
Dis-4.3) Modellierung von gekoppelten Transportphänomenen in porösen Baustoffen mit Deep-Learning Ansätzen
(Prof. Krafczyk, Jun.-Prof. Geier, Prof. Lowke)
Die Prognose von Transportphänomenen im Beton zur Modellierung der resultierenden potentiellen Schädigungen erfordert die Lösung von gekoppelten Transport- und Reaktionsgleichungen im Porenraum. Diese dreidimensionalen und zeitabhängigen Modellgleichungen stellen auch für moderne Diskretisierungsverfahren eine Herausforderung dar und erfordern massiv parallele Löser, da die resultierenden Systeme oftmals bis zu einer Milliarde Freiheitsgrade haben.
Alternativ zu klassischen Diskretisierungsverfahren sollen in diesem Dissertationsvorhaben neue Ansätze zur Lösung der Transportgleichungen basierend auf Neuronalen Netzen adaptiert und ihre Eignung in Bezug auf Genauigkeit und Effizienz evaluiert werden. Diese Ansätze basieren auf sog. physics informed neural networks [w.114], [w.115] bzw. hidden physics models [w.116]. Alternativ wird ein ähnlicher Ansatz in [w.117] vorgeschlagen. Dabei sollen zwei komplementäre Modellierungsansätze verfolgt werden. Im ersten werden die Strömungsgeometrien aus Segmentierungen von Tomographiedaten generiert und das Transportproblem für mehrere Komponenten durch entsprechende gekoppelte Advektions-Reaktions-Diffusionsgleichungen modelliert, die durch neuronale Netze gelöst werden können. Hierbei ist insbesondere noch unklar, wie die Genauigkeit der Lösung von der Anzahl der hidden layers sowie von ihrer Größe bei gleichzeitiger Variation der Trainingsdaten abhängt. Auch soll untersucht werden, ob die Trainingsdaten aus klassischen Lösungen des Transportproblems generiert werden können oder ob die Trainingsdaten direkt aus Messwerten generiert werden können.
Dis-4.4) Identifikation von Schädigungszuständen in Beton durch datengetriebene Rissanalyse
(Prof. Lowke, Prof. Krafczyk)
Rissbildung hat eine maßgebliche Auswirkung auf den Gebrauchszustand eines Beton- oder Stahlbetonbauteils Da die visuelle Rissanalyse durch einen Experten sehr aufwändig ist und sich aus Kostengründen nur in zeitlich langen Intervallen und für lokale Analysen von gut zugänglichen Bauteilen anbietet, stellt die automatisierte Rissdetektion und Analyse häufig die technisch und wirtschaftlich sinnvollere Alternative dar. Gleichzeitig stellt diese vor allem hohe Anforderungen an die Bildanalyse, insbesondere, wenn aus den rein optisch generierten Rissbildern auch auf die Tiefe und spezifische Form des Risses geschlossen werden soll. In den letzten Jahren wurden jedoch auf diesem Gebiet insbesondere unter Nutzung und Adaption von datengetriebenen Methoden substantielle Fortschritte gemacht [w.102], [w.103], [w.104], [w.105], [w.106], [w.107], [w.108], [w.109], [w.110]. In dieser Dissertation sollen basierend auf diesen Ansätzen untersucht werden, wie sich diese Verfahren auf ganze Bauteile automatisiert anwenden lassen, welche Genauigkeiten bzgl. der Risstiefen erzielt werden können und wie leistungsfähig die Verfahren in Abhängigkeit von der Oberflächengestaltung der Bauteile und dem Trainingsdatenumfang sowie der Anzahl und Größe der sog. hidden layers des Netzwerkes sind. Die Implementierung des Ansatzes soll unter Verwendung von TensorFlow [w.175] auf GPGPUs erfolgen, um den Implementierungsaufwand und Rechenzeiten in Grenzen zu halten. Die Trainingsdaten werden durch Aufnahmen von teilgeschädigten Bauteilen generiert. Dazu werden sowohl Farb- als auch Grauwertinformationen zur Analyse herangezogen und ggf. durch geeignete Segmentierungsansätze aufbereitet.
Dis-4.5 Segmentierung von Computertomographie-Bildern von Beton mit Convolution- Neural-Networks
(Prof. Krafczyk, Jun.-Prof. Geier, Prof. De Lorenzis, Prof. Lowke)
Für die Modellierung der Dauerhaftigkeit von Beton ist die Kenntnis der räumlichen Verteilung unterschiedlicher Phasen von großer Bedeutung. Um diese zu ermitteln, kommen Computertomographieverfahren zum Einsatz, die Grauwertbilder gemäß der Dichte des Materials erzeugen. Die Segmentierung der Bilder nach Phasen geschieht dabei anhand von Schwellwerten. Dabei lassen sich die wichtigsten hydrierten Phasen wie Portlandit (CH) und die CSH-Phasen wegen des niedrigen Kontrastes schwer unterscheiden.
In der Medizin kommen seit einiger Zeit sehr erfolgreich Verfahren der Künstlichen Intelligenz zur Segmentierung von Computertomographie Bildern zum Einsatz [w.118], [w.119] Zusätzlich zu den Grauwerten wird dabei die geometrische Form der unterschiedlichen Phasen zur Identifikation ausgenutzt. Ein solches Verfahren ist auch für die Segmentierung der Phasen des Betons sehr vielversprechend, da diese aufgrund ihrer Entstehung unterschiedliche geometrische Strukturen ausbilden. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Convolution-Neural-Network Ansatzes zur Phasenidentifikation, der auch kontrastarme Computertomographie-Bilder mit hoher räumlicher Genauigkeit nach Phasen segmentieren kann. Basierend auf diesen Daten können dann unterschiedliche mesoskalige Struktur- und Transportmodelle zur Beschreibung der Betonschädigung eingesetzt werden. Auch in diesem Projekt sollen die entsprechenden Deep- Learning Verfahren basierend auf TensorFlow [w.175] implementiert werden, so dass die Trainings- und Berechnungszeiten durch Nutzung von GPGPU-Hardware signifikant reduziert werden kann.
Dis-4.6 Data-driven modelling der Wellenausbreitung in großskaligen Konstruktionen
(Prof. Langer, Prof. Thiele, Prof. Dinkler)
Ziel der Dissertation ist die grundlegende Entwicklung einer Methodik, welche mit einfacher Sensorik (z.B. Beschleunigungssensoren) Fehler in Stahlbauwerken a) erkennen, b) lokalisieren und c) identifizieren kann. Zustandsüberwachung mittels Ultraschallverfahren ist eine der vielfach eingesetzten Methoden zur Prüfung von Stahlbauwerken oder einzelner Komponenten. Die Erkennung von Schäden kann aber auch durch Kombination von wellenauflösenden physikalischen Modellen und machine-learning Algorithmen wie neuronalen Netzen oder Schwarmintelligenz- basierten Ansätzen erfolgen [v.71], [v.73], [v.79].
Die numerische Simulation und Untersuchung der Wellenleitung in großskaligen Stahlbauwerken (z.B. Brücken) mit den Methoden der Kontinuumsmechanik kann auf Grund der zahlreichen Verbindungsstellen und der Größe des betrachteten Gebiets sehr aufwändig sein. Daher soll im hier geplanten Promotionsvorhaben die mechanische Modellierung des Verhaltens von Werkstoffen und Wellenleitern durch „data-driven“ Modellierungsansätze ersetzt werden. Die für die Modellierung erforderlichen Daten sollen mit experimentellen Untersuchungen ermittelt werden. Der Ansatz soll an generischen und realistischen Strukturen getestet werden.
Dis-4.7 Robuste Sensorplatzierung zur Zustandsüberwachung von Bauwerken bei unsicherer Entwicklung des zukünftigen Schwingungsverhaltens
(Prof. Langer, Prof. Römer, Prof. Dinkler)
Die langfristige Nutzung großer, sicherheitsrelevanter Investitionsgüter erfordert eine durchgängige Zustandsüberwachung. Beispielsweise hat sich in der Luftfahrt die zustandsbasierte Wartung für Triebwerke durchgesetzt. Hierbei wird der Zustand der Triebwerke kontinuierlich überwacht, sodass vor Erreichen einer kritischen Schädigung eine entsprechende Wartung durchgeführt werden kann. Eine Möglichkeit zur Realisierung derartiger Konzepte ist die Instrumentierung des Messobjektes mit Sensorik zur Erfassung des Schwingungsverhaltens. Bei der Instrumentierung ist die Abwägung zwischen einer möglichst geringen Sensoranzahl und einem möglichst großen Informationsgehalt der Messdaten entscheidend. Für die Qualität der Daten ist eine robuste Platzierung der Sensoren zur Maximierung des Informationsgehaltes wesentlich. Aufgrund der langfristigen Nutzung der Messobjekte ändert sich das strukturdynamische Verhalten aufgrund der Degradation der Materialien und Variation der Umwelteinflüsse mit der Zeit. Das ermittelte Schwingungsverhalten ist somit unscharf. Die Sensorplatzierung muss diese Unschärfe berücksichtigen, um verlässliche Messungen über die gesamte Nutzungsdauer zu erhalten.
Im Rahmen dieses Dissertationsvorhabens soll eine Methodik entwickelt und auf die Behandlung von Tragwerken übertragen werden, mit der eine robuste Sensorplatzierung für unscharfes Systemverhalten mit dem Ziel der Zustandsüberwachung ermöglich ist. Als Anwendungsbeispiele werden Tragwerke aus Beton und/oder Stahl untersucht. Dazu werden hochauflösende Modelle für das Tragverhalten entwickelt und mittels Modalanalyse auf Basis der Finite Elemente Methode die Eigenfrequenzen und -formen der Struktur berechnet. Die durch die Unsicherheiten durch Degradation der Materialien sowie durch externe Umwelteinflüsse wie Temperaturschwankungen verursachten unscharfen Ergebnisse werden mit dem Berechnungsmodell quantifiziert. Hierzu werden etablierte Verfahren - wie die direkte Monte-Carlo Simulation - und kollokationsbasierte Ersatzmodelle eingesetzt. Auf Grundlage der unscharfen Ergebnisse wird eine robuste Sensorplatzierung unter Nutzung von Methoden des maschinellen Lernens bestimmt.